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Essay: Olympia - ein großer Fake

Die Spiele waren geprägt von Lüge und Inszenierung. Dieser Pekinger Sommer durfte nicht echt sein.

Eine Frage ist unstrittig: Es wird am Sonntag eine spektakuläre Schlussfeier der Olympischen Spiele geben. Han Hong, eine bekannte tibetische Sängerin, soll mitwirken, Leona Lewis und Jimmy Page von der Rockgruppe Led Zeppelin werden ein Duett zum Besten geben. Irgendwann bei der Übergabe an London 2012 wird auch der englische Fußballstar David Beckham auftauchen. Wenn er es denn sein wird. Seit den drei Fälschungen bei der Eröffnungsfeier muss man sich fragen: Was wird man dieser Feier eigentlich glauben können?

Wang Wei hat kein Verständnis für diese Besorgnis. „Das ist eine seltsame Frage für mich, die ich zum ersten Mal höre“, sagte der Vizepräsident des Pekinger Organisationskomitees Bocog, „die Schlussfeier wird wundervoll werden, ich glaube nicht, dass man Zeit und Geld darauf verwendet hat, um die Feier zu fälschen.“ Doch bei der Eröffnung waren nicht nur die kindliche Sängerin, einige Fernsehbilder des Feuerwerks oder die Kinder der ethnischen Minderheiten nicht echt. Es gibt noch weitere Unehrlichkeiten, weshalb diese Olympischen Spiele womöglich als die „Fake Olympics“ in die Geschichte eingehen könnten.

Protestparks ohne Protest

Wo anfangen, bei den vielen kleinen und großen Unkorrektheiten der Spiele? Vielleicht bei Wang Wei selber, der in einer denkwürdigen letzten Bocog-Pressekonferenz die Journalisten aufforderte, wahre Geschichten zu erzählen. Und Minuten zuvor selber eine kuriose Einstellung zur Wahrheit bewiesen hat. „Im Allgemeinen steht es den Medien in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in der Zukunft frei, nach Tibet zu fahren“, sagte er. Das stimmt nicht, seit den Unruhen im März dürfen Journalisten nicht mehr nach Tibet einreisen. Sie müssen eine Genehmigung einholen, die nur in den seltesten Fällen bewilligt wird. Wang Wei weiß das und entschuldigt die Einreisebeschränkungen im gleichen Atemzug mit „Sicherheits- und Umweltschutzgründen“.

Es sind die Protestparks, die vielleicht den größten Skandal dieser Spiele darstellten. Drei Protestzonen hatte die chinesische Regierung eingerichtet, bis zum Freitag hatte sich keine einzige Demonstration gezeigt. Es ist auch keine genehmigt worden. Im Ritan Park, wo sich eine dieser Zonen befindet, tummelte sich lediglich Sicherheitspersonal und Zivilpolizei, Journalisten mussten sich registrieren und befragen lassen. Eine Parkmitarbeiterin, die nach eigener Auskunft erst seit kurzem hier arbeitet und nicht sagen kann, wie viele Parkmitarbeiter es gibt, erklärt: „Das IOC verlangt die Registrierung von Journalisten.“ Eine Lüge. „Das stimmt nicht“, sagt IOC-Sprecherin Giselle Davies, „wir betreiben diesen Park nicht.“

Es kommt noch skandalöser. Der Bürgeranwalt Ji Sizu ist verschwunden, nachdem er sich nach dem Stand seiner Protestanmeldung erkundigen wollte. Eltern von Kindern, die nach dem Sichuan-Erdbeben in schlecht gebauten Schulen umgekommen sind, wurden an der Reise zum Protest in Peking gehindert. Die Park-Maßnahme erinnert an Mao Zedongs „100-Blumen-Kampagne“ Ende der Fünfzigerjahre. Damals wurden in China die Intellektuellen aufgefordert, konstruktive Kritik am System zu äußern – und fanden sich später in den Arbeitslagern wieder.

Wo ist das echte Peking?

Und da ist die sportliche Leistung. Man muss nicht einmal die Diskussion um das wahre Alter der chinesischen Turnerinnen in den Mittelpunkt stellen. Dabei gibt es im Internet Unterlagen der chinesischen Sportverwaltung, wonach mindestens zwei von ihnen unter dem Mindestalter von 16 Jahren liegen. Wichtiger ist die Frage: Stimmen die Leistung der beiden großen Helden dieser Spiele, des Schwimmers Michael Phelps und des Sprinters Usain Bolt? „Das ist eine Riesenverarschung“, hatte der deutsche Sprinter Tobias Unger über den Jamaikaner gesagt. Die Zeitung „China Daily“ hatte nach dem 100-Meter-Lauf über Usain Bolt (wohl unabsichtlich) die doppeldeutige Schlagzeile geschrieben: „Fangt mich, wenn ihr könnt.“ Sollte ihn ein Dopingfahnder jemals kriegen, war auch der größte sportliche Moment der Spiele ein falscher.

Und schließlich gibt es die olympische Stimmung in einer Stadt, die in diesem Sommer nicht das echte Peking war. Es fehlten die Müllsammler, Wanderarbeiter oder Bettler. Zahllose Blumen täuschten eine grüne Stadt vor, Plakatwände verstellten den Blick auf Baustellen oder hässlichere Seiten. „Beijing huanjing ni“, ist auf ihnen zu lesen, doch auch das stimmte nicht. Die Welt war nicht willkommen in Peking, sie war eher geduldet. Die Visaregeln vor den Spielen war so restriktiv wie nie zuvor, weshalb mit 450 000 sogar weniger Touristen da waren als im August 2007. Feiernde Menschen waren selten zu finden in Peking, und sie wurden von der einheimischen Bevölkerung beäugt. Der olympische Geist blieb eingesperrt im olympischen Dorf und den Stadien.

Natürlich waren die Bedingungen, die Organisation, die Sportstätten, das Beste, was es bisher gegeben hat. Vielleicht kann man sich ja heute bei der Schlussfeier, wenn die letzte Rakete abgefeuert sein wird, mit China auf eine Bewertung einigen: Es war alles eine große Inszenierung.

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