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Sport: Es gibt noch einen Halt

Mit seinen Paraden im italienischen Tor wehrt sich Gianluigi Buffon auch gegen Vorwürfe um Betrug und Geldgier

Wie schießt man ein Tor gegen Gianluigi Buffon? Das werden die ukrainischen Stürmer ihren Trainer Oleg Blochin gefragt haben, vor dem Viertelfinale heute in Hamburg gegen Italien. Vielleicht hat Blochin ihnen das Video vom Vorrundenspiel gegen die USA gegeben. Buffon mag der beste Torwart der Welt sein, aber er hat seine Schwächen. Zum Beispiel bei Flanken und bei flachen Bällen, sie müssen nicht mal besonders scharf sein, das hat Cristian Zaccardo gezeigt, mit seinem Treffer zum 1:1 im Spiel gegen die USA.

Zaccardo hatte bei seinem Torerfolg allerdings auch einen entscheidenden Vorteil: Buffon hatte nicht mit ihm gerechnet, denn er ist eigentlich sein Verbündeter und als Verteidiger dafür zuständig, schädlichen Einfluss fern zu halten vom italienischen Tor. Das gelingt ihm meistens, aber nicht in diesem Fall. So ist dem Sizilianer Zaccardo gelungen, was noch kein Stürmer bei dieser WM geschafft hat, nämlich ein Tor gegen Gianluigi Buffon zu schießen. Dieses Erfolgserlebnis der unangenehmen Art ist vor zehn Tagen ein wenig untergegangen, da die Begleitumstände mehr an eine Schlacht denn an ein Fußballspiel erinnerten. Wer spricht nach drei Roten Karten und viel Blut auf dem Rasen schon über ein Eigentor?

Bis auf Zaccardos Querschläger hat Buffon bei dieser WM sein Tor sauber gehalten, in der Vorrunde gegen Ghana (2:0) und Tschechien (2:0), zuletzt im Achtelfinale beim glücklichen 1:0 gegen Australien, zustande gekommen durch Francesco Tottis Elfmetertor in der Nachspielzeit. Die Australier gaben sich Mühe, sie hatten nach der Roten Karte gegen Marco Materazzi fast die gesamte zweite Hälfte einen Spieler mehr auf dem Platz, doch wenn sie einmal erfolgversprechend dem italienischen Strafraum näher kamen, stand Buffon im Weg. Zweimal versuchte es Scott Chipperfield, einmal Marco Bresciano, „aber ich hatte nie das Gefühl, dass die gegen uns ein Tor schießen würden“, sagt Buffon. Er wirkt dabei keinesfalls arrogant oder überheblich, wie schon sein nächster Satz verrät: „Ich hätte auch nicht gedacht, dass wir das schaffen.“

Gianluigi Buffon ist ein freundlicher Mensch, er spricht so langsam wie sein Turiner Klubkollege Alessandro Del Piero, aber nicht ganz so leise. Mittlerweile lacht er auch schon wieder, noch nicht ganz so laut und breit wie früher, aber immerhin: Er lacht. Die WM ist für Buffon auch ein Rehabilitationsprogramm. In diesen für Italiens Fußball so grauen Frühlingstagen, als jeden Tag neue Schreckensmeldungen über Manipulationsmeldungen durch die Gazzettas und Corrieres geisterten, kam heraus, dass Buffon viel Geld auf Fußballspiele verwettet hatte. 1,5 Millionen Euro sollen es in den vergangenen zwei Jahren gewesen sein. Der Staatsanwalt schaltete sich ein, und Buffons WM-Nominierung geriet ernsthaft in Gefahr. Die Ermittlungen wurden schließlich eingestellt, weil der Torhüter offenbar glaubhaft versichern konnte, er habe nur auf ausländische Ligen gesetzt und sich inzwischen aus dem Wettgeschäft zurückgezogen.

„Buffone“ ist das italienische Wort für Narr, und genauso hat der Torhüter sich in der Öffentlichkeit immer verkauft. Er genoss das Leben als großer, naiver Junge, die Tifosi nannten ihn Gigi und ließen ihm so ziemlich alles durchgehen. Als er bei seinem früheren Klub Parma mit der Rückennummer 88 spielen wollte und das ganze Land entsetzt aufschrie, ließ sich der staunende Torhüter erklären, dass 88 im Code der Rechtsextremen für HH steht, Heil Hitler. Dass der Schulabbrecher Buffon ein Abiturzeugnis fälschte, um damit den Wehrdienst zu umgehen, werteten die Italiener als Lausbubenstreich. Beim millionenschweren Wetten aber hört der Spaß auf. Buffons Image ist im Wandel, für viele ist er nicht mehr der große Junge, sondern der Geldgierige, Maßlose. Buffon, inzwischen 28 Jahre alt, weiß, wie wichtig eine gute WM gerade für ihn ist, für seine persönliche Glaubwürdigkeit. Er tut, was er kann. Er hält sein Tor sauber, schwärmt von „unserer großartigen Mannschaft“ und lässt den Tifosi ausrichten, „wir können ins Finale nach Berlin kommen, es ist mein großer Traum“. Dazu lacht er und gestikuliert und wirkt schon fast wieder wie der alte Gigi.

Doch schon einen Tag später weicht das Lachen wieder aus seinem Gesicht. Es ist nicht die Angst vor dem Prozess gegen Juve, der am Donnerstag begonnen hat. Buffon hat oft genug gesagt, dass ihn und seine Turiner Kollegen in diesen Tagen nur die WM interessiert. Aber wie soll er umgehen mit der Nachricht, die zur Mittagsstunde das italienische Quartier erreicht? Gianluca Pessotto, der neue Teammanager von Juventus, hat sich vom Dach des Klubhauses gestürzt, einen Rosenkranz in der Hand, und ringt mit dem Tod. Er soll wegen Depressionen in ärztlicher Behandlung gewesen sein.

Buffon hat wie Del Piero, Fabio Cannavaro, Gianluca Zambrotta und Mauro Camoranesi noch vor einem Jahr gemeinsam mit Pessotto für Juventus gespielt. Er ist ihr Freund, „der liebste Mensch der Welt“, sagt Cannavaro. Del Piero und Zambrotta fliegen noch am selben Abend heim, um den schwer Verletzten zu besuchen. „In Hamburg spielen wir für Pessotto“, sagt Buffon leise. „Wir sind in Gedanken bei ihm, da fällt es schwer, über Fußball zu reden.“ Aus dem Narren Gigi ist wieder der traurige Gianluigi geworden.

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