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Twist and schraub. Seine ausgeprägte Sprungkraft erlaubt Matthias Fahrig jede Menge Drehungen in der Luft.

© Imago

Europameisterschaft im Turnen: Matthias Fahrig: Meister der Rotation

EM der Turner in Montpellier: Matthias Fahrig hat seine Karriere immer wieder durch Turbulenzen gefährdet – nun, mit 29 Jahren, wirkt er gereift.

Die drei Nachwuchsturnerinnen, die in einer Nebenhalle der „Park&Suites Arena“ von Montpellier das Training der Männer verfolgten, warfen einander verblüffte Blicke zu. Nur drei, vier Meter von ihnen entfernt hatte Matthias Fahrig gerade einen einfachen Twistsalto vollendet, doch die Höhe, in die sich der Hallenser dabei vom Boden aus schraubte, beeindruckte das Trio auch hörbar. Diese fast unglaubliche Sprungkraft ist das turnerische Markenzeichen des 29-Jährigen – und die daraus resultierende Möglichkeit, aus wenigen lockeren Schritten viele Rotationen um die Körperachsen herauszuholen.

Dieses Talent, mit dem der Sohn eines Kubaners und einer Deutschen gesegnet ist, hat ihm in seiner Karriere einige Medaillen auf europäischer Ebene eingebracht: So sammelte der frühere Boden-Europameister zwischen 2007 und 2010 an den Einzelgeräten fünfmal Edelmetall. Wie der zwei Jahre jüngere Fabian Hambüchen war auch Fahrig 2004 schon bei den Olympischen Spielen in Athen mit dabei. Doch die Karriere des extrovertierten und lebenslustigen jungen Mannes mit den (meist) dunklen Locken, der vom Typ her perfekt auf die Bühne und ins Rampenlicht passt, verlief ungleich turbulenter.

Zweimal war der Partys selten abgeneigte Sportler aus disziplinarischen Gründen aus dem Nationalteam ausgeschlossen worden, und auch, als er gezähmt schien, wollte er das so verstanden wissen, dass er gelernt habe, Prioritäten zu setzen. „Es war ja nicht schlimm, was ich gemacht habe“, sagt der einst so Widerspenstige beim Blick zurück, es habe eben nur nicht zum Leistungssport gepasst. Heute „dosiere“ er deshalb anders.

Fahrig wirkt reifer, und das passt zu der Rolle, in der er sich bei der seit Mittwoch laufenden Turn-Europameisterschaft in Südfrankreich sieht. Als Dienstältester sei es seine Aufgabe, die Jüngeren an seiner Erfahrung teilhaben zu lassen, erklärt er. „Ich verstehe mich mit allen Jungs sehr gut und bringe ein bisschen Ruhe und Lockerheit ins Team.“

Oft stand ihm auch die eigene Gesundheit im Wege

Dass Fahrig überhaupt noch dabei ist, beweist, wie viel ihm seine Leidenschaft bedeutet. Nicht nur, weil er dafür auf vieles verzichten muss, was ihm Vergnügen bereitet. Oft waren es auch gesundheitliche Probleme, die ihn zurückwarfen. Erst im vergangenen Jahr hatte sich der schon Qualifizierte nur wenige Tage vor der Europameisterschaft in Sofia wegen einer Sehnenverletzung im Fuß abmelden müssen. Ein Dreivierteljahr lang musste er sich schonen, „das war schon knackig“, aber ans Aufhören habe er nie gedacht. „Wenn du einmal etwas gewonnen hast, dann willst du das immer wieder“, sagt der ehrgeizige Athlet. Seine Erwartungen stecke er allerdings nicht mehr so hoch. „Du kannst deine Leistung nur zu 80 Prozent selbst beeinflussen“, betont er, „20 Prozent sind andere Faktoren.“

Solche wie die Kampfrichter, von denen er sich beispielsweise bei der Weltmeisterschaft in Antwerpen nicht gerecht behandelt fühlte. Wegen vermeintlichen Verlassens der Bodenfläche blieb dem schwer Enttäuschten der Einzug ins Finale an seinem Lieblingsgerät verwehrt. Heute greift er in der Qualifikation am Boden und Sprung wieder an.

Das Springen fällt Fahrig, der nach seiner Ausbildung zum Sport- und Fitnesskaufmann sich als Sportsoldat wieder ganz auf das Turnen konzentriert, leicht wie eh und je. „Wenn ich fit bin, habe ich das Gefühl, ich bin nicht gealtert“, sagt er. So scheut er auch die anderen Geräte nicht in einem Alter, in dem viele nur noch Spezialisten sind. „Ich bin im Mehrkampf nicht Weltklasse“, gibt er zu, aber zu Saisonbeginn reichte es immerhin beim Nationalen Teamcup zum Einzelsieg. Und er weiß, dass der Sprung in ein WM- oder Olympiateam einfacher ist, wenn man vielseitig einsetzbar ist. Über Rio spricht Fahrig trotzdem noch nicht. „Der Weg dorthin ist lang“, sagt er. „Ich denke nur von Wettkampf zu Wettkampf.“ Der nächste steht heute an.

Katja Sturm

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