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Sport: Erstklassige Gegner oder einfache Arbeiter?

Lucien Favre ist ein höflicher Mensch. Der Trainer von Servette Genf sprach von einem "erstklassigen Gegner, der uns in Physis und Balltechnik weit voraus ist".

Lucien Favre ist ein höflicher Mensch. Der Trainer von Servette Genf sprach von einem "erstklassigen Gegner, der uns in Physis und Balltechnik weit voraus ist". Man kennt das ja. Favre, der eher wie ein Professor an der Universität von Lausanne denn wie ein Fußballlehrer in Genf wirkt, dachte gar nicht daran, die bekannten Gebräuche in diesem Metier zu durchbrechen und lobte den heutigen Gegner Hertha BSC über den grünen Klee. In der Außenseiter-Rolle lässt es sich bekanntlich besser leben, auch heute Abend, wenn Servette im Hinspiel der dritten Runde im Uefa-Cup auf die Berliner trifft.

Zum Thema Fotostrecke I: Hertha Backstage Fotostrecke II: Bilder der Saison 01/02 Bundesliga aktuell: Ergebnisse und Tabellen Bundesliga-Tippspiel: Das interaktive Fußball-Toto von meinberlin.de Nun hat allerdings Favres Assistent Adrian Ursea in der Genfer Zeitung "Le Matin" verraten, was er von Hertha hält. Die Berliner, so wird Ursea nach dem Studium der Videos von den Spielen gegen Gladbach und Wolfsburg zitiert, seien "keine Künstler, sondern einfache Arbeiter", ihnen mangele es an Spielfantasie. Davon nimmt er lediglich Marcelinho aus. Eine Beurteilung, die man durchaus teilen kann. Sie passt nur nicht so recht ins Bild der Elogen, die gestern bei der Pressekonferenz im Berliner Mannschaftshotel auf den Gast gesungen wurden.

Auch Kurt Müller hat sich mit dem augenblicklichen Leistungsvermögen von Hertha BSC beschäftigt. "Hertha ist klarer Favorit. Servette hat nur eine Chance, wenn es das Hinspiel mit mindestens zwei Toren Unterschied gewinnt", verriet der Schweizer der "Tribune de Genève". Kurt Müller, genannt Kudi, gehörte der erfolgreichsten Hertha-Mannschaft aller Bundesligazeiten an, die Georg Kessler 1975 auf Platz zwei führte. Im Jahr darauf kehrte Müller in die Schweiz zurück, spielte für Servette Genf. Heute besitzt der inzwischen 53-Jährige ein Sportgeschäft. Die Zeit, zwei- bis dreimal im Jahr nach Berlin zu fliegen, findet er immer noch. Und beim Rückspiel am 6. Dezember wird er auch wieder auf der Tribüne des Olympiastadions sitzen.

Im Genfer Stade des Charmilles, wo heute Abend gespielt wird, ist Müller kein Stammgast. Das Stadion wurde 1930 erbaut und wird im nächsten Jahr, wie zuvor schon das Berner Wankdorfstadion, dem Erdboden gleichgemacht. Servette Genf zieht dann in eine neue, 30 000 Zuschauer fassende, Arena um. Heute Abend werden im Stade des Charmilles gerade mal 9000 Zuschauer sein. Mehr Sitzplätze gibt es dort nicht. Und Sitzplätze schreibt die Uefa nun mal für Spiele im Europapokal vor. "Damit relativiert sich natürlich unser Heimvorteil", sagte Favre. Er hat früher einmal gemeinsam mit Karl-Heinz Rummenigge im Stade des Charmilles gespielt. Auch Oliver Neuville, mittlerweile deutscher Nationalspieler, kickte früher für Servette.

Gute Erfahrungen mit deutschen Mannschaften hat Servette nicht gemacht. 1860 München, Fortuna Düsseldorf und der BFC Dynamo (1979/80 im Meisterpokal) waren eine Nummer zu groß. Die Hoffnungen, dass es für die Schweizer nun endlich besser wird, basieren auf Wilson Oruma. Der Nigerianer, um den sich heute wohl Andreas Schmidt vorrangig kümmern wird, hat im laufenden Wettbewerb alle Tore Servettes geschossen. Und Favre ist zuversichtlich, dass er bis heute Abend seine Achillessehnenverletzung auskuriert hat. "Mit ihm haben wir eine Chance", sagte Servettes Trainer, und da klang er schon gar nicht mehr so bescheiden. Wer zuletzt Real Saragossa gestoppt hat, dem nimmt man das ständige Understatement ohnehin nicht ab.

Jürgen Röber hält von alldem ohnehin nicht viel. "Wir wollen unbedingt in die nächste Runde", sagte der Berliner Trainer, und Manager Dieter Hoeneß legte nach: "Wir wollen mindestens ins Achtelfinale, dann wäre unser erstes Saisonziel erreicht." Der höfliche Herr Favre wird sich seinen Teil gedacht haben.

Klaus Rocca

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