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EURO 2008 - Jubel in Moskau

© dpa

EM-Halbfinale: Die Russen vor Wien

Der holländische Trainer Guus Hiddink ist längst ein russischer Nationalheld und am liebsten würden die Russen geschlossen nach Wien reisen: Wie die Sbornaja in der Heimat gefeiert wird.

Gehofft hatten es sehr viele Russen, wirklich daran geglaubt wohl nur die größten Optimisten. Dass ihre Mannschaft heute nun tatsächlich im EM-Halbfinale gegen Spanien spielt, ist allein der Tatsache geschuldet, dass der Nationalmanschaft erstmals seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine fast perfekte Leistung gelungen ist. Ihr Auftritt im Viertelfinale gegen die Niederlande, jenes 3:1 nach 120 Minuten, hat das Volk vor Stolz förmlich elektrisiert. Momentan dreht sich im Lande alles um Pawljutschenko oder Arschawin. Fußballmuffel sucht man in diesen Tagen vergebens, der holländische Nationaltrainer Guus Hiddink hat bereits den Status eines Nationalhelden erreicht. In Sibirien, in der Nähe von Nowosibirsk, ist in der Nacht zum vergangenen Sonntag ein Junge geboren – und die glücklichen Eltern haben sich entschieden, ihn Guus Jewgenjewitsch zu nennen. Ähnliches passierte in einem Dorf im Ural-Gebirge. Der neue Präsident der Russischen Föderation Dmitri Medwedew hat dem Holländer sogar vorgeschlagen, die russische Staatsbürgerschaft anzunehmen.

Am liebsten würden die Millionen Fans nun das entscheidende Spiel gegen Spanien um den Einzug ins EM-Finale live im Ernst-Happel-Stadion in Wien erleben, aber nur ein Bruchteil von ihnen wird dazu die Chance bekommen. Nur 4000 Eintrittskarten können die Fans über den Russischen Fußballverband im „Fußball-Haus“ in Moskau und im „Russischen Haus“ in Salzburg kaufen. Ein Ticket kostet zwischen 200 und 300 Euro.

Die zweite Hürde für russische Fans ist das Visum. Für die jenigen, die sich schon in Österreich befinden und die Gruppenspiele gesehen haben, hat Österreich ein „Geschenk“ – sie dürfen in der Alpenrepublik bis zum 1. Juli bleiben, auch wenn ihr Visum abgelaufen ist. Doch jene, die kurzfristig nach Österreich reisen wollten, mussten ein Visum für 70 Euro beantragen. Die österreichische Botschaft in Moskau hatte die Anträge für ein Visum am Mittwoch noch bis 12 Uhr entgegengenommen. Viele Fans waren bereits um sechs Uhr morgens zur Botschaft gekommen, um sich in der langen Schlange anzustellen. Nach den Einschätzungen von russischen Medien werden in Wien heute zwischen 8000 und 10 00 russische Fans erwartet. Unter ihnen könnte auch der Ex-Präsident und jetzige Premier Wladimir Putin sein, dessen offizielle Zusage möglichweise kurzfristig erfolgt. Das russische Staatsoberhaupt Medwedjew wird das Spiel der „Sbornaja“, wie die russische Elf in der Heimat genannt wird, während des Russland-EU-Gipfels in Chanty-Mansijsk zusammen mit EU-Politikern sehen.

Die Mehrheit, die jedoch in Russland bleibt, wird das Spiel voller Spannung im Fernsehen verfolgen. „Fan-Zonen“ oder „Public Viewing“ sind in Moskau und anderen Großstädten nicht vorgesehen. Kein Wunder also, dass alle Tische in den Kneipen schon längst von Fans reserviert wurden. Nach dem Spiel gegen die Niederlande jubelten 500 000 Menschen in der Nacht auf den Straßen von Moskau und heute Abend erwartet man noch mehr. Moskaus Hauptstraße, die Twerskaja, wird für den Autoverkehr gesperrt sein, und im Zentrum wird am Abend das „Prohibitionsgesetz“ gelten – ab 16 Uhr darf man keine alkoholischen, aber auch keine alkoholfreien Getränke in Glasflaschen kaufen. So versucht die Polizei mögliche Schäden zu vermeiden. Die Erfahrung nach dem Viertelfinale besagt: Die Feier nach dem Spiel (oder auch Trauer) kann bei den russischen Fans sehr, sehr heftig werden.

Ljubow Rumjanzewa[Moskau]

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