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Sport: Entzaubert

Nach Bayerns Blamage steht fast alles in Frage

Es hat nicht wirklich gemundet im stilvollen Grand Hotel Viscanti. Mögen sich die Mailänder Köche die größte Mühe gegeben haben: Das feudale Mitternachtsbankett, zu dem der FC Bayern München bat, geriet zum Stimmungstöter. Für KarlHeinz Rummenigge war die Gelegenheit günstig, um nach dem 1:4 beim AC Mailand und dem damit verbundenen Achtelfinal-Abschied in der Champions League zur Abrechnung zu bitten. „Das war ernüchternd: Nicht jeder hat 100 Prozent gegeben. Uns haben Leidenschaft und Wille gefehlt“, zürnte der Vorstandsboss. Manch Protagonist blickte betreten auf den leeren Teller. Andere – wie Torwart Oliver Kahn – verzogen sich während der Rede in die Lobby, der Rest flüchtete später auf die Zimmer.

Trainer Felix Magath hatte in seiner erschreckend banalen Analyse lediglich von „einem traurigen Abend“ gesprochen, für Rummenigge war es „eine große Blamage“: Unverständlich, „warum wir eine halbe Stunde lang ohne Körperkontakt gespielt haben und gar nicht auf dem Platz waren“. Kurzum: „Es war ein Albtraum, auf welche Art und Weise unsere internationalen Träume geplatzt sind“, gestand Rummenigge. Er mahnte an, die restlichen Ziele zu erreichen. Deutsche Meisterschaft und Pokalsieg sollen es schon noch sein.

Für einen FC Bayern, der zuvorderst das internationale Betätigungsfeld für sich zur einzig selig machenden Selbstbestätigung ausgerufen hat, sind Ergebnis und Erlebnis im Giuseppe-Meazza-Stadion ein Desaster. Die Münchner, sie wirkten mit dem vom AC Mailand zelebrierten anspruchsvollen Geschwindigkeitsfußball der Neuzeit überfordert. Nach nicht einmal einer Stunde war die 1:4-Demütigung nach Toren von Inzaghi (zwei), Schewtschenko und Kaka vollbracht. Den Gegentreffer hatte Milans Torwart Dida Münchens Ismael geschenkt. In die Kritik gerät auch Bayerns Trainer Magath. Scheint für die nationalen Begehrlichkeiten beinahe einerlei, wer auf der Trainerbank der Bajuwaren Platz nimmt, ist für internationale Erfolge offenbar mehr gefragt – auch auf Trainerseite.

Rummenigge wie Manager Uli Hoeneß kündigen Debatten über die Personalstruktur an, man werde genau überlegen, wo Handlungsbedarf besteht. Sollen doch noch ein, zwei Topstars her, die Leaderfunktionen ausüben? Offenkundig gibt es auch teaminterne Probleme: Die drei großen Fraktionen (Deutsche, Franzosen und Südamerikaner) im Bayern-Ensemble sind zwar in Harmonie vereint, schaffen es indes nicht, für die größten Aufgaben in der Champions League jenen Pioniergeist zu schmieden, der die Münchner 2001 zum Titel trieb. Mag über die Rolle Stefan Effenbergs bis heute gestritten werden – unter den enttäuschten Fans wurde nach Ballacks uninspiriertem Auftreten oft von Effenberg gesprochen.

Der gesamte deutsche Fußball wirkt nach den 1:4-Niederlagen der Nationalelf und der Bayern von den Italienern entzaubert. Dass der AC Milan für Nationalstürmer Alberto Gilardino, der Klinsmanns vermeintliche Eliteverteidiger allein schwindlig gespielt hatte, in der Anfangself keine Verwendung hatte, verdeutlicht das ganze Dilemma. Eines, in dem die gesamte Bundesliga steckt, deren hochgejazztes Treiben als Blendwerk enttarnt ist. „Bei einigen Spielern hat es nicht gereicht“, sagte Hoeneß. Doch es langt insgesamt nicht mehr für eine sich selbst belügende Liga, deren Fans wieder einmal staunend vor den Flachbildschirmen hocken, wenn Europas Elite nach dem bedeutendsten Titel des Vereinsfußballs strebt.

Seiten 2 und 8

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