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Marcel Reif. TV-Reporter und Tagesspiegel-Kolumnist.

© dpa

EM-Kolumne Europareise (3): Eine Tüte, die Angst macht

In unserer täglichen Kolumne kommentieren Marcel Reif, Moritz Rinke, Lucien Favre, Philipp Köster und Jens Mühling im Wechsel die EM. Diesmal erklärt Marcel Reif, warum er in Russland einen weiteren Favoriten auf den Titel sieht.

Wie gut diese Europameisterschaft wird, man weiß es noch nicht. Aber wenn sie so wird, wie das, was man zum Auftakt gesehen hat von der russischen Mannschaft, dann wird es eine hervorragende EM. Was war nicht vorher alles klar gewesen, dass die Favoriten die Spanier sind und auch die Deutschen. Die Holländer, ja, vielleicht. Und die Franzosen, aber von denen weiß man nicht viel, außer, dass sie eine Menge gut zu machen haben nach dieser Weltmeisterschaft in Südafrika. Und dann hat es noch ein paar Menschen gegeben, in aller Bescheidenheit, ich habe dazugehört, die geraunt haben, ob denn die Russen nicht auch zu beachten wären. Dass sie wunderbare Fußballer haben, das wusste man, aber auch, dass sie möglicherweise über ihren Zenit hinaus sind. Dass sie einen sehr sturen Trainer haben, Dick Advocaat, auch das wusste man, und wer es sagen und aussprechen wollte, der ergänzte, dass dieser Advocaat neben Sturheit auch Zielstrebigkeit vorzuweisen hat.

Und dann spielten sie auf gegen Tschechien, spielten sie her, und dass Tschechien überhaupt noch einmal rankam, lag wohl nur daran, dass die älteren russischen Herren auch einmal Luft holen mussten. Das, möglicherweise, könnte ein Manko sein, nämlich, dass sie das Tempo, das sie vorlegen, nicht neunzig Minuten halten können, und wenn doch einmal, nicht über ein ganzes Turnier. Aber das Potenzial der Russen ist gewaltig. Das ist Tempofußball der modernsten Art, auf technisch höchstem Niveau, vorgetragen voller Lust und Laune. Man mag einwenden, dass die Tschechen nicht viel zu bieten hatten, dass sie sich allzu leicht ergaben, dass sie kein Prüfstein gewesen sind, all das.

Aber zu all den Einwänden ist zu sagen, dass dazu ein Gegner gehört, der diese Schwächen erzwingt und offenbart. Das haben die Russen brillant gemacht. Mag sein, wir hatten vorher nicht wirklich gewusst, was alles in der russischen Tüte steckt, jetzt haben sie uns einmal kurz reinschauen lassen. Und siehe, es scheint eine Wundertüte zu sein. Eine, die Lust auf mehr macht. Oder aus deutscher, spanischer, holländischer, französischer Sicht, eine Wundertüte, die auch ein wenig ängstlich macht. Wann haben die Russen schon einmal etwas im Fußball gewonnen? War das vor der Erfindung des Balles? Auf jeden Fall war es, als die Europameisterschaft den Namen noch nicht wirklich verdiente. Lang, lang ist es her. Könnte sein, dass es ihnen zu lange her ist.

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