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Europaspiele in Aserbaidschan: Höher, größer, reicher

Im nächsten Jahr trägt Aserbaidschan die Europaspiele aus – und noch einiges mehr. Wie ein kleines Land mit Sport groß werden will.

Von Katrin Schulze

Wenn kein Platz da ist, dann schaffen sie ihn. Einfach so. Völlig egal, wer oder was im Weg steht. Da, wo vor fünf Jahren noch die Wellen des Kaspischen Meers dem Strand entgegenrauschten, steht jetzt eine Veranstaltungshalle. Da, wo früher mal eine Siedlung war, errichten sie gerade eine Schwimmhalle mit Sprungtürmen, Aufwärmbecken und allem Drum und Dran. Und dort, wo jetzt noch Bagger Baustellenstaub aufwirbeln, flanieren bald schon Fußgänger zu den Beachvolleyballplätzen. Die Möglichkeiten in Baku scheinen grenzenlos zu sein; genauso wie die Träume, die sie hier haben.

Bekannt und groß will es werden, dieses Aserbaidschan. Etwas bedeuten in dieser großen Welt. Zeigen, was es kann. Wie toll es ist. Und wie könnte das wohl besser gehen als mit einem sportlichen Großereignis? Im kommenden Jahr werden hier zum ersten Mal die Europaspiele abgehalten, die kleinen Olympischen Spiele für den Kontinent gewissermaßen. Im Rest der Welt hat sich das noch nicht überall herumgesprochen, doch wer in der Hauptstadt Baku selbst davon noch nichts mitbekommen hat, der muss schon ziemlich ignorant sein.

Noch soundsoviel Tage - überall in der Stadt wird die Veranstaltung beworben

In der gesamten Stadt hängen Plakate, die für dieses Ereignis werben. Schon am Flughafen blinkt der Slogan „Baku 2015“ auf einer riesigen Leinwand in der Eingangshalle. Im Stadtzentrum tickt die Uhr auf einer Insel am Kreisverkehr: Noch soundsoviel Tage, bis es losgeht. Bis Baku endlich im Mittelpunkt stehen wird, sich der großen Öffentlichkeit als weltoffene und moderne Stadt präsentieren darf. So jedenfalls stellt sich das der Sportminister vor. „Wir möchten zeigen, was wir als neue Sport-, Geschäfts- und Tourismus-Destination zu bieten haben“, sagt Azad Rahimov, der Mann mit der Figur eines Superschwergewichtlers im Gewichtheben.

Die richtigen Olympischen Spiele konnte Rahimov nicht in die Stadt holen, zweimal – 2016 und 2020 – ist Baku mit seinen Bewerbungen gescheitert. Aber wenn Aserbaidschan etwas möchte, dann bekommt es das in aller Regel auch. Wenn es keine Möglichkeiten gibt, dann schafft man sie. Und wenn man dazu halt eine völlig neue Veranstaltung erfinden muss. Die Organisatoren versuchen gar nicht erst zu verheimlichen, dass es die Europaspiele ohne das Angebot Aserbaidschans nicht gäbe. Sportminister Rahimov heckte den Plan zusammen mit dem Chef des Europäischen Olympischen Komitees (EOC), Patrick Hickey, aus – und erntete als Dank vor allem zwei Dinge: Häme und Unverständnis.

Das neue Olympiastadion in der Stadt (r.) soll 65 000 Zuschauern Platz bieten.
Das neue Olympiastadion in der Stadt (r.) soll 65 000 Zuschauern Platz bieten.

© IMAGO

Die Verbände der Länder sprachen sich gegen die Idee aus. Zu voll sei der Wettkampfkalender der einzelnen Sportarten, zu teuer die Austragung, hieß es auch aus Deutschland. Als man dann aber hörte, dass Aserbaidschan alle Kosten übernimmt, samt Anreise und Bekleidung für die Sportler, ließ man sich schnell umstimmen. Warum auch nicht?

„Seit 1951 gibt es die Panamerikanischen Spiele und die Asienspiele, seit 1965 die Afrikaspiele. Nur Europa hat kein eigenes Multisportereignis“, sagt Simon Clegg, der Chef des Organisationskomitees. Clegg weiß genau, was er sagen und wie er es sagen muss. Deshalb haben sie ihn auch verpflichtet für Baku 2015. Er ist vom Fach und managte schon manche Olympia-Bewerbung, die erfolgreiche für London 2012 zum Beispiel. Nun will er „Geschichte schreiben“ mit den ersten Europaspielen, die „total innovativ und anders“ daherkommen sollen. Wie genau, kann und will er aber noch nicht sagen.

Menschenrechtsverletzungen? Inhaftierte Journalisten? Bei uns doch nicht!

Dass man immer wieder von Menschenrechtsverletzungen in Aserbaidschan hört, dass das Land autoritär regiert wird, politische Gegner massiv unter Druck setzt und dass kritische Journalisten schon mal im Gefängnis landen, auch Dinge wie diese diskutieren die Verantwortlichen mit wenigen Sätzen weg. „Wir geben die Antwort während der Spiele. Wenn die Menschen erst einmal hier sind und das alles erleben, wird die Kritik vergessen“, sagt EOC-Chef Hickey. Man müsse sich nur anschauen, was bis jetzt schon geleistet worden sei. Was für eine großartige Stadt Baku doch sei!

