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Sport: Es geht wieder los – endlich!

Das Ende der Sommerpause oder: Von der Unmöglichkeit, den Fußballverstand einzuschläfern

Alles wieder auf Anfang. Diesmal gehe ich seriös vorbereitet in die neue Bundesliga-Spielzeit. Ich habe mich bei der Tour de France in Form gebracht. Ungefähr zehn von Doktor Jürgen Emig verabreichte Radtouristik-Reportagen aus dem Land der tausend Rohmilchkäse waren genau die richtige Dosis, um den Wahrnehmungsapparat hinreichend zu verschwammen. Wie lange die beruhigende Wirkung vorhält, muss sich zwar noch zeigen, die Generalprobe verlief aber schon mal ganz zufriedenstellend.

Der ARD-Übertragung des Ligacup-Finales zwischen Borussia Dortmund und dem Hamburger SV wohnte ich ohne große Probleme bei. Obwohl die für meinen Verein spielende Mannschaft schon nach 17 Minuten mit drei Toren hinten lag und auch im weiteren Verlauf eigentlich nichts tat, was ich gerne gesehen hätte, traten keine nervösen Zustände auf. Ein solides Phlegma hielt Nikotin- und Alkoholmissbrauch im vertretbaren Rahmen, und selbst die Feldverweise von Otto Addo und Sebastian Kehl nahm ich nur mäßig empört zur Kenntnis.

Diese ersten Ergebnisse lassen hoffen. Sollte ich nach 40 aktiven Bundesligajahren (die in den tiefen Tälern der Zweiten Liga zählen selbstverständlich mit) endlich einen Erleuchtungsgrad erlangt haben, in dem der Saisonbeginn nicht die Erlösung von den Übeln des Sommers bedeutet? Kein „Endlich geht’s wieder los!“ mehr? Nie wieder „Gott sei Dank, Samstag ist es so weit!“? Vorbei mit der ewigen Angst vor Schalke? Schluss mit der schon vegetativen Abneigung gegen alles, was nach Bayern riecht? Musste ich tatsächlich fast 50 Jahre alt werden, um in diesen Zustand der Milde hinüberzugleiten?

Andererseits sprechen reichlich Indizien dagegen, der durchdringenden Dalailamisierung meines Fußballverstandes trauen zu dürfen. Erstens ist die diesjährige Tour de France allem Anschein nach zu Ende, und selbst die gewaltigste Emig-Narkose wird nicht bis zum nächsten Sommer vorhalten. Wichtiger aber sind diese Fakten: Auf seinem Stammplatz neben dem Tiefspüler liegt wie immer das aktuelle, 250 Seiten dicke „Kicker“-Sonderheft. Im Rahmen der traditionellen Vorsaison-Sitzungen habe ich darin neulich sogar das Untengedruckte im Rahmenterminkalender 2003/2004 studiert (falls es jemanden interessiert: Heute beginnt nicht nur die Bundesliga, heute finden auch die Halbfinalspiele um die Frauen-U-19-EM in Torgau und Markranstädt statt).

Im Portemonnaie steckt wie immer die aktuelle Dauerkarte für die Westfalenstadion-Sitzschale, und ein Gelsenkirchener Witzbold hat mich für morgen zum Derby S04 gegen BVB 09 in die Arena eingeladen. Zu denken geben muss mir dieses Angebot nicht. So was finden Gelsenkirchener komisch. Zu denken geben muss mir, dass ich diesmal das Angebot angenommen habe. Ich weiß, dass es ein schrecklicher Nachmittag für mich werden wird. Und ich bin mir jetzt sicher, dass nach dem Spiel tatsächlich wieder alles so sein wird, wie es immer und ewig nach und damit vor allen nächsten Spielen gewesen ist: Ich werde sie ganz schlimm ernst nehmen. Die Vorfreude wird wieder größer sein als die Angst, dass es so ausgehen könnte, wie man befürchten muss. Die tödliche Gewissheit aber, dass es beim nächsten Mal noch schlimmer kommt, wird rechtzeitig von der erfahrungsgenährten Hoffnung ausgelöscht sein, dass man sich schließlich schon oft genug geirrt hat.

Den Passionsspielen wie gehabt so hautnah wie möglich beizuwohnen hat noch einen anderen Grund. Nur so kann der Abhängige nämlich der Versuchung entgehen, an der TV-medialen Aufbereitung des „Premium-Produktes Bundesliga“ teilzunehmen. Man muss zwar bei der ARD-Sportschau vorerst nicht darauf gefasst sein, vom Herrenslip Jörg Wontorra angespeichelt zu werden, der Ran-Sat-Eins-Erfinder Reinhold Beckmann und der stets unzuständige Gerhard Delling sind jedoch nur scheinbare Alternativen.

Auch die Zuschauer-Belästigung mit fußballfernen und ohnehin unerwünschten Prominenten wird nicht aufhören, nur weil die Bundesliga jetzt öffentlich-rechtlich verstrahlt wird. Ans-Volk-Ranschmeißer von Kanzler bis Westernhagen werden auftreten dürfen, so oft sie es wünschen.

Auf der Tribüne ist man ihnen aber nicht ausgesetzt. Dort sitzen sie schön eingepfercht im VIP-Ghetto, und wenn das Stadion-TV sie in der Halbzeitpause in Großaufnahme zeigt, steht man zum Pinkeln an.

Heute geht’s wieder los. Endlich.

Fritz Eckenga (48) ist Autor und Kabarettist. Er lebt in der Nähe des Westfalenstadions und ist Anhänger von Borussia Dortmund.

Fritz Eckenga

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