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Sport: Erfolgreich leiden

Von Felix Meininghaus Dortmund. Als Matthias Sammer nach dem Spiel in Hamburg über die Geschehnisse auf dem Feld und die aufwühlenden Nebenerscheinungen berichtete, wirkte der Mann ein wenig wie ein Pennäler, den sie mit einem Spickzettel beim Pfuschen erwischt haben.

Von Felix Meininghaus

Dortmund. Als Matthias Sammer nach dem Spiel in Hamburg über die Geschehnisse auf dem Feld und die aufwühlenden Nebenerscheinungen berichtete, wirkte der Mann ein wenig wie ein Pennäler, den sie mit einem Spickzettel beim Pfuschen erwischt haben. „Es tut mir Leid“, sagte Dortmunds Trainer und lächelte verlegen, „ich habe mich verhalten wie ein Spieler.“ Wie ein Derwisch war Sammer nach einem Foul an seinem Schützling Tomas Rosicky an der Linie entlang getobt, hatte Sergej Barbarez den Ball ins Kreuz geschossen und war daraufhin auf die Tribüne verbannt worden.

„Solche Ausbrüche stehen mir nicht zu“, räumt Sammer ein. Obwohl sie den notorischen Grantler auf der Bank der Borussia sehr viel menschlicher erscheinen lassen. Doch Sammer selbst hat sich die Zurückhaltung verordnet.

Die Rückfälle in die Zeiten als Kicker will der 34-Jährige vermeiden. Auch, weil er sich Aktionen wie die von Hamburg schon rein körperlich nicht leisten kann. Er müsse nun erstmal sein Knie kühlen, hat Sammer in Hamburg gesagt. Was als Scherz gemeint war, hat einen verdammt ernsten Hintergrund. Noch immer ist das malade Knie, das den begnadeten Libero zum vorzeitigen Ende seiner Karriere zwang, nicht belastungsfähig. Matthias Sammer ist ein Trainer wider Willen, aber ein sehr erfolgreicher. Am Samstag kann er die Borussia mit einem Sieg über Werder Bremen zur Deutschen Meisterschaft führen, am kommenden Mittwoch gegen Feyenoord Rotterdam auch noch den Uefa-Cup gewinnen. Nicht schlecht für einen, der erst im zweiten Jahr den – ungeliebten – Job auf der Trainerbank macht.

Matthias Sammer leidet immer noch am vorzeitigen Ende seiner aktiven Karriere. „Ich würde alles Geld der Welt dafür geben, wenn ich noch einmal spielen könnte“, hat er nach dem nervenaufreibenden Rückspiel im Halbfinale des Uefa-Pokals in Mailand gesagt. Das vorschnelle Ende seiner Karriere verfolgt den begnadeten Libero bis heute. Man kann sich gut vorstellen, welchen Seelenschmerz es einem bereitet, sich hinzusetzen, zuzusehen – wenn er doch so gerne das täte, was er am besten beherrscht und was ihm am allermeisten Spaß macht: mit den anderen rennen, grätschen und schießen.

Nur wer die Umstände berücksichtigt, unter denen er auf der Dortmunder Bank gelandet ist, kann den Trainer Matthias Sammer und sein Verhalten richtig einordnen.

Vielleicht wird der Versuch leichter, sich einem in der Öffentlichkeit ständig überkritisch auftretenden Trainer zu nähern, wenn man zum Vergleich den ehemaligen Kollegen Marco van Basten heranzieht.

Auch Hollands Stürmerlegende wurde durch Knieverletzungen zum Aufhören gezwungen. Danach wurde van Basten von allen Seiten bekniet, als Kommentator oder Kolumnist zu arbeiten, doch der sensible Star weigerte sich. Er fühle sich nicht imstande, auf der Bühne zu sitzen, weil ihn ständig das Gefühl verfolge, selbst auf den Rasen zu gehören.

Van Basten betrat jahrelang kein Stadion. So ausgeprägt ist das Trauma bei Matthias Sammer nicht. Doch auch der 34-Jährige hat Mechanismen entwickelt, um mit dem Unvermeidlichen fertig zu werden. Längst tut der Mann, der als leidenschaftlicher Fußballer mit unbändigem Temperament der Schrecken aller Gegenspieler und Schiedsrichter war, alles dafür, in neuer Position diesen wichtigen Bestandteil seiner Persönlichkeit zu verleugnen: Stets gibt er sich größte Mühe, möglichst besonnen und distanziert zu erscheinen. Dieses Verhalten ist ein Schutz vor der Gefahr, wieder zu tief in das Geschehen gezogen zu werden, dessen vitales Zentrum er so vermisst.

Offenbar lässt sich das Leiden Sammers leichter ertragen, indem er Distanz schafft. Auch wenn es schwer fällt und in ihm brodelt. Nur ganz selten verliert der Mann, von dem sein früherer Chef Ottmar Hitzfeld sagt, er habe „schon als Spieler analytisch und strategisch gedacht wie ein Trainer“, die selbst auferlegte Contenance. Wenn es in Ausnahmesituationen wie in Hamburg aus ihm herausbricht, bekommt der Betrachter eine Ahnung, dass der Spieler Sammer noch immer nicht richtig auf der Trainer- Seite angekommen ist.

Das ist die eine Seite. Die andere zeigt einen Mann, der sich früher als „Bauchmensch“ charakterisiert hat und heute über sich sagt: „Ich fürchte, bei mir gehen die Dinge mittlerweile auch sehr stark durch den Kopf.“ Dann kommen Aussagen zustande wie nach dem aufregenden Spiel gegen Köln, das Dortmund nur dank eines unberechtigten Foulelfmeters gewonnen hatte, was die ganze Fußballnation gegen den Klub aufbrachte. In dieser brodelnden Situation wünschte sich Sammer „für die Zukunft mehr Sachlichkeit, auch wenn das wohl ein bisschen blauäugig ist".

Sammer verfolgt konsequent den Weg, den er als Trainer eingeschlagen hat. Auch in der jetzigen Phase, in der sich die Saison dramatisch zugespitzt hat und seine Mannschaft in den letzten beiden Partien gegen Bremen und Rotterdam zwei Titel gewinnen oder aber auch verlieren kann. Sammer bleibt sich treu. Viele mögen ihn als ewigen Nörgler geißeln, die Zurückhaltung hat auch ihre guten Seiten. So hat sich Matthias Sammer nach anfänglichem Geplänkel aus den verbalen Scharmützel mit Klaus Toppmöller in den vergangenen Wochen herausgehalten. Aus der Überzeugung heraus, dass „dies gerade in der jetzigen Zeit, in der Fußball ein Imageproblem hat, schädlich ist". Seitdem hat er die Abteilung Attacke bei der Borussia lieber Manager Michael Meier und Präsident Gerd Niebaum überlassen. Und die Wertschätzung, die ihm der Kollege Toppmöller versagt, bekommt er von anderen Leverkusenern. Der Leverkusener Stürmer Ulf Kirsten hält Sammer längst für höhere Aufgaben geeignet: „Wenn Rudi Völler nach 2006 nicht mehr weiter machen sollte, dann wäre Matthias der ideale Bundestrainer."

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