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Sport: Euphorie aus dem Archiv

Belgiens Probleme vor dem Spiel gegen Deutschland

Brüssel. Aimé Antheunis ist ein höflicher Gastgeber. Aus dem wilden Durcheinander aus Tageszeitungen, Pressemitteilungen und kleinen Zetteln mit Telefonnummern auf seinem Schreibtisch hat er soeben ein loses Blatt herausgefischt. Darauf steht eine Tabelle. Der Trainer des belgischen Nationalteams wedelt fröhlich mit dem Papier: „Sehen Sie. Deutschland – erster in Europa. Das ist kein Zufall.“ Kein Zufall, vor allem aber die falsche Liste: Zweiter sind die USA, Aimé Antheunis verzieht das Gesicht, zerknüllt das Papier und wirft die Weltrangliste der Fußballerinnen auf den Boden.

Der 60-Jährige trainiert keine Frauen, sondern Männer. Und da sieht die Welt anders aus. Vizeweltmeister Deutschland führt der Weltverband Fifa aktuell auf Rang zehn, Belgien, bei der morgigen Eröffnung des neuen Kölner Stadions Testgegner der DFB-Auswahl (20.30 Uhr, live in der ARD), liegt sechs Plätze dahinter. Kein gewaltiger Unterschied – und groß ist auch Antheunis’ Achtung für den deutschen Fußball in Wirklichkeit nicht. Aus den Papiertürmen um ihn herum kramt er jetzt die Zuschauerzahlen des letzten Bundesligaspieltags hervor und liest vor: „Dortmund 80 000, Schalke 61 000, das ist der Unterschied.“ Zu den Spielen in Belgiens erster Liga kommen im Schnitt 12 000 Menschen, aber ansonsten gilt: „Bremen, Bayern, Stuttgart – im Moment ist das das gleiche Niveau wie Brügge oder Anderlecht.“ Eben bei jenem RSC Anderlecht hatte er nach zwei guten gerade eine schlechte dritte Spielzeit hinter sich, als er nach der WM 2002 den Job als Nationalcoach bekam. Seitdem fährt Antheunis jeden Tag von Lokeren aus eine Stunde zum Verbandssitz an der Houba de Strooper Laan 145 in Brüssel, wo ihn im weitläufigen Foyer die glorreichen Achtzigerjahre auf großen Fotos empfangen: Rekordnationalspieler Jan Ceulemans nach einem Torerfolg. Der überfüllte Grande Place von Brüssel beim Empfang der WM-Vierten von 1986.

Auf frische Jubelbilder warten sie in Brüssel bereits einige Zeit. Bei den letzten vier Weltmeisterschaften schied Belgien spätestens im Achtelfinale aus, zu einer EM-Endrunde reichte es vor 20 Jahren. Anthenuis glaubt an bessere Zeiten, doch er kennt auch die ungünstigen Rahmenbedingungen: Die vielen Ausländer und das starke Leistungsgefälle in der belgischen Liga.

Aimé Anthenuis’ Amtszeit ist eng mit dem Neuaufbau der Landesauswahl verknüpft. Gestandene Kräfte wie Wilmots, Verheyen oder Boffin hörten nach der WM 2002 auf, das Jungvolk rückt in geballter Form nach. Und deshalb blieb es im Herbst, nach der gegen Bulgarien und Kroatien knapp verpassten EM-Qualifikation, erst einmal ruhig im Land. „Die Leute hier haben viel Geduld. Sie wissen, dass wir nach einer neuen Mannschaft suchen“, sagt Anthenuis. Eine weitere Schonfrist wird es für den Mann, der bei seiner Inthronisierung im Juli 2002 nicht zuletzt davon profitierte, dass sich Erik Gerets für den Job des Nationaltrainers zu jung fühlte, allerdings nicht geben. Die WM-Teilnahme 2006 in Deutschland ist Pflicht.

Ein Schritt in die falsche Richtung war das 0:2 im jüngsten Test gegen Frankreich. „Schlecht“ sei das gewesen, sagt der Chefcoach. „Wir sind viel zu wenig in die Zweikämpfe gegangen, haben viel zu viel zugelassen.“ Gegen Deutschland soll das alles besser werden. „Wir haben uns bewusst ein schweres Programm ausgesucht“, sagt Aimé Anthenuis. „Denn wir wollen wissen, wo wir stehen.“ Bei den Männern wohlgemerkt.

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