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Dänemark (mit Flemming Poulsen) feiert als Nachrücker den Gewinn der EM 1992.

© dpa

EM-Geschichten (8): 1992: "Robbi, die Kugel wartet auf dich"

Die UN-Resolution 757 ist die Grundlage dafür, dass das zerbrochene Jugoslawien bei der EM 1992 in Schweden kurzfristig ausgeschlossen wird.

Am 8. Juni eröffnen Polen und Griechenland in Warschau die Fußball-Europameisterschaft. Bis dahin blicken wir auf Besonderheiten vergangener Turniere zurück.

Auf dem Stockholmer Flughafen Arlanda steht am 3. Juni 1992 eine Maschine der jugoslawischen Fluggesellschaft JAT und wartet auf eine Startmöglichkeit. An Bord befindet sich die jugoslawische Fußball-Nationalmannschaft oder vielmehr, was von ihr übrig geblieben ist: eine Stadtauswahl Belgrads, zusammengesetzt aus den beiden Klubs Roter Stern und Partizan. In jenen Tagen treffen die Mannschaften der Reihe nach zur Fußball-EM in Schweden ein. Für Jugoslawien soll das Turnier jedoch schon zu Ende sein, bevor es überhaupt losgeht.

Nicht weniger als der Titel war der Mannschaft Jugoslawiens bei dieser EM zugetraut worden. Denn sie setzt sich aus begnadeten Spielern zusammen, Darko Pancev, Robert Prosinecki, Dragan Stojkovic, Predrag Mijatovic und einigen anderen, deren Können schon im europäischen Vereinsfußball hell strahlte. Doch über das Team bricht auf einmal die Politik herein. Kroatien und Slowenien erklären 1991 ihre Unabhängigkeit von Jugoslawien, es ist der Auslöser für einen langen und furchtbaren Krieg.

Auch von den Fußballspielern wird nun eine Entscheidung erwartet: Weiter für Jugoslawien oder nicht. Doch so einfach ist das nicht. Robert Prosineckis Mutter ist Serbin, sein Vater Kroate. Die Entscheidung wird manchen Spielern abgenommen. Durch eine Drohung. „Robbi, die Kugel wartet auf dich“, muss Prosinecki in einer Zeitung lesen, Absender sind kroatische Armeeangehörige. Nationaltrainer Ivica Osim, ein im bosnischen Sarajevo geborener Kroate, tritt nach fünf Jahren Amtszeit im Mai 1992 als Nationaltrainer zurück. Er könne „nicht länger Teamchef der Fußball-Auswahl eines Landes sein, dessen Exponenten meine Heimatstadt zerstören“. Seine Mannschaft bereitete sich aber immer noch auf die Fußball-EM in Schweden vor und bezog ein Trainingslager. Noch am 20. Mai hatte der Europäische Fußball-Verband Uefa nichts davon wissen wollen, dass Jugoslawien möglicherweise gar nicht an dem Turnier teilnimmt. „Wir müssen zunächst eine Entscheidung der Fifa abwarten“, teilte die Uefa mit und erwartete eine solche Entscheidung erst am 1. Juli 1992, also fünf Tage nach dem Endspiel der EM in Göteborg.

Was zu tun ist, das beschloss dann allerdings nicht der Weltfußballverband, sondern der UN-Sicherheitsrat. In seiner Resolution 757 verabschiedete die UN harte Sanktionen gegen Jugoslawien, also die Teile, die das Land noch trugen, Serbien und Montenegro. Auch sportlicher Austausch sollte eingeschränkt werden, hieß es darin. Jetzt reagierten die Fußball-Verbände schnell. Auf dieser Grundlage könne Jugoslawien nicht mehr an der EM teilnehmen. „Die Suspendierung Jugoslawiens wird so lange aufrecht erhalten, wie die UN-Sanktionen Gültigkeit haben“, sagte Joseph Blatter, damals Generalsekretär, heute Präsident der Fifa: „Unter sportlichen Gesichtspunkten ist die Entscheidung, Jugoslawien auszuschließen, nicht leicht gefallen. Doch der Sport muss sich nun einmal den Entscheidungen der Politik beugen.“

So politisch ist der Fußball so gut wie nie geworden. Der Ausschluss eines Landes war bis dahin allenfalls gegen Mannschaften aus Südafrika vollzogen worden, wegen des Apartheid-Regimes. Nun also Jugoslawien. Ihr Delegationsleiter Dragan Joskovic sagte in Schweden: „Wir sind tief enttäuscht über die Entwicklung. Warum konnten die Politiker nicht eher reagieren? Die Spieler haben hart für ihre Qualifikation gearbeitet, und sie sind keine Generäle oder Mörder.“

Das Team muss aus Schweden ausreisen. Doch das ist nicht mehr so leicht. Als die Maschine am 3. Juni aus Stockholm abfliegen soll, fehlt Treibstoff. Der britische Ölkonzern BP weigert sich, das Flugzeug zu betanken. Das wäre ein Verstoß gegen das Embargo, befinden die Briten. Stundenlang sitzt die 40-köpfige Delegation fest. Die Sanktionen sehen auch vor, alle Flüge von und nach Belgrad zu streichen. Die norwegische Ölgesellschaft Statoil erklärt sich nach einigen Stunden bereit, das Flugzeug zu betanken. Die Mannschaft kann ausreisen und hinterlässt noch offene Rechnungen für ihr fünftägiges Trainingslager in Schweden. Die wollte sie mit Erlösen aus Privatspielen und EM-Prämien begleichen, doch nach der UN-Resolution weigern sich andere Teams, gegen Jugoslawien zu spielen.

Für das Turnier rückt Dänemark nach, die Mannschaft, die Jugoslawien in der Qualifikation noch unterlegen war. Der Rest ist Geschichte.

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