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Nach dem entscheidenden Elfmeter von Cristiano Ronaldo gab sich der Portugiese gewohnt bescheiden.

© REUTERS

Elfter Sieg in der Champions League: Real Madrid - Legende und Legenden

Real Madrid feiert seinen elften Sieg in der Champions League mit allen Nuancen – dank eines Mannes, der zunächst kaum auffiel.

Der eine spielt, der andere sitzt. Die Botschaft dieser Nacht von Mailand wird später Cristiano Ronaldo verkünden, gewohnt salbungsvoll, es geht dabei um eine Vision im Allgemeinen und ihn im Besonderen als Vollstrecker, aber erst einmal richten sich die Augen der 80.000 Zuschauer im Stadio Giuseppe Meazza auf zwei andere. Auf Lucas Vázquez und Zinedine Zidane. Der eine spielt, der andere sitzt.

Lucas Vázquez Iglesias ist 24 Jahre alt, im Sommer von Espanyol Barcelona akquiriert worden und eine eher kleine Nummer im Großunternehmen Real Madrid. In dieses Finale der Champions League gegen den Stadtrivalen Atlético hat er sich erst spät eingemischt und ist auch nicht weiter aufgefallen. Vázquez hat von der Bank aus mit angesehen, wie sein verteidigender Kollege Sergio Ramos das frühe Führungstor erzielt hat, bei Atléticos spätem Ausgleich stand er schon auf dem Platz und natürlich auch beim wilden Gemetzel in der Verlängerung, als beide Mannschaften am Rande ihrer Kräfte dem Elfmeterschießen entgegen wankten.

Der erste Schütze muss sicher sein, das ist eine alte Regel. Reals Trainer, der frühere Weltstar Zinedine Zidane, nimmt sie sich zu Herzen, und er wählt... Lucas Vázquez! Den vermeintlich Unsichersten von allen. Zidane setzt sich auf die Bank, offensichtlich tief entspannt, und Vázquez kann es kaum abwarten, dass es losgeht. Im Mittelkreis jongliert er mit dem Ball, nimmt ihn in die Hand, lässt ihn auf der Spitze des Zeigefingers drehen, bis ihm Schiedsrichter Mark Clattenburg endlich das ersehnte Zeichen gibt. Kurzer Anlauf, Schuss in die rechte Ecke, Treffer versenkt, verhaltener Jubel, war irgendwas?!

Real ist dem Rivalen technisch überlegen

Zidane nickt beiläufig auf der Bank, als würde er dort schon ewig sitzen und nicht erst seit einem halben Jahr. „So bin ich nun mal“, sagt der Franzose, und: Nein, er sei keineswegs aufgeregt gewesen, „ich weiß ja, was für großartige Spieler ich habe“.

Die großartigen Spieler haben es spannend gemacht in der Nacht von Mailand. Natürlich ist Real dem Stadtrivalen technisch überlegen, nach Ramos’ frühem und schwer abseitsverdächtigem Führungstor spricht eigentlich alles für die Señores Ronaldo, Benzema und Co., aber Atlético hält verbissen dagegen. Antoine Griezmann vergibt die große Chance zum Ausgleich mit einem an die Latte geballerten Elfmeter.

Egal, Atlético stürmt weiter und schafft durch den eingewechselten Yannick Carrasco doch noch den Ausgleich, ein taktisches Meisterstück von Trainer Diego Simeone, wobei allerdings zu verschweigen ist, dass er den Schützen nach zuvor verhaltener Performance gerade wieder vom Platz nehmen wollte. Carrascos Rückennummer 21 leuchtete schon unten am Spielfeldrand.

Weiter, in die vogelwilde Verlängerung, Real hat die besseren Chancen und wankt doch hinten. „Wir haben relativ früh dreimal gewechselt, was man dann in der Verlängerung mit den vielen Krämpfen gemerkt hat“, sagt der deutsche Nationalspieler Toni Kroos, und das darf wohl als ganz sanfte Kritik am Trainer verstanden werden, denn Kroos war ja einer von denen, die frühzeitig Platz machen mussten.

