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Auch bei der Euro 2016 gab es Kritik am Modus.

© AFP

EM-Gruppenmodus: So verwirrend können Fußballturniere sein

Der EM-Gruppenmodus ist zu kompliziert? Unser Autor weiß: Es geht noch schlimmer. Fünf absurde Beispiele - von Extrapunkten bis Torquotienten.

Es ist Konjunktiv-Zeit bei der EM. Wer wann und warum weiterkommt, ist gar nicht so leicht zu durchschauen. Sogar ein Elfmeterschießen direkt im Anschluss an eine der letzten Gruppenpartien ist möglich (falls nämlich die beteiligten Teams gerade unentschieden gespielt haben sowie punkt- und torgleich sind). Aber es hätte noch viel schlimmer kommen können, wie unsere fünf historischen Beispiele beweisen. Ein Ritt durch Extrapunkte und Torquotienten.

Platz 5: Schalke 04 1957

Zwei Jahre lang, 1957 und 1958, wurde der Deutsche Flutlichtpokal ausgespielt, an dem nur Vereine mit Flutlichtanlage teilnahmen. Bei der ersten Auflage erreichten Schalke und Eintracht Frankfurt das Finale, das in Hin- und Rückspiel ausgetragen wurde. Im eigenen Stadion lag Schalke schnell mit 3:1 vorne, doch am Ende hieß es 3:3. Vor dem Rückspiel brauchte man nun einen Tie-Breaker – eine Möglichkeit, bei unentschiedenem Spielausgang einen Sieger zu ermitteln. Am Ende einigte man sich auf ein Experiment: das Eckenverhältnis. Prompt endete das zweite Spiel 0:0. Nach 90 Minuten hatten die Schalker zwar sechs Ecken herausgeholt, Frankfurt jedoch acht. So wurde die Eintracht erster Deutscher Flutlichtpokalsieger.

Platz 4: Lincoln City 1975

In der Bundesliga gibt seit der Saison 1969/70 die Tordifferenz den Ausschlag bei Punktgleichheit. Davor galt der Torquotient, bei dem die Anzahl der erzielten Tore durch die Gegentore geteilt wird. Dieses System war umstritten, etwa weil ein Torverhältnis von 3:1 (Torquotient: 3) besser ist als eines von 8:3 (Torquotient: 2,6). So setzte sich die Tordifferenz nach und nach überall durch. In England dauerte es allerdings bis zur Saison 1975/76 – zum Leidwesen von Lincoln City. Das Team beendete die Spielzeit 1974/75 in der vierten Liga mit 57 Punkten und einem Torverhältnis von 79:48. Auch der FC Chester kam auf 57 Zähler, sein Torverhältnis lautete 64:38. Lincoln hatte also nicht nur mehr Tore geschossen, sondern auch die deutlich bessere Tordifferenz (+31) im Vergleich zu Chester (+26). Doch der Torquotient war bei Chester einen Hauch besser (1,68 gegenüber 1,65). Die Auswirkungen dieses winzigen Unterschiedes waren dramatisch: Chester stieg in die dritte Liga auf, Lincoln nicht.

Platz 3: San Antonio Thunder 1976

Schon sehr früh erkannten die Amerikaner, dass man das Problem von punktgleichen Teams ebenso elegant wie gründlich lösen kann. Zuerst einmal schafft man die Punkteteilung ab, also das Remis. So geschehen im Jahre 1974 in der North American Soccer League (NASL). Bei einem Unentschieden folgte ein Elfmeterschießen, dessen Sieger einen Extrapunkt erhielt.

Außerdem waren die Amerikaner der Meinung, dass es im Fußball ohnehin viel zu wenig Punkte gibt. Je mehr von ihnen man verteilt, desto geringer ist schließlich die Chance, dass am Ende zwei Mannschaften gleich viele haben. So wurde in der NASL ein Sieg nach 90 Minuten mit satten sechs Punkten belohnt. Und um die Offensive ein bisschen anzutreiben, galt auch noch die Regel, dass eine Mannschaft für jedes Tor einen weiteren Punkt bekam (aber maximal drei pro Spiel).

So erklärt sich, warum San Antonio Thunder in der Saison 1976 in nur 24 Spielen auf die imposante Punktzahl von 107 kam. Am Ende reichte das aber trotzdem nicht, um in die Play-offs einzuziehen. Das taten stattdessen die Los Angeles Aztecs mit George Best. Die hatten genauso viele Spiele gewonnen wie San Antonio, wiesen ein schlechteres Torverhältnis auf und waren im direkten Vergleich zweimal von den Texanern geschlagen worden. Doch irgendwo, irgendwie – vielleicht in einem der sechs Elfmeterschießen, die sie in dieser Saison absolvierten – hatte Los Angeles einen mickrigen Sonderpunkt mehr gesammelt als San Antonio.

Platz 2: Mali 2015

Bei der Afrikameisterschaft 2015 spielten Mali und Guinea in der von der Elfenbeinküste gewonnenen Gruppe D dreimal 1:1. Das Los musste bestimmen, wer auf den zweiten Platz und damit ins Viertelfinale kam. Am 29. Januar entschied es für Guinea.

Fünf Monate später fand in Neuseeland die U-20-WM statt. Auch hier war Mali in der Gruppe D. Vor dem letzten Spieltag lagen die Afrikaner gleichauf mit Uruguay. Natürlich endete die Partie 1:1. Noch am selben Tag führte Rhiannon Martin, die Fifa-Projektleiterin der WM, einen weiteren Losentscheid durch. Mali verlor erneut.

Platz 1: Uganda 1960

Der CECAFA-Cup ist vielleicht nicht jedem Leser ein Begriff, doch er hat eine lange Tradition – das Turnier ist der älteste Wettbewerb für Nationalmannschaften auf dem afrikanischen Kontinent. Schon seit 1926 kämpfen Teams aus Ost- und Zentralafrika um eine Trophäe, die damals noch Gossage Cup hieß.

Bei der Auflage des Turniers im Jahre 1960 kamen Uganda und Kenia auf dieselbe Punktzahl. Kenia hatte zwar die bessere Tordifferenz, doch damals galt noch der Torquotient (frag nach bei Lincoln City), der für beide Teams gleich war. So verfiel man auf einen wahrhaft salomonischen Gedanken: Der Pokal würde einfach für sechs Monate nach Kenia gehen und dann für sechs Monate nach Uganda.

Es gab nur ein Problem: Während ihres Aufenthaltes in Kenia verschwand die Trophäe spurlos. Erst ein Jahr später, kurz vor dem Beginn des nächsten Turniers 1961, tauchte sie wieder auf. Ein Schuft, wer Böses dabei denkt.

Uli Hesse

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