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Politische Annäherung. Bundespräsident Richard von Weizsäcker, Italiens Ministerpräsident Ciriaco de Mita und Bundeskanzler Helmut Kohl (von links) begrüßen vor dem EM-Eröffnungsspiel 1988 zwischen Deutschland und Italien die Spieler.

© picture-alliance/ dpa

EM-Geschichten (7): 1988: Skandal zwischen Frohnau und Wannsee

Das EM-Turnier 1988 findet in Deutschland statt, nicht aber in West-Berlin. Auch Kanzler Helmut Kohl kann daran nichts ändern.

Am 8. Juni eröffnen Polen und Griechenland in Warschau die Fußball-Europameisterschaft. Bis dahin blicken wir auf Besonderheiten vergangener Turniere zurück.

Die Nachricht ist eine gute, aber das geht unter am 15. März 1985, als Deutschland mal wieder mit einer sportlichen Großveranstaltung bedacht wird. Der Europäische Fußball-Verband Uefa beauftragt den Deutschen Fußball-Bund (DFB) mit der Ausrichtung der Europameisterschaft 1988. Jedoch mit einer kleinen Einschränkung, die der DFB ohne großes Murren akzeptiert: Es wird keine Spiele in West-Berlin geben.

Noch bei der Weltmeisterschaft 1974 hatten die Deutschen die Halbstadt inmitten der DDR gegen den Widerstand des Ostblocks als WM-Schauplatz durchgesetzt. Schon damals hatten die sozialistischen Staaten protestiert mit Verweis auf das Berlinabkommen von 1971, nach dem der Westteil der Stadt formal kein Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland war. Befreundete Verbände aus Südamerika und Asien waren dem DFB zur Seite gesprungen.

In Europa aber herrschen andere Mehrheitsverhältnisse, und die UdSSR meldet schon nach einer ersten Absichtserklärung der Uefa im Februar 1985, die EM 1988 nach Deutschland zu vergeben, schwere Bedenken gegen eine Einbeziehung Berlins an. Der DFB, geführt vom Saarländer Hermann Neuberger, hat sich bei seiner Bewerbung der Konkurrenz England zu erwehren und steht vor der Alternative: entweder Berlinversteher oder EM-Ausrichter.

Die Antwort ist bekannt, sie sickert schon Wochen vor der entscheidenden Sitzung der Uefa durch und verursacht einen hübschen Skandal zwischen Frohnau und Wannsee. In ein paar Wochen steigen die Wahlen zum Abgeordnetenhaus, und der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen verkündet empört, er fühle sich ausgetrickst. Unterstützung findet er im fernen Bonn. Bundeskanzler Helmut Kohl trommelt sein Kabinett zusammen und lässt zur Verteilung an die westeuropäischen Freunde in der Uefa eine diplomatische Note mit höchst undiplomatischem Inhalt erarbeiten: „Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland würde es sehr bedauern, wenn die Durchführung der Fußball-Europameisterschaft 1988 in der Bundesrepublik Deutschland ohne den Spielort Berlin (West) vorgesehen würde. Sie würde in einem solchen Falle die Vergabe der Fußball-EM 1988 an den DFB nicht für wünschenswert halten.“

Die europäischen Fußballgranden scheren sich herzlich wenig um den politischen Druck aus Bonn. Zehn Tage später vergibt die Uefa die EM an Deutschland. Heinrich Röthlisberger, Mitglied der zuständigen Kommission, lässt gelangweilt ausrichten, in der entscheidenden Sitzung sei „über Berlin überhaupt nicht geredet worden“. Neben Röthlisberger gehören zu dieser Kommission noch ein Isländer und ein Franzose, aber eben auch drei Ost-Vertreter aus der UdSSR, der CSSR und Bulgarien. „Berlin war nicht mehrheitsfähig“, sagt DFB-Präsident Neuberger und weist den Versuch jeder politischen Einflussnahme zurück. Der schottische Uefa-Delegierte David Will wertet die Bonner Note als „unglaublichen Vorgang“ und belehrt den Bundeskanzler: „Ich brauche, um eine Entscheidung als Sportfunktionär zu treffen, kein Außenministerium und erst recht keine Regierung eines anderen Landes.“

Das ursprünglich für Berlin geplante Eröffnungsspiel findet 1988 im Düsseldorfer Rheinstadion statt, ein verkrampftes 1:1 zwischen Deutschland und Italien. Ohnehin ist diese Europameisterschaft aus deutscher Sicht alles andere als ein Festival des attraktiven Fußballs. Glanz verbreiten allein die Holländer, deren große Generation um Ruud Gullit, Marko van Basten und Frank Rijkaard gerade im Zenit ihrer Kunst steht. Im Halbfinale siegt Oranje in Hamburg 2:1 über die Deutschen, deren Teamchef Franz Beckenbauer sich bei der holländischen Delegation unsterblich macht, als er nach dem Spiel den Mannschaftsbus betritt und mit einer kurzen Rede zum verdienten Sieg gratuliert.

Im Endspiel gewinnen die Holländer 2:0 gegen die Sowjetunion, van Basten schießt ein Jahrhunderttor und ganz München leuchtet orange. Und Berlin? Schmollt immer noch ein wenig. Noch ahnt niemand, dass die Frontstadt des Kalten Krieges vom politischen Kuhhandel des DFB langfristig profitieren wird. Als Kompensation für den Verlust von zwei, drei Vorrundenspielen wird die Stadt vom DFB mit der Ausrichtung des Deutschen Pokalfinales beauftragt, zunächst für fünf Jahre, später dauerhaft.

Hermann Neuberger aber bleibt in Berlin trotz dieser Morgengabe Zeit seines Lebens eine Persona non grata. Als bei der ersten Auflage des Pokalfinales im Olympiastadion 1985 der FC Bayern München sensationell 1:2 gegen Bayer Uerdingen verliert, bleibt der Platz des DFB-Präsidenten auf der Ehrentribüne leer. Neuberger verzichtet wegen unaufschiebbarer Verpflichtungen. So weit die offizielle Version. Inoffiziell heißt es, Sicherheitsexperten hätten ihm dringend von einer Reise nach Berlin abgeraten.

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