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Sport: „Europas Fußball braucht neue Regeln“

Italiens Sportministerin Melandri über die Lehren aus der Affäre

Frau Melandri, trotz des WM-Titels ist in Italien die Fußballwelt nicht in Ordnung. Vier große Klubs wurden teilweise hart bestraft. Ist der Fußball in Italien krank?

Wir gehen mit erhobenem Haupt aus dem größten Prozess in der Geschichte des italienischen Fußballs heraus. Das Fehlverhalten von Klubs, Funktionären und Schiedsrichtern ist vom unabhängigen Sportgericht schnell und effizient beurteilt worden. Der Skandal war tief. Doch nach der Enthüllung der Telefonmitschnitte hat sich sofort ein Kommissar der Sache angenommen und eine exzellente Arbeit gemacht. Der Prozess hat Klarheit und Gerechtigkeit hergestellt.

Sie und Kommissar Rossi sind vor dem Parlament gehört worden. Viele Politiker in Italien forderten mildernde Umstände für die erfolgreichen italienischen Spieler, es gab sogar Rufe nach Amnestie.

Ich war immer dagegen. Wir alle haben das Urteil der unabhängigen Sportjustiz zu respektieren. In diesem Verfahren herrschte größtmögliche Korrektheit.

Wie kann man Ihrer Meinung nach den Fußball reformieren?

Der italienische wie der gesamte europäische Fußball braucht neue Regeln. Unsere Regierung arbeitet bereits daran. Tony Blair hat einen britischen Untersuchungsbericht initiiert, in dem Minister und Sportverbände aufgefordert werden, Direktiven für die Bereiche Wetten, Spieleragenturen und minderjährige Spieler auszuarbeiten. Wir hatten bedeutende Korruptionsskandale mit Schäden in Millionenhöhe nicht nur in Italien – auch in Belgien, Finnland, Deutschland und Portugal. Der europäische Fußball ist eine Blase, ähnlich der New Economy. Im Oktober werden wir dieses Problem im europäischen Ministerrat behandeln.

Fußball ist ein großes Geschäft. Sollte es Gehaltsobergrenzen für Profis geben?

Dies kann ein einzelnes Land nicht allein regeln. Wir müssen lernen, dass diese Dinge nur europäisch zu handhaben sind. Ich persönlich bin dafür. Es müssen Höchstquoten in den Budgets der Klubs festgesetzt werden, die für Spieler ausgegeben werden können. Dafür brauchen wir europaweit geltende, neue Regeln.

Wie soll ein Wirtschaftszweig moralisch erneuert werden, bei dem Milliarden Euro umgesetzt werden?

Wir wollen nicht zum Fußball unserer Großväter zurück. Wir können heute weder vom Massenvergnügen Fußball absehen noch von der Industrie, die um den Fußball entstanden ist. Doch wie ein Kapitalismus ohne Regeln sich selbst frisst, so geschieht es auch im Fußball: Ohne neue Regeln wird die Blase zerplatzen.

Welche Lehren müssen aus dem Skandal gezogen werden?

Wir müssen die Anleger schützen; unsere Regierung prüft deshalb das Gesetz zur Börsenquotierung. Wir brauchen eine gerechtere Umverteilung der Fernseheinnahmen. Noch vor der Sommerpause werden wir neue Gesetze zu den Fernsehrechten einbringen. Außerdem brauchen wir eine neutrale Kontrollinstanz für Schiedsrichter, Sportjustiz und Klubs.

Wie soll die Vergabe der Fernsehrechte in Zukunft geregelt werden?

Es darf kein individuelles Aushandeln der Vereine mehr geben. Vielmehr ist Solidarität mit kleinen Vereinen gefragt. Wir streben kollektive Verhandlungen der Übertragungsrechte und solidarische Verteilungsmechanismen an. Die Einkünfte aus Fernsehrechten sind die geeignetste Quelle zur Umverteilung, auch zur Unterstützung des gesamten Sports. Nur so kann die entgleiste Lokomotive Fußball auf das richtige Gleis gebracht werden.

Der Oppositionsführer Silvio Berlusconi, Präsident des beschuldigten AC Mailand, greift die jetzige Regierung und die Sportjustiz stark an.

Berlusconis Regierung hat zwei Maßnahmen für den Fußball ergriffen. Er erließ ein Dekret zur Rettung einiger verschuldeter Vereine. Gleichzeitig kürzte er mit der anderen Hand die Mittel für den Sport. Wir müssen aber das Gegenteil tun.

Ihre Regierung hat ein eigenes Ministerium für Sport und Jugend geschaffen. Liegt der Grund dafür im Fußballskandal?

Nein. Wir sind kein Ministerium des Fußballs, sondern des gesamten Sports.

Die Fragen stellte Ruth Reimertshofer.

Giovanna Melandri, 44, ist Ministerin für Sport und Jugend der neuen italienischen Regierung von Romano Prodi. Die Linksdemokratin war von 1998 bis 2001 Kulturministerin.

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