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Sport: Er hofft, er wünscht, er träumt

Auf Fabian Hambüchen lastet viel Druck – er ist einer der wenigen herausragenden deutschen Sportler. Beim Reckturnen in Peking gilt der 20-Jährige als Favorit auf die Goldmedaille

Die längsten Sekunden sind die Schrecksekunden, und einige davon tickten nach Fabian Hambüchens Training am Boden quälend langsam vor sich hin. Den letzten Sprung hatte er nicht mehr vollständig ausführen können. Und statt sicher auf den Füßen zu landen, knallte er auf den Rücken und blieb einfach liegen. War ihm etwas passiert? Der aufregende Moment stellte sich als Verschnaufpause heraus. „Ich war einfach platt, ich muss ja auch mal atmen“, sagte Hambüchen. Und Bundestrainer Andreas Hirsch wertete selbst diese verunglückte Landung als Stärke seines Athleten: „Fabian hat die Notbremse gezogen. Fabian Hambüchen kann das. Er weiß, was er tut.“

Jede falsche Bewegung von Fabian Hambüchen kann derzeit ein Anlass zur Sorge sein. Weil sie eine große Gelegenheit zerstören könnte. Das weiß er selbst am besten. „Ich habe die Riesenchance, in diesem Jahr Olympiasieger am Reck zu werden“, sagt Hambüchen. Das Reck ist die Looping-Bahn unter den Turngeräten; und es zu beherrschen ist neben einem Sieg im Mehrkampf die größte Leistung für einen Turner.

Dafür hat Hambüchen am späten Mittwochabend noch einmal geübt, und zwar an Ort und Stelle, dort, wo die Entscheidung fällt, in der Nationalen Sporthalle von Peking. Podiumstraining nannte sich das, eine Art Generalprobe, um sich schon einmal vertraut zu machen mit den Geräten, mit dem Licht in der Halle und um ein Gefühl für den Raum zu bekommen. „Das war ganz schön anstrengend, weil man an einem Gerät bis zu dreimal seine Übung turnt“, sagte Hambüchen. Am Ende habe ihm daher die Kraft gefehlt, um seinen letzten Sprung noch auf die Füße zu stellen.

In Peking ist Hambüchen einer der herausragenden deutschen Athleten, gemeinsam mit der Schwimmerin Britta Steffen, dem Tischtennisspieler Timo Boll, dem Basketballer Dirk Nowitzki und nur noch wenigen anderen. Sie würden auch ein hübsches Gruppenbild abgeben – vor allem Hambüchen mit seinen 1,63 Meter neben Nowitzki, der exakt einen halben Meter größer ist. Hambüchens herausgehobene Rolle in der deutschen Mannschaft hat jedenfalls einige Gründe. Unter anderem auch den, dass er eine deutsche Ahnenreihe fortsetzt, die als Breitensport bei Turnvater Jahn anfing und über Reckweltmeister Eberhard Gienger und Olympiasieger Andreas Wecker nun bis zu ihm reicht. Nun will der 20 Jahre alte Hesse sein Erbe in Gold fassen.

Aber will Hambüchen wirklich die Goldmedaille? Da macht er einen feinen Unterschied: „Ich habe nie gesagt: Ich will. Ich habe gesagt: Ich hoffe, ich wünsche, ich erträume mir. Ich brauche mich nicht dafür zu verstecken, was ich träume.“ Diesen Traum habe er schon als kleiner Junge gehabt, und jetzt ist daraus eine Favoritenrolle geworden. Als Weltmeister am Reck aus dem vergangenen Jahr in Stuttgart. Als Weltrekordhalter, wenn man das einmal so nennen darf, denn er hat die bisher am besten benotete Übung geturnt mit einem Ausgangswert von 7,3 und einer Gesamtpunktzahl von 16,65.

Bei diesen Olympischen Spielen und den am Samstag beginnenden Turnwettbewerben ist er jedenfalls nicht mehr der 16 Jahre alte Neuling wie noch vor vier Jahren in Athen, als er völlig überraschend ins Reckfinale kam und dort Siebter wurde. „Ich bin stärker geworden, habe ein paar Zentimeter zugelegt und mein Abi geschafft“, sagt er. Einiges ist aber auch geblieben. Fabian Hambüchen betreibt Turnen immer noch im Familienunternehmen. Sein Vater Wolfgang trainiert ihn nach wie vor, auch wenn sich die Beziehung ein wenig gewandelt hat: „Ich bin im Laufe der Jahre mehr zu einem Helfer, Betreuer, zum gleichberechtigten Mitarbeiter geworden“, sagt Wolfgang Hambüchen, „aber das läuft ähnlich stressfrei wie vor vier Jahren. Aus meiner Sicht ist es eine ziemlich perfekte Nummer.“

Fabian Hambüchens Onkel Bruno kümmert sich um das mentale Wohlbefinden. Er ist auch nach Peking mitgereist, um ihn besser auf die Situation vorzubereiten mit 18 000 Zuschauern in einer ausverkauften Halle. „Ich werde das eine oder andere Gespräch mit meinem lieben Onkel Bruno haben und dann wird das Ding schon laufen“, sagt Hambüchen.

Auf die Spiele in Peking hat sich Hambüchen meist mit einer 32-Stunden-Woche vorbereitet. Jeden Tag Training, außer Mittwochnachmittag, Samstagnachmittag und Sonntag, an dem er nicht selbst turnt. Seiner Selbstdisziplin hat er an Sonntagen aber nicht frei gegeben. „Wenn ich dann zum Beispiel unnötig fettiges Zeug esse, hänge ich montags nur am Gerät herum.“ Die freie Zeit hat er manchmal im Internet verbracht. Er wollte herausfinden, was seine Konkurrenten vorbereiten, wie schwierig ihre Übungen sind. „Die Einzigen, von denen man weniger mitbekommt, sind die Chinesen. Aber ich habe das eine oder andere Video bei Youtube gefunden“, sagt Hambüchen. An anderen Geräten übertreffen ihn die Chinesen manchmal, nicht aber am Reck, das hat ihn beruhigt. Der Mannschaftswettbewerb mit der deutschen Riege ist ihm wichtig, der Mehrkampf der nächste Höhepunkt, aber sein Traum ist das Reckfinale. 50 Sekunden wird seine Übung dauern, vielleicht auch 55. Sekunden, in denen Hambüchen die Reckstange mal biegen wird mit seinen Kräften und mal überfliegen. Sekunden, die dann vielleicht viel zu schnell vorbeigehen.

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