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Eisschnellläuferin Claudia Pechstein im Dezember 2014 beim Weltcup im Sportforum Hohenschönhausen in Berlin.

© dpa

Eisschnellläuferin vor Gericht gegen Weltverband ISU: Anwalt: Claudia Pechstein siegt "zu 80 Prozent"

Ihre Blutwerte schwankten, der Weltverband legte das als Doping aus und sperrte Claudia Pechstein. Nun steht die Eisschnellläuferin bei Gericht vor ihrem größten Sieg. Und die internationale Sportjustiz gerät auf den Prüfstand.

Dass an diesem Donnerstag einiges aus den Fugen geraten könnte, lässt sich leicht heraushören. Von „Sprengpotenzial“ spricht Claudia Pechsteins Rechtsanwalt Simon Bergmann und von der „Mutter aller Schlachten“. Bergmann sagt: „Für uns ist das der bisher wichtigste Termin.“ Aber nicht nur für seine Mandantin, die Eisschnelllauf-Olympiasiegerin Claudia Pechstein, steht viel auf dem Spiel. Das Sportrechtssystem könnte durch ein Gerichtsurteil erschüttert und dann neu zusammengesetzt werden.

An diesem Donnerstag befindet das Oberlandesgericht München (OLG) darüber, ob es für eine Schadensersatzklage Pechsteins gegen den Eislauf-Weltverband (ISU) zuständig ist. Pechstein fordert Millionen, weil die ISU ihre schwankenden Blutwerte als Doping ausgelegt und sie dafür zwei Jahre gesperrt hatte. Hämatologen haben Pechstein inzwischen eine vererbte Blutanomalie attestiert. Es klingt zunächst formal und harmlos, worüber das OLG urteilt. Doch es steckt eine Menge Zündstoff darin.

Denn zuständig wäre das Gericht nur, wenn es die Schiedsvereinbarung nicht anerkennen würde und damit eine Grundlage für das Rechtssystem des Sports. Das OLG würde sich mit seiner Entscheidung über das Sportrecht stellen, das bisher unantastbar neben aller staatlichen Gerichtsbarkeit zu stehen schien. Und Pechstein könnte das Dopingurteil anfechten und mit guten Aussichten in den nächsten Gerichtsverhandlungen Millionen von der ISU erstreiten. Die stünde dann vor einem finanziellen Kollaps. Doch das ist bislang nur ein Nebenaspekt dieses Falls

Das Sportrecht ist nicht gerecht. So argumentieren Pechsteins Anwälte. Die Athleten werden benachteiligt, sagen sie und es sieht so aus, als würde das Oberlandesgericht das heute bestätigen. Das Gericht hat sich schließlich schon geäußert, bevor es an diesem Donnerstag das Urteil verkündet und samt Begründung schriftlich verteilt. „Wenn sich das OLG schon so offensiv in eine Richtung ausspricht, habe ich es noch nie erlebt, dass es dann im Urteil in die andere Richtung fällt. Ich schätze daher unsere Chancen auf 80:20 ein“, sagt Bergmann.

Die deutsche Sportjustiz steht auf dem Prüfstand

Seine Zuversicht schöpft er aus der Herangehensweise. Zum ersten Mal habe ein Gericht die Schiedsvereinbarung nach dem Kartellrecht beurteilt. Der Sport hat eine Monopolstellung, aber das Kartellrecht untersagt es, diese Stellung zu missbrauchen. „Das tut der Sport aber, indem die Verbände den Sportlern das Verfahren vor dem Internationalen Sportgerichtshof Cas aufzwingen, das rechtsstaatliche Defizite hat“, sagt Bergmann. Diese Defizite bestehen für ihn unter anderem darin, dass die Öffentlichkeit bei Sportgerichtsverhandlungen etwa vor dem Cas nicht zugelassen ist, es gebe keine Prozesskostenhilfe und die Liste der Schiedsrichter, aus der die Parteien auswählen könnte, sei nicht offen. All das sei in einem ordentlichen Gerichtsverfahren anders.

Auch der Deutsche Olympische Sportbund, der sich lange im Fall Pechstein zurückgehalten hatte, setzt sich nun für Reformen ein. Vorstandsvorsitzender Michael Vesper sagt: „Ich habe den Cas angeschrieben und verschiedene Vorschläge zur Modifikation der Verfahrensordnung gemacht. Der Cas hat sich durchaus offen gezeigt für die Vorschläge und wird sie in seinen Gremien diskutieren.“

Interessant wird sein, wer zuerst fertig ist – der Cas mit seiner Diskussion oder Pechsteins Gerichtsverfahren. Denn die ISU will für den Fall einer Niederlage vor den Bundesgerichtshof ziehen. Bis der entscheidet, könnte noch einmal ein Jahr vergehen, und bis Pechstein mit einem höchstrichterlichen Urteil in der Hand um Schadenersatz weiterkämpft nochmal eine ungewisse Spanne. Aber die Zeit scheint die Ausdauersportlerin, die sich auf die Olympischen Winterspiele 2018 vorbereitet, auch noch zu haben.

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