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Was sieht sie da? Ob Claudia Pechstein beim Blick zurück in Hamar eher ihr erster Olympiasieg einfällt oder der Beginn ihres tiefen Karriereeinschnitts, als der internationale Verband sie nicht mehr laufen ließ?

© imago sportfotodienst

Eisschnelllauf: Der endlose Kampf der Claudia Pechstein

Eisschnellläuferin Claudia Pechstein reist zur Europameisterschaft nach Hamar - dem Ort des ersten Triumphs und des größten Schreckens für die erfolgreichste deutsche Winter-Olympionikin.

Es braucht kaum Fantasie, sich die Polizeihauptmeisterin Claudia Pechstein beim Großeinsatz vorzustellen. Sicher bewältigt sie ihren Dienst mit so viel Energie wie ihre Rennen auf dem Eis. Allerdings weitgehend unerkannt, wie etwa am 1. Mai 2013 in Kreuzberg. Da war Pechstein mit einer Polizei-Hundertschaft unterwegs. 22 Stunden im Dienst. „Mit Helm und komplett“, sagt sie und lächelt.

Es schwingt immer ein wenig Stolz mit, wenn die Berlinerin davon erzählt, was sie denn so alles unterbekommt in ihrem einem Leben. Und wenn sie von ihrem großen Projekt spricht, das sie angeht im profiunsportlichen Alter von 41 Jahren, dann leuchtet das schmale Gesicht unter dem Blondschopf: der Gewinn einer zehnten olympischen Medaille. Das treibt die erfolgreichste deutsche Winter-Olympionikin an.

Es sind nur noch ein paar Wochen bis zu den Olympischen Winterspielen von Sotschi. Am 9. Februar hat Pechstein über 3000 Meter die erste Chance in der „Adler Arena“ auf eine weitere olympische Medaille. Der Weg dahin führt sie am Wochenende über Norwegen. Europameisterschaft klingt an sich gut, angesichts der inflationären Streuung von Titelkämpfen im Eisschnelllaufen ist so etwas im olympischen Jahr aber ein durchlaufender Posten.

Die EM ist nur eine Durchgangsstation für Olympia

Es ist bereits Pechsteins 20. Teilnahme an einer EM und EM-Medaillen hat sie auch schon in zweistelliger Zahl gesammelt. Ob da nun eine zwölfte dazukommt oder nicht – fast egal. „Die Europameisterschaft ist Training unter Wettkampfbedingungen“, sagt Pechstein. Die 3000 und die 5000 Meter, ihre Paradestrecken, seien ihr wichtig. „Aber ich schiele da nicht auf Podiumsplätze.“

Der Trip nach Norwegen ist jedoch für Pechstein emotional belastet. Positiv, denn hier lief sie 1994 während der Winterspiele von Lillehammer über 5000 Meter zu ihrem ersten Olympiasieg. Allerdings auch negativ, denn in Hamar war für sie wegen erhöhter Blutwerte vor fünf Jahren die Allround-WM beendet und das mündete in ihre zweijährige Sperre und das Startverbot für die Winterspiele von Vancouver. Seit jener Affäre im Februar 2009 kämpft sie gegen den Eislauf-Weltverband und um ihren Ruf.

Pechsteins Vorteil für Sotschi könnte ihre Routine sein

Mit ihrer vom Vater geerbten Blutanomalie als Ursache für die auffälligen Werte als Argument und mit mehr als 500 negativen Dopingkontrollen. „Keine Athletin weltweit wurde so oft getestet wie ich“, sagt sie. Am 29. Januar wird bei einem Schadenersatzprozess in München darüber verhandelt, wie es weitergeht. Pechstein verlangt vom Eislauf-Weltverband eine Millionen-Entschädigung.

Dieses Kapitel ihrer langen Laufbahn hat die öffentliche Wahrnehmung Pechsteins stark geprägt. Gern spricht sie nicht darüber. Aber sie spricht darüber, auch weil sie es als Antrieb sieht. Sie will es allen zeigen, vom Weltverband bis zu ihren Kritikern, für die sie nicht viel übrig hat – es sei denn, sie würden sich entschuldigen für ungerechte Vorverurteilungen, sagt sie. Hätte es das Startverbot für Vancouver nicht gegeben, „dann würde ich womöglich in Sotschi nicht mehr an den Start gehen“. Aber hätte, wenn und aber, das sei nicht ihr Ding. „Es macht mich stolz, dass ich in meinem Alter noch so eine Leistung bringe. Und das verschafft mir auch viel Respekt in der Eisschnelllaufszene.“

Pechstein ist bald 42 Jahre alt - und immer noch beste Deutsche

Den hat sie, auch bei ihrer „guten Freundin“ Martina Sablikova. Auch wenn sie wohl an die zweimalige Olympiasiegerin von Vancouver nicht heranlaufen können wird. Die Tschechin, das hat sich auch in dieser Saison gezeigt, läuft in ihrer eigenen Liga. Dahinter beginnt die Liga von Pechstein und Ireen Wüst. Die Niederländerin hat kürzlich gesagt, dass sie sich für Sotschi auf den beiden längeren Strecken auf Silberkurs sehe, hinter der unschlagbaren Sablikova. Pechstein hat es zur Kenntnis genommen. Sie sagt: Wir sehen mal. Lächelnd.

Pechsteins Vorteil für Sotschi könnte ihre Routine sein. Ihre Fähigkeit, sich die Rennen über 3000 und 5000 besser einzuteilen als eine oft wild losstürmende Ireen Wüst. „Aber den Blick nach hinten habe ich natürlich auch“, sagt Pechstein. Da gebe es auch ernst zu nehmende Konkurrentinnen, allerdings nicht aus Deutschland. Dass sie hier in ihrem Alter immer noch die Beste ist, erstaunt sie nicht. Kürzlich habe sie einer jüngeren Konkurrentin gesagt: „Lauf doch einfach schneller als ich, dann bin ich bald weg.“

Am 22. Februar wird die Berlinerin in Sotschi 42 Jahre alt. Dann hat sie schon alle Rennen, womöglich sogar ihre große Karriere hinter sich. Und Claudia Pechstein könnte dann eines, vielleicht das deutsche Gesicht der Spiele sein. Prominent und strahlend und nicht versteckt wie das Gesicht der Polizeihauptmeisterin beim Einsatz in Kreuzberg.

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