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Grätsche ins Endspiel. Dnipropetrowsk schaltete im Halbfinale den SSC Neapel aus. Hier lässt Jaba Kankava (rechts) Neapels Gökhan Inler nicht vorbei.

© Reuters/Ogirenko

Europa League: Die Neureichen vom Fluss

Die ukrainische Überraschungsmannschaft Dnipro Dnipropetrowsk fordert in Warschau im Finale der Europa League den Titelverteidiger FC Sevilla heraus.

Zu Hause, vor dem Fernseher, will sich Juande Ramos das Finale der Europa League zwischen dem FC Sevilla und Dnipro Dnipropetrowsk ansehen (20.45 Uhr/Kabel 1). Ganz ohne Emotionen, ganz neutral, als Fan, sagt er am Telefon. Dabei ist es im Grunde seine Mannschaft, die da im Finale von Warschau nach einem historischen Titel greift. Es wäre der erste Europapokal-Sieg von Dnipropetrowsk in der 97-jährigen Geschichte des Vereins.

Juande Ramos hat die Ukrainer bis vergangenen Mai trainiert. Seit 2010 war er dort gewesen, doch dann wurde die politische Lage in der Region wegen des Konflikts mit Russland zu unsicher. Der Spanier entschied sich, wieder in seine Heimat zurückzukehren. „Das war eine Entscheidung für die Familie. Wir wollten nicht mehr mit der ständigen Unsicherheit leben“, sagt er. Dass einer wie Ramos vier Jahre die sportlichen Geschicke bei Dnipropetrowsk leitete, sagt einiges über den Verein aus. Vor nicht allzu langer Zeit zählte der 60-Jährige zu den bestbezahltesten Trainern der Welt, 2008/09 war er bei Real Madrid. Davor Tottenham und Sevilla, Dnipros heutigem Gegner, mit dem er 2006 und 2007 den Uefa-Cup gewann.

Geld ist da, aber Dnipro verzichtet auf die ganz teuren Transfers

Geld ist genug da, an finanziellen Fragen scheitern Personalien längst nicht mehr, seit Igor Kolomojskij Dnipro übernommen hat. Der Oligarch und Bankier gilt als einer der reichsten Männer der Ukraine. Sein Vermögen wird auf zirka fünf Milliarden US-Dollar geschätzt. Anders als Rinat Achmetows Ausgaben bei Schachtjor Donezk halten sich Kolomojskis Zuwendungen im sportlichen Bereich aber in Grenzen. Die ganz teuren Einkäufe werden in Dnipropetrowsk nicht getätigt. Rekordtransfer ist noch immer der Brasilianer Giuliano, sein Wechsel von Porto Alegre kostete vor fünf Jahren elf Millionen Euro. Ansonsten bleiben die Summen im einstelligen Millionenbereich. So spielen bei Dnipro zwar Spieler aus Brasilien, Portugal, Kroatien, Tschechien oder Rumänien, doch der Ausländeranteil ist im Vergleich zu anderen Spitzenteams aus Osteuropa gering. Nur elf der dreißig Spieler im Kader sind Legionäre. Viele der einheimischen Spieler stammen aus der Region um den Fluss Dnipro. „Die Identifikation mit dem Klub ist groß, dass hat es mir als Trainer oft leichter gemacht“, sagt Ramos.

Auf Auslandsreisen steht schon mal der Gerichtsvollzieher vor der Tür

Statt in teure ausländische Stars investierte Kolomojskij in die Infrastruktur. Dnipro spielt normalerweise in einer modernen Arena, die 30 000 Zuschauern Platz bietet. Wegen des Krieges im Osten der Ukraine musste die Mannschaft zuletzt aber nach Kiew ausweichen. So bestreitet Dnipro die ganze Saison über schon Auswärtsspiele. Mit dem einzigen Unterschied, dass in Kiew kein Ärger droht. Während der Reisen ins europäische Ausland kam es schon mal vor, dass plötzlich der Gerichtsvollzieher vor dem Hotel stand. Der Grund ist ein Streit mit der deutschen Baufirma Hochtief. Dnipro hatte das Unternehmen vor Jahren mit dem Stadionbau beauftragt, nie aber den kompletten Betrag für die Fertigstellung bezahlt. Hochtief erstritt einen internationalen Schiedsspruch und läuft oder fliegt dem Geld nun hinterher.

Auf dem Weg ins Finale schaltete Dnipro unter anderem Piräus, Ajax, Brügge und Neapel aus

Juande Ramos will sich dazu nicht äußern. Die Arbeitsbedingungen seien jedenfalls „sehr, sehr gut“ für ihn als Trainer gewesen. „Mein Team und ich konnten immer in Ruhe arbeiten“, sagt er. Präsident Kolomojskij habe sich nie in sportliche Belange eingemischt. „Er hat unsere Situation immer sehr realistisch eingeschätzt und keine Wunder erwartet“, sagt Ramos. Dnipro ist seit Jahren die Nummer drei im Land, hinter Schachtjor Donezk und Dynamo Kiew. Diese beiden machen die Meisterschaft regelmäßig unter sich aus. Der Abstand zu den Führenden ist mittlerweile aber nicht mehr so groß wie noch vor einigen Jahren. „Die Mannschaft funktioniert hervorragend, sie ist defensiv sehr gut organisiert und lässt nur wenige Torchancen zu“, sagt Ramos. So gelang es Dnipro, auf dem Weg ins Finale deutlich stärker eingeschätzte Teams wie Neapel, Brügge, Ajax Amsterdam oder Olympiakos Piräus auszuschalten. Aus dem homogenen Gebilde ragen nur Even Konoplyanka und Torhüter Denis Boyko heraus. Letzterer brachte die Angreifer des SSC Neapel im Halbfinale mit seinen Paraden zur Verzweiflung.

„Auf dem Papier ist Sevilla die stärkere Mannschaft“, sagt Juande Ramos. „Von der Klasse ihrer Einzelspieler aus betrachtet sind sie der klare Favorit.“ Dnipros Spieler werden dagegen angetrieben vom Wissen um die einmalige Chance, die sich ihnen bietet.

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