Kroos hat ein gutes Spiel gemacht, aber als nervenstarker Elfmeterschütze ist er nicht in Erinnerung. Beim Finale dahoam 2012 mit dem FC Bayern gegen den FC Chelsea hat er beim Entscheidungsschießen dankend auf eine Nominierung verzichtet, diesmal darf er nicht, und „wenn man das Elfmeterschießen von der Bank verfolgen muss, ist man noch ein bisschen hibbeliger als auf dem Platz“. Real legt dreimal vor, Atlético zieht jeweils nach, unter anderem durch den in der regulären Spielzeit glücklosen Griezmann, auch dies ein Zeichen von Nervenstärke. Was sonst noch auffällt: Reals Schützen Vázquez, Marcelo und Bale schießen allesamt nach rechts, und abgesehen vom jugendlich-naiven Vázquez feiern sie alle Treffer mit martialischen Gesten, was beim von Krämpfen geplagten Bale auch daran liegen mag, dass er kaum noch laufen kann. Atléticos Gabi, Griezmann und Saul tendieren nach links und gönnen sich allenfalls ein verkniffenes Lächeln.

Ronaldo hat eine Vision

Die Entscheidung naht. Sergio Ramos, Reals virtuoser und zugleich beinharter Innenverteidiger, der zur Not auch ein Klavier mit formvollendeter Schönheit aus dem Strafraum köpfen würde, entscheidet sich wie seine Kollegen für die rechte Ecke und behält recht: 4:3. Nach ihm kommt Juanfran, in guter Tradition schießt er nach links ... an den Pfosten. Reals Torhüter Keylor Navas wirft die Hände betend hinauf zu Himmel und dort sitzt, natürlich, Cristiano Ronaldo.

Die von ihm selbst verbreitete Legende besagt, „dass ich die Vision hatte, das entscheidende Tor zu schießen“. Deswegen habe er Zidane gebeten, als fünfter Schütze anzulaufen, „denn ich wusste, dass der fünfte der entscheidende ist“. Ronaldo hat in den 120 Minuten zuvor viel Kraft gespart, deswegen ist der auf den Punkt fit und drischt den Ball humorlos ins Tor, natürlich in die rechte Ecke.

Schluss, Aus, Ende, Ronaldo zieht sein Trikot aus und präsentiert seine Bauchmuskeln. Eine Viertelstunde lang jubelt Real in allen Nuancen. Sergio Ramos hebt sein Söhnchen auf die schwer tätowierten Schultern und widmet ihm den Jubel der Fankurve. Genauso macht es Marcelo, dessen Nachwuchs schon über dieselbe Starkstromfrisur verfügt wie der Papa.

Und Zinedine Zidane? Erhebt sich und schreitet würdevoll zur feiernden Belegschaft. Noch im Jubel haftet ihm etwas Melancholisches an, das erinnert ein wenig an den immer ein wenig traurig wirkenden Fußballkünstler Zidane. Später sagt er „dass ich sehr zufrieden bin“, er wiederholt die entscheidende Vokabel mehrfach auf Spanisch, „contento“, zufrieden. Zidane herzt jeden Spieler, den frechen Vázquez nimmt er ganz am Anfang in den Arm, als letzter ist Ronaldo dran. Die Spieler streifen sich die weißen Shirts zum elften Champions-League-Sieg über, Zidane schüttelt den Kopf und streckt abweisend die Arme aus – bitte nicht! Bei der Siegerehrung haucht er einen angedeuteten Kuss auf Silberschüssel, nimmt sie aber nicht in die Hand. Er ist jetzt der einzige, der die Champions League als Trainer, Co-Trainer und Spieler gewonnen hat, jeweils mit Real. Was ihm dieser ganz persönliche Rekord bedeutet? Zidanes Wortschatz im Jubel ist begrenzt. „Estoy contento“, sagt er, „ich bin zufrieden.“

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