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André Villas Boas hat Porto zur Meisterschaft und fast ins Finale der Europa League geführt.

© dpa

Europa League: Der große Analyst

André Villas Boas tritt aus José Mourinhos Schatten und will den FC Porto heute ins Europa-League-Finale führen

Berlin - André Villas Boas hatte sich keine Notizen gemacht und ging nach siebzig Spielminuten. Auf die Frage, ob er genug gesehen habe, reagierte der Assistenztrainer nur mit einem Lächeln. Dann reiste er zurück London, um seinem Chef José Mourinho Bericht zu erstatten. Boas hatte das Bundesligaspiel des VfL Wolfsburg gegen Bayern München verfolgt, ein paar Tage später Gegner seines Klubs FC Chelsea in der Champions League. Chelsea kam weiter, obwohl Mourinho auch 2005 schon für ein Spiel seines Teams gesperrt war. Bei Villas Boas hat sich seitdem einiges geändert, er ist inzwischen Cheftrainer beim FC Porto und will mit seinem Klub die Europa League gewinnen, der Finaleinzug heute (21.05 Uhr, live bei Kabel 1 und Sky) scheint nach dem 5:1 im Halbfinal-Hinspiel gegen den FC Villarreal sicher zu sein.

Der Gewinn des Uefa-Pokals mit dem FC Porto war 2003 einst Mourinhos erster großer Sieg, und sein früherer Mitarbeiter Villas Boas wird wahlweise als der neue Mourinho, der Mini-Mourinho oder der junge Mourinho bezeichnet. „Es ist mir egal, ob man mich den neuen oder den alten Mourinho nennt. Ich schätze ihn, aber ich bin anders“, sagt der erst 33-Jährige. Er trägt ebenso wie Mourinho Maßanzüge am Spielfeldrand und strahlt großes Selbstbewusstsein aus. Die Unterschiede zwischen beiden sind aber offensichtlich. Villas Boas steht anders als Mourinho für attraktiven Offensivfußball ohne Kompromisse. Mit Erfolg: Porto ist längst Portugiesischer Meister, das Team hat in der ganzen Saison noch nicht verloren und mehr als 20 Punkte Vorsprung und im Pokalendspiel steht es auch.

„Er ist besser als ich und billiger“, sagt sein früherer Chef Mourinho, ein überraschendes und großes Lob. Der Legende nach hat einst Villas Boas, der im selben Haus wie der damalige Porto-Trainer Bobby Robson wohnte, seinem Nachbarn als 17-Jähriger einen Zettel mit taktischen Ratschlägen in den Briefkasten geworfen. Die beeindruckten Robson so sehr, dass er den Teenager als Juniorscout beschäftigte und ihn in England erste Trainerkurse besuchen ließ. Villas Boas wurde Technischer Direktor und Nationaltrainer der britischen Jungferninseln, 2002 holte ihn Mourinho zum FC Porto.

Als 17-Jähriger steckte Villas Boas dem Trainer Bobby Robson einen Zettel mit taktischen Ratschlägen zu

Es wurde eine lange Zusammenarbeit, die auch beim FC Chelsea und bei Inter Mailand Bestand hatte. Villas Boas war erst Chefscout und später Assistenztrainer, vor allem aber der große Analyst. Seine detaillierte Gegnerbeobachtung und deren Aufarbeitung waren sehr wertvoll, er erarbeitete für jeden einzelnen Spieler einen Report darüber, was ihn im nächsten Spiel erwarten sollte, inklusive der Stärken und Schwächen der kommenden Gegenspieler. Offensichtlich kann er seine Erkenntnisse nicht nur per DVD sehr gut vermitteln, sein Ruf beim FC Chelsea dafür war hervorragend.

Im Oktober 2009 verließ er Mourinho und den kommenden Champions-League- Sieger Inter, um erstmals selbst Chef zu sein. Villas Boas brachte Academica Coimbra in der portugiesischen Liga von einem Abstiegsplatz ins gesicherte Mittelfeld, vor dieser Saison wechselte er dann nach Porto. Der richtige Klub für ihn, bei dem talentierte Spieler sehr genau auf ihre Fähigkeiten hin begutachtet, ausgebildet und mit Gewinn verkauft werden.

Mit diesem Modell hat der FC Porto seit 2004 einen Transferüberschuss von mehr als 200 Millionen Euro erwirtschaftet. In Südamerika hat der Klub einen exzellenten Ruf als Sprungbrett zu den ganz großen Klubs in Europa. Die sind längst auch an André Villas Boas interessiert.

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