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Sport: Erfolgslust vergangen

Der FC Bayern sucht nach Gründen für die sportliche Krise

München. Über den Verlauf von Oliver Kahns Spiel ist nichts Näheres bekannt. Allein die Tatsache, dass er am Samstag in Baden-Baden Golf spielte, wurde mit Fotobeweis in einer bundesweit verbreiteten Sonntagszeitung veröffentlicht. Wäre Kahn nicht motivationstechnisch über alle Zweifel erhaben, könnte man sich schon wundern, wieso er nicht in München unter einer roten Wolldecke auf der Ehrentribüne saß und zusah beim 3:3 gegen Hannover 96. Trainer Ottmar Hitzfeld begründete Kahns Fremdgehen als „Maßnahme, um den Kopf freizukriegen, denn er ist total überstrapaziert“.

Eine weise Entscheidung, denn hätte der verletzte Torhüter mitansehen müssen, was seine Kollegen gegen Hannover veranstalteten, er hätte womöglich seine Karriere noch vor dem Schlusspfiff beendet. Zumal Mehmet Scholls launige Aussagen nach dem Spiel ein tiefergehendes und länger anhaltendes Motivationsproblem erahnen lassen. „Uns fehlt eine gehörige Portion Erfolgslust, die Geilheit auf Erfolg.“ Die Potenzprobleme eines deutschen Rekordmeisters.

Nicht allein der Punktverlust gegen den Neuling vom Abstiegsplatz schmerzte. Das Zustandekommen der drei Gegentore löste Verwunderung und Ernüchterung aus. Beim ersten Gegentor unterlief Torwart Stefan Wessels in ungelenker Weise einen Eckball, und Claudio Pizarro machte keine Anstalten, seinen Gegenspieler Zuraw bewachen zu wollen. Beim 1:2 ließ sich Pablo Thiam im Strafraum ohne Gegenwehr den Ball stibitzen. Und beim späten Ausgleich zum 3:3 sprang Jens Jeremies unter einer Flanke so elegant durch wie beim Würstchenschnappen auf dem Kindergeburtstag, bevor Samuel Kuffour den Ball persönlich ins eigene Tor drückte. Zudem legte Robert Kovac den Hannoveranern dreimal völlig ohne Not den Ball vor die Füße, allein Wessels und der Latte war zu verdanken, dass daraus keine weiteren Gegentreffer entstanden. Was sich die Offensive, allen voran der quirlige Mehmet Scholl mit tollen Freistößen und Weitschüssen und der treffsichere Stürmer Giovane Elber mit den Saisontoren neun und zehn, hart erarbeite, stießen die Kollegen mit defensivem Auftrag wieder um. „Man kann nicht immer vier oder fünf Tore schießen, um das auszugleichen, was in der Abwehr schief geht", sagte Trainer Hitzfeld.

Den Bayern fehlt wohl ein Abwehrchef, wie es bis vor zwei Jahren Patrik Andersson war. Schon in der vorigen Saison bemerkte man einige Male Schwächen in der Hintermannschaft. Eklatant wurden diese aber erst in der laufenden Spielzeit. Dabei hätte man den Zustand beheben können, was Ottmar Hitzfeld seit Wochen immer wieder zugibt: „Wir mussten uns entscheiden, ob wir einen Abwehrspieler holen, oder Zé Roberto.“

Und auch wenn der Bayern-Trainer nach dem Hannover-Spiel tapfer behauptete, dass „die Abwehr im taktischen Bereich steht, und wir nur die persönlichen Fehler abstellen müssen“, so darf man bei einer derartigen Häufung von persönlichen Fehlern die Frage nach der persönlichen Klasse stellen. Das Motto früherer Tage, nämlich den Gegner einzuschläfern, die Null zu betonieren und irgendwann schließlich das Tor des Tages zu erzielen, dieses Motto mag man kaum mehr für möglich halten, wenn man der Bayern-Defensive 2002 so bei der Arbeit zusieht. Ottmar Hitzfeld sucht nach Gründen: „Vielleicht sind wir zu lieb. Wir müssen die Philosophie ändern und wieder mal rustikaler spielen.“ Am Dienstag geht es darum, mit einem Sieg in La Coruña die letzte kleine Chance zu wahren, nicht schon in der ersten Runde der Champions League auszuscheiden.

Hitzfeld macht weiter in Optimismus: „Wir können jede Mannschaft in Europa schlagen, auch in der derzeitigen Verfassung.“ Voraussetzung dafür ist allerdings eine gute Abwehrleistung. Im Hinspiel leisteten sich die Bayern drei Fehler mit der Abseitsfalle. Dreimal stürmte La Coruñas Roy Makaay allein auf Torwart Oliver Kahn zu und traf dreimal. Abwehrfehler. Was sonst?

Detlef Dresslein

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