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Sport: Ersatz für den Unersetzlichen

Tim Borowski gilt als erster Ballack-Vertreter, dabei könnte er weit mehr sein

Den wichtigsten Sommer seiner Karriere hat Tim Borowski vermutlich vor einem Jahr in Deutschland verbracht. Es war beim Confed-Cup, die deutsche Fußball-Nationalelf spielte sich schon mal richtig in Laune, und auch Borowski durfte an dieser erfreulichen Veranstaltung teilnehmen. Jede Trainingseinheit hat er damals mitgemacht, und einmal ist er auch eingewechselt worden, im Halbfinale gegen Brasilien – drei Minuten vor Schluss. Spätestens seitdem stehen Bundestrainer Jürgen Klinsmann und sein Assistent Joachim Löw im Verdacht, mit Borowski nicht viel anfangen zu können.

Wenn das stimmt, müsste sich Löw am Donnerstag einen üblen Scherz mit Borowski erlaubt haben. Die Nationalmannschaft hatte gerade gegen die A-Jugend von Servette Genf gespielt, und Borowski, der Mittelfeldspieler des SV Werder Bremen, war nach knapp einer halben Stunde für den verletzten Michael Ballack eingewechselt worden. „Borowski war der beste Spieler auf dem Platz“, sagte Löw. „Er hat jeden Ball schön tief in die Gasse gespielt und immer die Lösung nach vorne gesucht. Das war richtig intelligent.“ Darf man einen Nationalspieler nach einem derart belanglosen Kick gegen einen nicht ernst zu nehmenden Gegner überhaupt so euphorisch loben, ohne ihn damit zu beleidigen?

In Wirklichkeit haben Klinsmann und Löw ihre Meinung zu Borowski längst geändert. Schon im Laufe der vorigen Saison haben sie ihn häufiger angerufen, um ihn zu seinen großartigen Leistungen bei Werder zu beglückwünschen. An Borowskis fußballerischer Qualität hat Klinsmann ohnehin nie gezweifelt, allenfalls an seiner Einstellung. Dass er beim Confed-Cup nicht spielen durfte, war eine gezielte Provokation. Ein Mitläufer sei er, musste sich Borowski damals anhören, „so wirst du kein Turnier bestreiten können“. Dafür müsse er an seinem Auftreten arbeiten, konsequenter und energischer in die Zweikämpfe gehen und auch viel mehr Tore schießen.

Borowski ist von seiner Veranlagung her eigentlich wie gemalt für den Fußball, den Klinsmann von seiner Mannschaft sehen will. „Eine große Begabung“, nennt der Bundestrainer den 26 Jahre alten Bremer. „In den letzten beiden Jahren ist er sehr gewachsen.“ Zehn Tore hat er in der vorigen Saison geschossen, dazu elf vorbereitet. In der Nationalmannschaft dagegen fallen Borowskis Zahlen immer noch recht dünn aus. Gerade 18 Länderspiele hat er seit seinem Debüt im August 2002 bestritten, davon gestern gegen Luxemburg erst das siebte von Beginn an.

Es ist das Schicksal des Bremers, dass er vornehmlich als Vertreter von Michael Ballack gesehen wird: als Ersatz für den Unersetzlichen gewissermaßen. „Das ehrt mich“, sagt Borowski, „ich sehe das nur als Kompliment.“ Auch in Freiburg spielte der Bremer wieder für den verletzten Kapitän der deutschen Mannschaft. Borowski war von der ersten Minute an bemüht, der großen Verantwortung gerecht zu werden und seinen Gestaltungswillen auszuleben. Er lief viel, bot sich tief im Mittelfeld an und hatte auch im Spielaufbau einige gute Szenen. In der elften Minute köpfte sein Bremer Kollege Miroslav Klose eine Flanke von Borowski an die Latte, zehn Minuten vor der Pause bereitete er dann mit einem feinen Pass das 3:0 von Lukas Podolski vor, und nur kurz darauf scheiterte er mit einem Fernschuss an Luxemburgs Torwart Oberweis.

Borowski kann vieles, was auch Ballack kann: mit links zum Beispiel genauso präzise schießen wie mit rechts. Zuletzt ist der Bremer häufiger als „kleiner Ballack“ bezeichnet worden oder als „Ballack in Blond“. Beide stammen aus der DDR, Ballack aus Sachsen, Borowski aus Mecklenburg, zudem ähneln sie sich geradezu frappierend in ihrer Körpersprache und ihrem aufrechten Laufstil.

Die Frage ist, ob es in der Nationalmannschaft auch einen Tim Borowski geben kann, der sich nicht ausschließlich durch oder in Abgrenzung zu Michael Ballack definiert. „Tim Borowski ist nicht der Backup für Michael Ballack“, sagt Bundestrainer Jürgen Klinsmann. „Er kann genauso neben und mit Ballack spielen.“ In der Tat hat Borowski in der Nationalelf meistens besser ausgesehen, wenn er mit Ballack gespielt hat und nicht für ihn. Im September zum Beispiel, gegen Südafrika, als er sein bisher einziges Länderspieltor erzielte.

Borowski hat sich einmal als einen „Mix aus Zehner und Sechser“ bezeichnet. Bei Bremen spielt er weder das eine noch das andere, und auch in der Nationalmannschaft sind diese Positionen an Ballack und Torsten Frings vergeben. Dafür könnte Borowski für Bernd Schneider halbrechts spielen, oder auf der anderen Seite anstelle von Bastian Schweinsteiger. Es hängt nur davon ab, was der Bundestrainer will: Verspieltheit oder Zielstrebigkeit? Eine klare Struktur oder das kreative Chaos? „Wir werden uns gut überlegen, wie die ideale Konstellation aussieht“, sagt Klinsmann. „Der Kampf im Mittelfeld ist heftig.“

Borowski ist vor kurzem gefragt worden, ob er an Wiedergeburt glaube. Nein, hat er geantwortet, er sei kein gläubiger Mensch, aber wenn es so wäre, wolle er als Tim Borowski wiedergeboren werden. Immerhin: Er hat nicht Michael Ballack gesagt.

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