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Ohne Mandelbäume? Die hängenden Gärten der Bahai in Haifa.

© dpa

EM-Erlebnisse in Israel: Willmann und die Mandel des Todes

Unser Kolumnist Frank Willmann ist während der EM mit der Autorennationalmannschaft in Israel. Dort sucht er vergeblich nach Fußballbegeisterung, stattdessen macht er die unliebsame Bekanntschaft mit einer heimtückischen Frucht.

"Öffne mir die Perlenthore, o du Schmuck der Himmelstadt, Licht von Licht, zum Licht erkoren, eh die Welt den Anfang hat." Rief ich aus und die Mandel des Todes legte sich auf mein Zäpfchen. Es war nach dem Spiel Deutschland - Portugal. Ich drohte zu ersticken.

Doch der Reihe nach…

Lieber grundgütiger Leser, kein Weg ist mir zu weit, um deine Sehnsucht zu stillen. Und so machte ich mich eines Tages auf, im fernen Israel die Wege des Balls zu erkunden. Du bist meiner Seele Wonne, mein Herz nennt dich seine Sonne, schob ich voran. Doch dann. Oh große Mandel des Todes, du gruseliges Ding! Fast hättest du meinem geschätzten  Leben ein Ende bereitet! In Haifa und Tel Aviv sah ich unsere ersten beiden Gruppenspiele. Tel Aviv mit seiner schier unglaublichen Badenixendichte war eine gewaltige Prüfung für mich. Mich quälte das nackte Antlitz der Sonne und mein winziges Bierbäuchlein drängte hinaus. Ich ließ Fleisch baumeln, während in Berlin schreckliche Rocker beim Ausüben ihres Rockerhandwerks vergingen und unser aller Gauck gegen die verdammte deutsche Glücksucht predigte…

Warum nahm ich diese Schrecknisse auf mich? Die Autorennationalmannschaft kickte in der sengenden Wüste Israels, nebenher galt es den unverschleierten Blick auf das Volk zu richten. Ums vorweg zu nehmen, die Europameisterschaft, das große Haispiel der Großverdiener und Wirtschaftsbonzen, wird in Israel nur am Rande wahrgenommen. In Israel ist der Fußball klein, das Nationalteam scheitert regelmäßig in der Qualifikation. Wer richtig gut Fußball spielen kann, macht über den Jordan in Richtung Goldenes Kalb.

Wie überall in unserer schnöden Welt wird der israelische Fußball von wirtschaftlichen Interessen dominiert. Lokale Häuptlinge, Spielervermittler und Werbeindustrie spielen ihr eigenes Spiel, mästen den Fußball, um ihn zünftig zu schlachten. Israel ist übersät von wohlgestalteten Damen in Uniform. In den Gläsern ihrer Sonnenbrillen spiegeln sich ihre Waffen. Manche von den Soldatinnen lächelten zurück, als ich ihnen ein Lächeln schenkte. Den gleichen Trick versuchte ich bei verschleierten arabischen Frauen und scheiterte kläglich.

Kakerlaken und Katzen kreuzten Willmanns Weg - und eine Mandel

Beim Fußball schießt man sich nicht tot, beim Fußball schießt man Tore. Diese schöne Weisheit trieb uns in Haifa an die Glotze. Die Innenstadt von Haifa: ein paar leere Straßenzüge, alle 200 Meter ein Pub mit astronomischen Bierpreisen, wenig Urlauber. Eine triste Inszenierung. Der touristische Hauptmob lungert in Tel Aviv am Strand und lässt die Schwimmringe tanzen. Deutschland – Portugal sahen wir in einem Keller-Pub. Der Empfang war mies, offensichtlich hatten die listigen Betreiber einen Störsender ausgecheckt, der alle drei Minuten ausfiel. Wir deutsche Michel tanzten nicht auf den Tischen, die Stimmung war lau. Kein Fußballgrölen donnerte aus den Wohnzimmern, von genialen deutschen Orten des Schreckens wie der Fanmeile ganz zu schweigen.

Etwas frustriert irrte ich nach dem Spiel mit dem geschätzten Kollegen Jesus Scharfe durchs verschlafene Haifa. Kakerlaken und Katzen kreuzten unseren Weg, weit und breit keine Menschenseele. Ein Spätverkauf bot lokale Waren, Jesus erstand eine Tüte salziger Mandeln. In unserer Herberge setzten wir uns in den Garten und schauten weiteren Katzen zu, die den Mond bejaulten. Jesus reichte mir die Mandeltüte. Ich nahm eine, biss hinein, schob sie in den Gaumen. Nun geschah etwas Sonderbares. Buch Hiob 69-666! Das Mandelstück näherte sich meinem Zäpfchen. Wie durch ein Wunder saugte mein Zäpfchen die Mandel an und ließ sich von der Mandel doppeln. Die Mandel machte es sich auf meinem Zäpfchen bequem.

Entlang der Berliner Fanmeile verdienen Flaschensammler kleine Vermögen:

Ich versuchte in der Folge alles, um die Mandel von meinem Zäpfchen zu vertreiben. Die Mandel lagerte fest, es half nichts. Die Nacht ein Albtraum. Die Mandel saß fest auf meinem Zäpfchen, das inzwischen seine Größe vervierfacht hatte. Ich flehte: "Lass mich, oh Baum des Lebens, bleiben an dir einen treuen Zweig!", aber meine Stimme versagte. Ich lasse die schrecklichen Einzelheiten der folgenden Nacht aus, doch der Erstickungstod schien mir eine Gnade  Am Ende meiner Kräfte schlich ich in den Frühstücksraum. Da geschah es: Ich stolperte über die Schwelle, verbrannte mir die Hände am Herd, schlug mit dem Kopf auf die Tischkannte, ging zu Boden. In hospitalensischer Absicht begann der Hund des Pensionswirtes mir die Schnauze zu lecken. Ich würgte, würgte, würgte. Und entband die Mandel des Todes aus meinem Rachen. Ein Wunder! Geisterspuk?

Das nächste Spiel der deutschen Ballbuben sahen wir in Tel Aviv.

Keiner fährt nach Haifa, begrüßte uns kopfschüttelnd der Pensionswirt. Ich verstand ihn gut. In seiner Nähe weder Mandeln noch Hunde. Er hörte auf den Namen Schlomo Gottesmann. Ich wusste, warum.

Das Spiel gegen die niederen Lande begutachteten wir am Strand von Tel Aviv. Wir saßen in Liegestühlen. Sanft massierte ein mildes Lüftchen unsere geschwollenen Gelenke. Flankiert von bestrickenden Damen und Herren, die uns über den Umweg unserer Geldbörse alle Wünsche erfüllten, schauten wir aufs Meer. Dort stand eine riesengroße, glückverheißende Projektionsfläche. Ein entsprechender Beamer warf das Spiel darauf. Ein paar hundert Touristen und wenige Einheimische. Es hatte etwas von einer Kinoaufführung, das Publikum verhielt sich bis auf einige verirrte Holländer sehr ruhig.

Nach dem Kick blickten wir Adepten des runden Leders angestrengt einige Sekunden in die Ferne. Was sahen wir dort?

Nichts.

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