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Euro 2012: Uefa entscheidet über EM-Spielorte

Heute entscheidet die Uefa, wie viele Spielorte die Ukraine für die EM 2012 stellen darf – in Polen sind die Arbeiten schon weiter fortgeschritten.

„Da drüben sehen Sie die Westtribüne mit dem Vip-Bereich“, sagt Dominik Kowalski. Er steht im Mittelkreis des neuen Stadions von Breslau. Aber da drüben ragen nur ein paar Stahlbetonpfeiler aus dem Boden, die aussehen wie Schneebesen für Riesen. Zwei mobile Kräne stehen davor und ein Toilettenhäuschen. Der Vip- Bereich? Das mit dem Mittelkreis ist auch nur eine vage Schätzung. Da wo Kowalski jetzt steht, könnte einmal der Mittelkreis sein, auf einem schönen, satten Rasen. Noch aber muss man aufpassen, dass man nicht über die Rillen der Baggerspuren stolpert, die sich durch die rohe Erde ziehen. „Es ist immer am schwierigsten, aus dem Boden rauszukommen“, sagt Kowalski, der in Breslau für das lokale Büro der Europameisterschaft 2012 in Polen arbeitet. Ebene null haben sie inzwischen geschafft.

Derzeit wird am westlichen Rand der Stadt in zwei Schichten gearbeitet, eine dritte soll hinzukommen, damit sie rund um die Uhr bauen und den Zeitplan einhalten können: Ende der Bauarbeiten – Dezember 2010, Eröffnung – Frühjahr 2011. Und im Juni 2012: Fußball-Europameisterschaft. In Polen, unserem armen östlichen Nachbarn. Vielleicht auch in der Ukraine, dem noch viel ärmeren östlichen Nachbarn der Polen. Aber daran bestehen immer noch Zweifel. Die Uefa war zuletzt nicht besonders erbaut vom Fortgang der Vorbereitungen. Bis zum Ende dieses Jahres wollte sie deutliche Fortschritte sehen, sonst … Heute läuft die Frist ab. Heute tagt das Exekutivkomitee der Uefa, und heute soll endgültig entschieden werden, ob die Ukraine genau wie Polen vier Spielorte stellen darf. Bisher erfüllt allein Kiew die Anforderungen des europäischen Verbandes; Lemberg, Donezk und Charkow stehen auf der Kippe.

Ob es Pläne für den Fall gebe, dass … „No!“, sagt Marcin Herra, noch bevor die Frage zu Ende formuliert ist. Dabei weiß jeder, dass Krakau und Chorzow bei den Polen sozusagen auf der Ersatzbank sitzen. Offiziell wird dieses Szenario niemand bestätigen. Es gibt die vier polnischen Austragungsorte Warschau, Posen, Danzig und Breslau, und dabei bleibt es. „Ich bin überzeugt, dass die Ukraine das schafft“, sagt Herra, der Präsident des polnischen Organisationskomitees (OK).

Die Polen sind in jedem Fall weiter, alle vier Stadien sind im Bau, Probleme gib es trotzdem. Gewalt zum Beispiel. Der Fußball in Polen ist noch ziemlich old school: reine Männersache und eine entsprechend archaische Angelegenheit. Kinder und Frauen meiden die maroden Stadien. Voll wird es selten. Vor einem Jahr kam es beim Warschauer Stadtderby zwischen Legia und Polonia zu heftigen Ausschreitungen. Steine flogen, fast 750 Personen wurden festgenommen. „Wir sind nicht glücklich mit den Zuständen in den Stadien“, sagt Herra. Mit den neuen Hochglanzarenen soll alles anders werden. Der Fußball will neue Kundenschichten erschließen, die Zuschauerzahlen sollen sich mindestens verdoppeln.

„Ich heiße Rafal Dutkiewicz und bin der Oberbürgermeister von Breslau.“ Breslau statt Wroclaw – vor ein paar Jahren wäre das noch ein Politikum gewesen, Ausdruck revanchistischer Gesinnung, aber der Pole Dutkiewicz ist in dieser Angelegenheit ziemlich entspannt. Er spricht Deutsch, seitdem er 1990 dank eines Stipendiums ein Jahr in Freiburg verbracht hat. Die badischen Weine, sagt er, hätten seine Sprachkenntnisse entscheidend gefördert. Dutkiewicz ist ein Mann von stattlicher Figur, er hat Pranken wie ein Bergarbeiter und galt sogar einmal als Kandidat für das Amt des Staatspräsidenten. In seinem Dienstzimmer in Breslaus neugotischem Rathaus am Markt hängen Fotos aus seiner politischen Karriere: Dutkiewicz mit Angela Merkel. Mit dem Dalai Lama. Mit Papst Johannes Paul II. Und mit Michel Platini, dem Chef der Uefa. Ob er noch Ambitionen habe, Staatspräsident zu werden? „Ich habe vor, bis zur Euro 2012 hierzubleiben.“

