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Sport: Europa segelt in die Geschichte

Nach 152 Jahren gewinnt erstmals ein Schweizer Team den America’s Cup – mit dem Berliner Strategen Jochen Schümann an Bord

Auckland. Nass vom Salzwasser des Aucklander Hafenbeckens steht Jochen Schümann, der erste deutsche Gewinner des America’s Cup, im Medienzentrum. „Haben Sie schon realisiert, was gerade passiert ist?“, fragt jemand. Der Segler lacht, antwortet sofort. „Klar. Den Cup gewonnen.“

So ist es. Alinghi besiegte um 15.17 Uhr und elf Sekunden Ortszeit den Titelverteidiger Team New Zealand zum fünften Mal und kehrte damit die bisherigen Verhältnisse in der Segelwelt um. Die Schweizer holten die wichtigste Segeltrophäe der Welt erstmals in ein Land, das keine Küste hat. Und erstmals in 152 Jahren kommt die Trophäe, eine blank polierte Silberkanne, nach Europa. „Wir waren etwas schneller, haben etwas besser gesegelt und hatten das etwas schnellere Boot“, fasste Schümann die Finalrennen, die sich wegen Stürmen und Flauten über zwei Wochen gestreckt hatten, präzise zusammen. Für die Neuseeländer war es eine desaströse Niederlage, die im letzten Rennen mit einem Materialschaden an der vorher hoch gelobten Yacht bitter unterstrichen wurde. Der Spinnakerbaum war nach der dritten Kreuz gebrochen. Das Rennen konnte der Steuermann Dean Barker zwar zu Ende segeln, ohne allerdings den Sieg des Schweizer Teams unter Russell Coutts – übrigens einem Neuseeländer – gefährden zu können. Steuermann Coutts hatte auf den Tag genau vor zwei Jahren noch für Neuseeland den Cup gewonnen, Herausforderer damals war das italienische Team Prada. Mit seiner 14. siegreichen Wettfahrt in Folge hat Coutts die US-Legende Dennis Conner in der Ewigkeitsliste abgelöst. Da fiel es ihm nicht schwer, die unterlegene Konkurrenz zu loben und seinem Gegner Barker Respekt zu zollen.

Trotz der versöhnlichen Worte blieb die Stimmung zwischen dem Schweizer Team und den neuseeländischen Gastgebern auch am letzten Tag unterkühlt. Die Attacken gegen Coutts und seinen Kollegen Brad Butterworth, die Medien-Hetzereien und Drohungen hatten die Stimmung zwischen dem Seefahrervolk und der Bergsteigernation verdorben. Bei der Preisübergabe im Viaduct Hafen von Auckland jubelten nur einige hundert Alinghi-Fans, der Rest des Publikums schwieg. Trotzdem, auf dem Podium im Hafenbecken spritzte der Champagner. Schümann reckte den Cup in die Höhe, während der Hamburger Rolf Vrolijk sein Glück nicht fassen konnte. Der 55-jährige Chefdesigner der Alinghi-Yachten ist mit dem Sieg in die Weltliga der Bootsdesigner aufgestiegen. „Ich bin überglücklich“, rief Vrolijk. „Das hätte ich nicht mal zu träumen gewagt.“

Der Schweizer Traum vom America’s Cup wird das Segeln revolutionieren, so viel steht fest. Seitdem Alinghi den Louis-Vuitton-Cup im Januar 2003 gegen das Boot „Oracle BMW Racing“ gewonnen hatte und sich in den ersten Finalläufen gezeigt hatte, dass Alinghi ein perfekt zusammenarbeitendes Team ist, das sich kaum einen Fehler in der Jagd um die besseren Winde leistet – seitdem gab es viele Gerüchte. Wo könnte der Cup in Europa verteidigt werden? Was wird geändert? Der Gewinner darf die Regeln für den nächsten Cup bestimmen. „Wir wollen mehr Teams, mehr Sponsoren, mehr Medien, mehr Publikum“, sagte Schümann nach dem Sieg. „Wir wollen mehr Spaß am Segeln.“ Als Austragungsorte werden Palma de Mallorca und die portugiesische Atlantikküste gehandelt. Wegen ihrer stabilen Windverhältnisse und ihrer logistischen Vorteile.

Die Neuseeländer kündigten nach ihrer Niederlage an, beim nächsten Cup wieder dabei sein zu wollen. Doch für viele Fans ist die neuseeländische Ära vorbei, und die der nationalen Teams auch. Im kommenden Jahr soll es etwa zehn Teams geben – Teams, die wie Alinghi international sein werden und denen große Unternehmen bei verstärkter Medienpräsenz ihre Namen aufdrücken. Also demnächst VW gegen Aldi? Segelrennen wie in der Formel 1? Einige Fans sehen diese Entwicklung skeptisch.

Andere Reformen sind dagegen überfällig. „Es muss Schluss sein mit einigen nostalgischen Überbleibseln“, sagt Schümann. Es könne nicht angehen, dass der Verteidiger und Gastgeber die Wettfahrtleitung stelle. „Das wäre in keiner anderen Sportart denkbar.“ Gerade in der Finalserie hatte es heftige Diskussionen um die insgesamt acht Absagen gegeben. Immer wieder wurden auch die penibel gemessenen Windgeschwindigkeiten in der Startphase (19 bis 23 Knoten für eine Dauer von fünf Minuten) während des Louis-Vuitton-Cup kritisiert. Künftig sollen die Yachten so stabilisiert werden, dass sie auch bei einer Geschwindigkeit von 30 Knoten und heftigen Winden fahren können – und zwar ohne auseinander zu fallen wie die schwarze Yacht der Neuseeländer, die wegen Materialfehlern zwei von fünf Rennen aufgeben musste. Vielleicht wäre das eine Chance für ein deutsches Boot. Die deutsche Segelexpertin Tatjana Pokorny prophezeit: „Wenn unsere Unternehmen jetzt nicht aufwachen, dann wohl nie.“ Schümann gilt allerdings als der einzige Deutsche, der so ein großes Projekt führen könnte.

Beim America’s Cup war der Berliner zum Treiber Alinghis geworden, als Sportdirektor und Stratege. Von 35 Rennen seiner Yacht gingen nur drei verloren. „Eine feine Schweizer Uhr mit ein paar Kiwi-Teilen“, hat Larry Ellison von Oracle BMW Racing das Boot der Konkurrenz genannt.

Nach dem Triumph stand Jochen Schümann locker am Hafenbecken und machte Witze. „Es ist fantastisch“, sagte Schümann und streckte die Daumen in die Höhe. Das ist es. Der America’s Cup geht an die Schweiz. Das ist fantastisch. Das ist die Geschichte.

Ingo Petz

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