Ein Sinn für Repräsentatives lässt sich den Aserbaidschanern in der Hauptstadt wirklich nicht absprechen. Der Weg vom Flughafen in die Innenstadt ist ein einziger Prachtboulevard, vorbei an protzigen Häusern aus sandfarbenem Stein und Glas, noblen Hotels, einem penibel sauber gehaltenen Park und zig Designerläden. Schon von Weitem erkennt man drei Türme, die über der Stadt thronen und als Wahrzeichen Bakus herhalten sollen. Nachts werden sie wahlweise in den Nationalfarben oder in Flammenoptik illuminiert. Nur ein Blick ganz weit in die Ferne lässt erahnen, wo das Land herkommt. Da stehen sie noch, die Wohnklötze aus Sowjetzeiten mit der grauen Schmuddelfassade. Damit möchten sie bloß nichts mehr zu tun haben.

Das Dorf sieht aus wie ein Palast

Passt nicht in die schöne neue Welt, in die sich Baku mit Macht und Gewalt und Geld katapultieren will. Alte Häuser, die sich nicht ins gewünschte Bild fügten, wurden abgerissen, und im Nu durch neue ersetzt. Ähnlich funktioniert es mit den Stadien für die Europaspiele. Am Stadtrand werkeln Arbeiter unter Regie eines Engländers an der Schwimmhalle, zu dem bald eine Strandpromenade führen soll. Europaspiele der kurzen Wege. Abgesehen vom Kanal für die Kanuten, trennen die Sportstätten maximal zehn Kilometer voneinander.

Mittendrin, im Kern der Stadt befindet sich das olympische Dorf, wobei es sicher nicht gleich jeder als dieses identifizieren dürfte. Allein von der Architektur hat es nicht mehr viel zu tun mit den klassischen Athletenunterkünften. Zwischen verzierten Säulen hindurch geht's in die riesigen Bauten mit den Glasfassaden. Ein Dorf wie ein Palast. Die Gymnastinnen, die kürzlich bei den Europameisterschaften die Anlagen testeten, bekamen große Augen von all dem Luxus. Besser als in London, sei es. Aussagen wie diese gefallen den Organisatoren. „Die Athleten, die erst hier im olympischen Dorf übernachten und ein Jahr später nach Rio fahren, werden dort nicht sehr glücklich sein“, sagt Patrick Hickey.

Baku will der Stadt der Sommerspiele 2016 ein Jahr zuvor ein Event vorlegen, mit dem Rio nicht ansatzweise mithalten können wird. Brasilien kann in diesem Spiel ohne Grenzen nur verlieren, weil es am anderen Ende der Welt, am Kaspischen Meer, einfach nichts zu geben scheint, was es nicht gibt. Sein Land wolle eben einfach neue Maßstäbe setzen, sagt der zuständige Minister. Höher, größer, protziger. Die Öl- und Gasmillionen, mit denen es eine Elite in dem Land weit gebracht hat, machen es möglich.

2016 soll die Formel 1 in Baku Station machen - spätestens

Fast schon klar ist dabei, dass sich Baku nicht allein mit den Europaspielen zufrieden gibt. Nein, 2015, spätestens aber 2016, soll ein Formel 1 Grand Prix hier ausgetragen werden. Die Schacholympiade steht an und 2017 dann die Islamischen Spiele. Viel bewirkt viel, könnte das Motto lauten. Und am meisten hat vielleicht eine bisher einzigartige Aktion im Fußball bewirkt. Als 2013 bekannt wurde, dass das Land Aserbaidschan künftig Trikotsponsor von Atletico Madrid wird, fanden das viele komisch. Als der spanische Klub ein Jahr später im Finale der Champions League stand und sich auf einmal alle dafür interessierten, was es mit dieser Werbung auf sich hat, lachte niemand mehr. Der Plan von Aserbaidschan ist da schon aufgegangen – das kleine Land ist auf großer Bühne aufgetreten.

So war es schon beim Eurovision Song Contest 2012 und so kann es nach den Vorstellungen der Verantwortlichen weitergehen. Die Halle des Sangeswettbewerbs, vor der die aserbaidschanische Landesflagge in ganzen 162 Metern Höhe im Wind flattert, wollen sie bei den Europaspielen immerhin als Mehrzweckhalle nutzen. Neubauten gibt es ja schon genug. Das Olympiastadion direkt gegenüber vom olympischen Dorf zum Beispiel. 65 000 Zuschauer sollen den Athleten in einem Jahr hier zujubeln. Drumherum ist ein großes grünes Parkgelände angedacht. Und im Land selbst?

Was passiert eigentlich da drumherum um Baku, das als Zentrum für alles dient. „Die Spiele sollen einen langfristigen Effekt auf unsere Entwicklung haben“, sagt der Herr Minister. Sie sollen mit dazu beitragen, dass es auch im Rest des Landes irgendwann aussieht wie in Baku. Aserbaidschan: Ein Land, in dem Sport der Sieg über Körper und Geist ist, heißt es in einem Werbeslogan. Als ob das alles wäre! Sport ist hier viel mehr: Die Verheißung auf eine bessere Zukunft. Mit welchen Mitteln auch immer.

Die Reise unserer Redakteurin nach Baku erfolgte auf Einladung der Werbeagentur Media Consulta International Holding, die Kosten wurden von der Agentur getragen.

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