Die Europameisterschaft ist für die Polen vieles – eines ist sie ganz sicher nicht: einfach nur ein Fußballturnier. Die EM ist ein riesiges Infrastrukturprogramm, ein Anschub für den darbenden Fußball. Vor allem aber ist die EM eine Frage des nationalen Stolzes. „Bisher sind wir immer zu unserer Tante eingeladen worden“, sagt Dutkiewicz. „Jetzt können wir die Tante auch mal zu uns einladen.“

In Breslau geben sie sich alle Mühe, den Tisch schön einzudecken. In der Stadt sollen 15 Projekte in einem Gesamtvolumen von 800 Millionen Euro bis zur EM verwirklicht werden: Ein neuer Flughafen wird gebaut, zwölf Straßen, zwei neue Straßenbahnlinien – und natürlich das Stadion für 40 000 Zuschauer, der größte Bau in der Geschichte der Stadt und mit 213 Millionen Euro vermutlich auch der teuerste. „Die Stadt hat etwas Symbolisches gebraucht“, sagt der Oberbürgermeister. Seine Verwaltung hat, rein hypothetisch, eine Umfrage in Auftrag gegeben: Würden sie für den Bau des Stadions höhere Steuern akzeptieren? 80 Prozent sagten ja.

Die Europameisterschaft macht vieles möglich, auch wenn längst nicht alle Ideen realisiert werden. In der ersten Euphorie hat man in Warschau gedacht, es wäre doch schön, wenn der Zoo gleich noch ein neues Delfinarium bekäme – für all die Touristen, die sich die Zeit zwischen zwei Spielen vertreiben wollen. Das Projekt ist erst einmal gestrichen. „Die Erwartungen waren anfangs etwas zu optimistisch“, sagt Lars Bosse, Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer. „Aber die EM mobilisiert eine Menge Kraft in diesem Land.“ Dutkiewicz erzählt, dass er seit sieben Jahren für die Renovierung des Hauptbahnhofes in Breslau kämpfe. Jetzt endlich hat sie begonnen.

Seit der politischen Wende vor 20 Jahren wurden in Polen knapp 400 Kilometer Autobahn gebaut, in den nächsten vier sollen 1000 Kilometer hinzukommen. Im ganzen Land gibt es mehr als 300 Infrastrukturprojekte für 20 Milliarden Euro. Die Investitionen sind ohnehin notwendig, jetzt kommen sie eben ein paar Jahre früher. Für OK-Chef Herra ist die EM daher „ein exzellenter Katalysator des Wandels“.

Von Berlin nach Breslau sind es 350 Kilometer. Vor dem Krieg gab es eine Schnellzugverbindung, zwei Stunden sechsunddreißig Minuten brauchte „Der fliegende Schlesier“ für die Strecke. Heute ist der Eurocity knapp sechs Stunden unterwegs, der Zug zuckelt gemächlich durch die schlesischen Kiefernwälder. Irgendwo zwischen Zagan und Legnica hält er ohne ersichtlichen Grund auf freier Strecke. Die Schaffner stehen auf dem Nebengleis und rauchen.

Der Transport und die Unterbringung der Fans werden in zweieinhalb Jahren das größte Problem sein. Sechs Stunden braucht man mit dem Zug von Breslau nach Warschau, mit dem Auto sind es viereinhalb. Die Empfehlung für die EM lautet: Nehmen Sie das Flugzeug.

Es könnte also eng werden im polnischen Luftraum, wenn im Sommer 2012 tatsächlich die erwarteten 800 000 Besucher aus ganz Europa anreisen. Wo sie schlafen werden, ist eine andere Frage. Wahrscheinlich wird das Sommersemester in Polen 2012 ein wenig früher enden, damit die Studentenwohnheime als Quartier für die EM-Touristen zur Verfügung stehen. Warschau verfügt über 30 000 Übernachtungsmöglichkeiten, in Breslau steigt die Zahl der Hotelbetten von derzeit 6700 auf 10 000, zwei Fünfsternehotels sind in diesem Jahr eröffnet werden. „Wir schaffen alles“, sagt Breslaus Oberbürgermeister Dutkiewicz.

Die Deutschen würden sie gerne 2012 in ihrem neuen Stadion spielen sehen. Oder die Polen. Nur eine Variante bereitet Hanna Domagala vom EM-Büro der Stadt Sorgen: „Wenn die Holländer kommen, haben wir ein kleines Problem. Campingplätze haben wir nicht.“

Wie kommen die Fans

von Spielort zu Spielort?

Am besten mit dem Flugzeug

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