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Sport: Ende des Höhenflugs

Erstmals seit langer Zeit ist das Auftaktspringen der Vierschanzentournee nicht ausverkauft

Wer in diesen Tagen die „Tickethotline“des Skiclubs Oberstdorf anruft, kann in den Genuss alten Liedguts kommen. In der Warteschleife ertönt jener Song, der für die Nordische Ski-WM im Februar 2005 komponiert wurde und dessen Haltbarkeitsdatum offenbar noch nicht abgelaufen ist. „We fly so high in Oberstdorf“, lautet der Refrain, es ist allerdings zu befürchten, dass der Song keinen Höhenflug mehr erleben wird. Es rufen nämlich nicht mehr so viele Interessenten an.

Von insgesamt 25000 Karten sind für das morgige erste Springen der 54. Vierschanzentournee beim Skiklub Oberstdorf noch 3000 Karten erhältlich. „Das hat es schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gegeben“, sagte die Dame bei der Tickethotline. In den vergangenen Jahren war das Springen auf der Schattenbergschanze mindestens einen Monat vorher ausverkauft.

„Der Boom hat nachgelassen“, stellt der Oberstdorfer Organisationschef Claus- Peter Horle fest. Diese Entwicklung bekam die Vierschanzentournee bereits im letzten Jahr zu spüren, doch nun erlebt erstmals auch das erste Springen in Oberstdorf das schwindende Interesse. Dabei hatten die Verantwortlichen vorsorglich sogar die Preise einer Kartenkategorie herabgesetzt. Doch auch das half nicht mehr, das Stadion frühzeitig zu füllen. „Es fehlen die Helden“, sagt Claus-Peter Horle. Diese hießen Sven Hannawald und Martin Schmitt. Doch Hannawald erkrankte am Erschöpfungssyndrom und hat in diesem Sommer seine Karriere beendet. Der 30-Jährige wird am Donnerstag nur noch zur Schattenbergschanze zurückkehren, um sich von den Organisatoren der Vierschanzentournee offiziell verabschieden zu lassen. Und Martin Schmitt springt zwar immer noch mit. „Aber sportlich ist er nicht mehr so richtig dabei“, sagt Horle. Nun gibt es zwar den Tournee-Mitfavoriten Michael Uhrmann und den Oberstdorfer Georg Späth im deutschen Team. Aber auch ihnen trauen nur wenige zu, einen neuen Boom auszulösen. „Georg Späth ist wie seine Familie – ein bisschen ruhig“, sagt Horle, „es fehlen die illustren Typen“. So kommt es, dass im Auslaufraum nicht mehr zahnspangentragende Teenager die Überflieger empfangen. Sondern ältere Männer. „Jetzt kommen eher Familien oder Männer zwischen 40 und 55 Jahren“, sagt Horle.

An den Einschaltquoten lässt sich schon länger feststellen, dass die beste Zeit des Skispringens vorbei ist. Im vergangenen Jahr kamen Gerüchte auf, dass der Fernsehsender RTL, der sich im Jahr 2001 für 77 Millionen die Rechte bis 2007 gesichert hat, vorzeitig aussteigen wolle. Gestern dementierte der Sender dies erneut. Die Werbepreise aber waren bereits zu diesem Zeitpunkt auf 38 000 Euro pro 30 Sekundenspot gesunken. Vor vier Jahren mussten noch 60 000 Euro bezahlt werden.

In den letzten Jahren hat sich der gesamte Deutsche Skiverband zu einem Großteil aus dem Geld finanziert, das RTL überwies. Längst ist klar, dass der Verband einen ähnlich lukrativen Vertrag für das Skispringen nicht mehr abschließen kann. Der Verband setzt daher auf jene Sportarten, die in den letzten Jahren das Skispringen an Erfolgen übertroffen haben: Nordische Kombination, Langlauf und Biathlon. „Wir müssen sicherstellen, dass wir auch in den kommenden Jahren Spitzenleistungen anbieten“, sagt der DSV-Generalsekretär Thomas Pfüller. Aus diesem Grund hat er das Nachwuchsprogramm aller Wintersportarten intensiviert.

Für den Kurort Oberstdorf im Ostallgäu wirken sich die Probleme der Vierschanzentournee nicht sonderlich negativ aus. „Wir haben zurzeit 18 000 Gäste im Ort, wie immer“, sagt Claus-Peter Horle. Oberstdorf ist ein beliebter Ferienort, das erste Springen der Vierschanzentournee bildet nur ein Zusatzangebot für die Touristen. Die neue Wettkampfzeit von 16.30 Uhr wirkt sich sogar positiv auf den Ort aus. „Das entflechtet den Rückreiseverkehr mit den Skiurlaubern“, sagt Claus-Peter Horle. Der Stau in Richtung Kempten nach dem ersten Springen der Tournee hatte in den Jahren des Skisprung-Booms zugenommen. Weshalb es nun so manchen lärmgeplagten Ostallgäuer geben dürfte, der den Zuschauerrückgang in Oberstdorf gar nicht so schlecht findet.

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