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Große Party nach dem Sieg.

© dpa

EM-Sieger Portugal: Die Rache der Schönspieler

Seit Sonntag hat die „Winning-ugly“-Fraktion des Weltsports prominenten Zuwachs bekommen. Die Portugiesen haben sich den Gegebenheiten angepasst und verdient gewonnen. Ein Kommentar.

Von Christian Hönicke

Wer kann sich noch an Brad Gilbert erinnern? Der US-Amerikaner war eine Art Guerilla-Kämpfer mit Tennisschläger in der Hand. Mit mäßiger Begabung gesegnet, entnervte er dennoch die Stars in schöner Regelmäßigkeit, besonders gern den Deutschen Boris Becker. Über seine Spielphilosophie hat er später ein Buch geschrieben, das inzwischen als Standardwerk aller Sportkämpfer gelten muss. „Winning ugly“ heißt es, zu deutsch etwa „Schmutziges Siegen“. Darin beschreibt Gilbert detailliert, mit welch fiesen Tricks man deutlich talentiertere Gegner zur Strecke bringen kann.

Seit Sonntag hat die „Winning-ugly“-Fraktion des Weltsports prominenten Zuwachs bekommen. Es sind die portugiesischen Fußballer. Jahrzehntelang haben sie schön gespielt, die Herzen der neutralen Fans in den frühen Runden der Turniere höher schlagen lassen - und sind dann doch regelmäßig kurz vorm Ziel gescheitert.

Die Portugiesen sind die neuen Griechen

Es ist eine perfide Laune des Fußballgotts, dass all die vermeintlich Goldenen Generationen um die Eusebios, Luis Figos, Joao Pintos oder Decos von dieser Kämpfertruppe rund um den Einzelvermarkter Cristiano Ronaldo übertrumpft wurden. 2004, bei der EM im eigenen Land, waren die Portugiesen das beste Team, und doch wurden die Ballkünstler am Ende von den raubeinigen Griechen vom Sockel getreten. Nun, zwölf Jahre später, sind sie selbst die neuen Griechen. Es ist die späte Rache der Schönspieler.

Portugals Keeper Anthony Lopes, Verteidiger Raphael Guerreiro, Stürmer Nani und Verteidiger Pepe (von links nach rechts).
Portugals Keeper Anthony Lopes, Verteidiger Raphael Guerreiro, Stürmer Nani und Verteidiger Pepe (von links nach rechts).

© AFP

Angeführt von Trainer Fernando Santos, der den Seinen das Verlieren im entscheidenden Moment austrieb und Taktiktreue und Härte als heilige Mittel zum Zweck eintrichterte. Es war auch ein mentaler Triumph, frei nach Brad Gilbert. Das Team fiel nicht in sich zusammen, als der wichtigste Mann von Bord getragen werden musste.

Portugal hat nicht gezaubert wie früher

Ästheten mögen Portugals Sieg verteufeln, doch was wird das die Portugiesen kratzen? Sie passten sich nur den Gegebenheiten an, die doch der Franzose Michel Platini mit seiner Aufstockung auf 24 Teams allen eingebrockt hatte. So erlaubte es der Modus, sich durch die Gruppenphase zu taktieren, und so landete Portugal als sieg- und niederlagenloser Dritter in der vermeintlich leichteren Hälfte des Turnierbaums.

Allein, es gab bei diesem Turnier kein überragendes Team, auch auf der anderen Baumseite nicht. Europas Fußballelite näherte sich auf bescheidenem Niveau gegenseitig an. Man darf es sagen: Portugal ist ein verdienter Europameister, und es ist der Europameister, den dieses Turnier verdient hat. Mag sein, dass es nicht gezaubert hat wie früher. Aber das ist wohl eher das Problem der enttäuschten Erwartung des Publikums. Haben Isländer, Waliser oder Nordiren, denen die Herzen zuflogen, denn so viel anders gespielt? Beim Turnier der Kleinen hat der größte Kleine am Ende den Pokal abgestaubt. Und auch in Portugal wird sich nun die Erkenntnis durchsetzen, dass die schmutzigsten Siege manchmal die schönsten sind.

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