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Kann auch groß: das kleine Fürstentum Liechtenstein.

© dpa

EM-Qualifikation: Kastensystem im europäischen Fußball: Die Kleinen werden groß

Liechtenstein und die Färöer-Inseln feiern in der EM-Quali sensationelle Siege. Dabei sollen sie und die anderen Kleinen demnächst kaum noch gegen die Großen spielen dürfen.

Dass es im Weltfußball keine Kleinen mehr gibt, ist so eine Fußballweisheit, die der große deutsche Sportphilosoph Berti Vogts in den 90er Jahren geprägt hat. Vogts trug diese Erkenntnis vor allem dann gerne vor, wenn die von ihm trainierte deutsche Nationalmannschaft einen Zwergstaat nur mit größter Mühe klein halten konnte. Zu Gute halten muss man Vogts, dass er später als Trainer von Kuwait und Aserbaidschan unter Einsatz der eigenen Karriere versuchte, seine These zu untermauern.

Der Erfolg war mäßig. Vielleicht war Vogts seiner Zeit einfach voraus. Das legt der gerade laufende Spieltag der EM-Qualifikation nahe.

Das Steuerspar-Wunderland Liechtenstein hat mit 37 000 etwa so viele Einwohner wie das Märkische Viertel und besiegte am Samstag Moldawien mit 1:0. Es war der zweite Sieg Liechtensteins bei einem offiziellen Auswärtsspiel und der erste gegen einen Nicht-Zwerg. Das 1:0 der Färöer in Griechenland war der erste Sieg in einem offiziellen Spiel gegen eine ausgewachsene Fußballnation überhaupt. Auf der Atlantik-Insel leben etwa 80 000 Schafe, aber nur knapp 50 000 Menschen, das entspricht Berlin-Weißensee. Sogar das überwiegend einem einem Felsen bestehende Gibraltar lieferte bei Weltmeister Deutschland ein achtbares Spiel inklusive Torchancen.

Es entsteht ein Kastensystem des europäischen Fußballs

Die Nicht-mehr-Kleinen begehren gerade in einer Zeit auf, da ihnen Spiele gegen die Großen verwehrt werden sollen. Nach einem Vorschlag, den wohl nur Uefa-Präsident Michel Platini in all seiner verwegenen Finesse selbst versteht, soll die bisherige Qualifikation ab der Euro 2020 durch eine Uefa Nations League ergänzt und eventuell schrittweise ersetzt werden. Der Kern der Reform ist das Anliegen von Deutschland, Spanien und den anderen Elefanten des Kontinents, nicht mehr gegen San Marino, Liechtstein & Co antreten zu müssen, weder zu Freundschafts- noch zu Qualifikationspartien. Es soll eine Art Kastensystem des europäischen Fußballs entstehen. Kicken dürfen die Kleinen weiterhin – nur eben unter sich.

Die Uefa muss nun hoffen, dass ihre Reform greift, bevor die Kleinen endgültig erwachsen werden. Liechtenstein liegt in seiner Gruppe nach fast der Hälfte der Quali nur zwei Punkte hinter dem Tabellenzweiten Schweden. Nordirland und Albanien, auf der Fußballkarte bislang eher tote Flecken, wären momentan sogar für die Euro qualifiziert. Was macht die Uefa also, wenn Berti Vogts’ prophetische Worte mit 20 Jahren Verspätung wahr werden? Vielleicht gibt es dann, wenn niemand mehr die Größenverhältnisse überblickt und Fußball-Europa desorientiert nach neuer Ordnung lechzt, eine zukunftsweisende Reform der Reform.

Alle europäischen Länder könnten auf Gruppen von etwa sechs Mannschaften aufgeteilt werden, von denen eine oder zwei für die kommende Europameisterschaft qualifiziert sind. Die steigt 2024 wahrscheinlich in Deutschland, das sich mit den anderen Etablierten, vor allem mit England, bereits Jahre vor der Vergabe darauf verständigt hat. Vielleicht kehrt dann ja auch der Fußball-Reisende Berti Vogts, weise und weltgewandt, in seine große Heimat zurück.

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