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EM-Auftakt der deutschen Mannschaft: Gibt es Überraschungen? Wer wird Kapitän? Und was ist mit den Standards?

Am Sonntagabend startet die deutsche Mannschaft ins Turnier. Worauf ist zu achten? Vor dem Auftaktspiel gegen die Ukraine beantworten wir die wichtigsten Fragen.

Sind bei der deutschen Aufstellung Überraschungen zu erwarten?

Gegenfrage: Sind Überraschungen, die man erwartet, überhaupt noch Überraschungen? Die Überraschung jedenfalls, über die nach der letzten Trainingseinheit im Basecamp in Évian-les-Bains spekuliert worden war, wird es nicht geben. Ein paar findige Journalisten hatten in den Hängen über Évian einen Flecken Erde ausgemacht, von dem aus man den Trainingsplatz der Nationalmannschaft einsehen kann. Dabei haben sie beobachtet, dass Mesut Özil kein Leibchen zugeteilt bekommen hatte und daraus geschlussfolgert, dass Özil gegen die Ukraine nicht in der Startelf stehen könnte. Bundestrainer Joachim Löw hat sich dazu am Abend vor dem Spiel eindeutig geäußert: „Mesut ist in einer überragenden Verfassung, ich habe nicht eine Sekunde darüber nachgedacht, ihn aus der Mannschaft zu nehmen. Es ist selbstverständlich, dass er spielt.“

Man kann allenfalls noch spekulieren, auf welcher Position Özil spielen wird: wie gehabt als Zehner hinter den Spitzen? Oder wie zuletzt gegen Italien und in der zweiten Halbzeit gegen Ungarn als Sechser, der mit seiner Ballsicherheit aus der Tiefe das Spiel der deutschen Mannschaft aufbaut. Möglichst viele spielstarke Spieler auf dem Platz zu haben, kann gegen die defensivstarken Ukrainer nicht verkehrt sein. Allerdings hat Löw auch großen Respekt vor der Konterstärke des Auftaktgegners und verlangt daher von seiner Mannschaft, „vorsichtig auch bei Ballbesitz“ zu sein. Löw hat alle taktischen und personellen Möglichkeiten. Am Abschlusstraining am Samstagabend nahmen zum ersten Mal in der kompletten Vorbereitung alle 23 Spieler teil – erstmals auch Mats Hummels, der laut dem Bundestrainer aber noch nicht für einen Einsatz gegen die Ukraine vorgesehen ist, sondern eher gegen Polen, im zweiten Gruppenspiel, am kommenden Donnerstag in die Mannschaft zurückkehren könnte.

Gibt es schon eine Entscheidung in der Kapitänsfrage?

Ja, Deutschland wird heute um 21 Uhr unter dem mutmaßlich geschlossenen Hallendach des Stade Pierre Mauroy mit einem Kapitän auflaufen. So schreiben es die Regularien der Uefa vor. Wer es wird, ist auch schon bekannt – allerdings nur einem ausgesucht kleinen Kreis, der aus Bundestrainer Löw und seinen Assistenten besteht. Selbst der Auserwählte ist noch nicht im Bilde, er wird es wie seine Kollegen erst heute in der Mannschaftssitzung vor dem Spiel erfahren. Der Bundestrainer selbst sagt zur allseits beliebten Kapitänsdebatte: „Es spielt für mich keine Rolle, wer Bastian Schweinsteiger in diesem Spiel vertritt.“ Schweinsteiger bleibe Kapitän, zumal er bei der EM auf jeden Fall noch zum Einsatz kommen werde, sagt Löw. An namhaften Persönlichkeiten, die kurzfristig für ihn einspringen können, mangelt es der Nationalmannschaft nicht. Die aussichtsreichsten sind Torhüter Manuel Neuer und Sami Khedira. Wobei Neuer zuletzt etwas häufiger mit der Binde dekoriert wurde und damit auch für das Spiel gegen die Ukraine als Favorit gelten dürfte.

Was spricht für die Deutschen?

Unter anderem die Statistik – und zwar jede nur denkbare. 1982 – in Worten: vor vierunddreißig Jahren – hat die Nationalmannschaft zuletzt das Auftaktspiel eines großen Turniers verloren. Damals unterlag die Mannschaft von Bundestrainer Jupp Derwall Algerien in Gijon mit 1:2. Seitdem gab es zum Auftakt von je acht Europameisterschaften und Weltmeisterschaften sechs Unentschieden und zehn Siege für die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes, bei 37:8 Toren. Bundestrainer Joachim Löw kann in seiner Zeit beim DFB sogar ausschließlich auf Auftaktsiege zurückblicken. Und Torhüter Manuel Neuer hat im ersten Turnierspiel sogar noch nie ein Gegentor kassiert. Bei der WM 2010 gewannen die Deutschen 4:0 gegen Australien, 2012 (1:0) und 2014 (4:0) gab es jeweils Siege gegen Portugal. Es kann also gar nichts passieren gegen die Ukraine. Genauso wie 1982 nichts passieren konnte. „Meine Spieler würden mich für doof erklären, wenn ich ihnen etwas über den Fußball der Algerier erzählen wollte“, hat Bundestrainer Derwall damals vor dem Spiel gegen die Nordafrikaner gesagt. „Wenn wir gegen Algerien verlieren, fahre ich mit dem Zug nach Hause.“ Hat er dann allerdings nicht gemacht.

Worauf ist zu achten?

Die Deutschen haben in dieser Woche hinter den grünen Plastikplanen um ihren Trainingsplatz wieder lustige Spielchen gespielt. Standardtraining hat man das früher genannt, inzwischen hat diese Spezialdisziplin etwas von „Spiel ohne Grenzen“ (die Älteren werden sich erinnern). Bundestrainer Löw hat nie besonders viel Wert auf Eck- und Freistöße gelegt, was sich in den Anfangsjahren seiner Amtszeit in einer entsprechend dürftigen Erfolgsquote widergespiegelt hat. Inzwischen ist das anders. Die Erfahrungen während der WM vor zwei Jahren, als seine Mannschaft unter anderem das Viertelfinale gegen Frankreich durch ein Kopfballtor von Mats Hummels nach einem Freistoß von Toni Kroos gewann, haben Löw umdenken lassen. Die Spieler dürfen sich selbst ein paar Freistoßtricks ausdenken und dann im teaminternen Wettstreit einem Praxistest unterziehen. Bei der WM vor zwei Jahren hat das zu jener Stolpereinlage von Thomas Müller im Achtelfinale gegen Algerien geführt. Ob er sich wieder was Besonderes habe einfallen lassen, wurde der Münchner diese Woche gefragt. „Schau’n wir mal“, hat er geantwortet. Sein Kollege Benedikt Höwedes hat von Varianten berichtet, bei denen „man sich selber ein bisschen auf die Schippe nimmt“. Hört sich nach einem echten Müller an. 

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