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Sport: Extremsport mit Mission

Laufen, Radfahren, Bergsteigen: Wie sich deutsche Athleten im Kampf gegen Aids weltweit engagieren

Berlin - Der große Blickwinkel: 23 000 Kilometer Straße, genannt „Panamericana“, die durch 13 Länder führt, sich den ganzen amerikanischen Kontinent entlang zieht. Der kleine Blickwinkel: Ein aidskranker Junge, der den Gesundheitsminister an die Hand nimmt, ihm sein Bett im Kinderheim zeigt. Beide Sichtweisen gehören zum Projekt „Aids Awareness Expedition“, bei dem Spitzensportler eine Extremreise antreten, um mit benachteiligten Menschen über Aids zu sprechen.

Der Kopf hinter „Aids Awareness“ heißt Joachim Franz. An einem Berliner Wintertag sitzt er in einem Café, vor einer Lesung seines Buchs „Mit aller Kraft“, und malt in drei Stunden fünf Skizzen – zwei Länderskizzen, drei Säulendiagramme: Da fährt er hin, da waren sie, so trainiert man, und diese Ziele hat das Projekt. Er redet und redet und wirkt dabei nicht unangenehm, sondern begeistert und überzeugt. Der Mann hat eine Mission. Und die heißt Aids bekämpfen.

Dieses Jahr organisierte er seine fünfte Extremreise: Sechs Sportler fahren die gesamte Panamericana entlang, vom nördlichen Polarmeer in Alaska bis zur südlichsten Stadt Argentiniens, Ushuaia. Überwiegend ist es eine Schotterpiste, nicht zu vergleichen mit gut ausgebauten US- Highways. Sie radeln, immer abwechselnd, so dass 24 Stunden lang, rund um die Uhr, jemand auf dem Fahrrad sitzt. Nach zwei Stunden Vollspeed wird gewechselt. Ein Autotross begleitet sie, geschlafen wird stundenweise im Auto, gegessen wird Pulver- und Gelnahrung, 35 Tage lang. Das ist die Idee hinter „Aids Awareness“: eine Gewaltstrecke, oder, in schöneren Worten gesagt, eine Abenteuerreise bewältigen, die durch ein von Aids besonders betroffenes Gebiet führt. 2001 war das etwa eine Wüstentour von Paris nach Dakar, 2003 ein Lauf durch Südafrika und 2004 eine Klettertour in Kirgisien. Besonders betroffen kann heißen, dass dort sehr viele HIV-Infizierte leben, wie etwa in Südafrika, oder dass das Thema besonders tabuisiert wird, so etwa in vielen amerikanischen Ländern.

Auf der Panamericana-Tour in diesem Jahr waren Spitzensportler wie die Mountainbikerin Regina Marunde, mehrfache Deutsche Meisterin und bei den Olympischen Spielen in Atlanta Siebte, dabei. Oder Daniel Wienbreier, Triathlet, Dritter der Junioren-EM 2002 und Ironman-Gewinner, sowie Norman Freitag, der zur internationalen Spitze der Ultra- Radsportler gehört, das sind Sportler, die Hunderte Kilometer Strecke an einem Tag absolvieren.

In Dörfern und kleinen Städten macht der Tross Halt, bis auf den aktuellen Fahrer natürlich, denn das Rad mit der Botschaft gegen Aids steht nie still. Diese Stationen sind vorher von Deutschland aus pedantisch geplant worden. Joachim Franz sucht sich Verbündete: Er arbeitet beispielsweise mit der für Aids-Bekämpfung zuständigen UN-Sektion, der lokalen Presse und Projekten vor Ort zusammen. „Es soll nicht so sein, dass die schlauen Weißen von außen kommen und Vorträge halten“, sagt er. Neben der Aufmerksamkeit durch den Sport soll auch Mut gemacht und Wissen transportiert werden. Deshalb besuchen die Sportler lokale Einrichtungen wie Heime für HIV-positive Kinder. Die Szene mit dem kleinen Jungen und dem Minister, die zeigt gut, was das Projekt bewirken kann: Dieser Gesundheitsminister aus Chile hat wegen der ausländischen Sportler zum ersten Mal überhaupt einen Fuß in das zuvor gemiedene Kinderheim gesetzt.

Die Begrüßungen für die Sportler sind oft beeindruckend. „An Orten, wo 100 Menschen lebten, standen plötzlich 1000 Leute“, sagt Franz. Ohne Telefon und Fernsehen hatte es sich herumgesprochen, dass da Menschen unterwegs sind, von weit her, um sie zu besuchen und eine Botschaft zu überbringen. Das ist schon fast weihnachtlich. Regina Marunde ist vor allem im Gedächtnis geblieben, als Reiter sie, die Radfahrerin, umrundeten, Menschen herbeiströmten, Musik gespielt wurde. „Es hat Stunden gedauert, bis ich weiterfahren konnte und da wieder raus war“, sagt Regina Marunde, sie lacht dabei, zufrieden; man sieht ihr an, wie gern sie sich erinnert. Der Schlafmangel, die schmerzenden Muskeln – das alles war vergessen. Zwar war das hier kein Wettbewerb, aber es stand ein anderer Druck im Hintergrund: „Du kannst nicht gegen Aids kämpfen wollen und dann aufgeben“, sagt Joachim Franz.

Sein Werdegang ist beeindruckend. Der Mann ist gelernter Werkzeugmacher. Vor 14 Jahren brachte er 118 Kilo auf die Waage. Irgendwann war er „angeödet von mir selbst und diesem Leben“ und wurde Extremsportler. Dann starb ein Freund an Aids: der erste Gedankenanstoß. Danach war er in Manila und sah die Armut, das Leid, das diese Krankheit zufügt, und zwar vor allem bei Menschen ohne Lobby. „Sport mache ich zum Selbstzweck, hat Reinhold Messner einmal gesagt – und genau das finde ich zu wenig“, sagt er. „Ich will kein Eroberer des Nutzlosen sein.“ Das ist er bestimmt nicht – inzwischen hat er zwei Millionen Euro für Aidskranke gesammelt – , die Kilometer, die auf den Extremreisen zurückgelegt wurden, können Spender symbolisch erwerben. „Aids Awareness“ unterstützt zwölf Aidsprojekte in den bereisten Ländern. Prominente wie Elton John schicken Joachim Franz Grußbotschaften.

Die Nachricht von den Sportlern mit Mission ist schon fast ein Selbstläufer: 2001 sah ein schwarzer Mann in einem Fischerdorf 180 Kilometer nördlich von Kapstadt im Fernsehen, wie Joachim Franz die berühmte Strecke Paris-Dakar fuhr. Und der Mann, er heißt Johan Lewin und leitet selbst ein Aidsprojekt, entschied: Der soll das mal hier bei uns machen. Also schickte er einen Brief. Franz sagte dankend ab, denn geplant hatte er eine Osttour. Trotzdem kamen Danksagungen und Unterstützungsversprechen von 16 Organisationen bei ihm an, wie schön es wäre, dass er nach Südafrika kommt – so auch von der Nelson Mandela Foundation. Lewin hatte einfach so getan, als ob er eine Zusage erhalten hätte. „Von dieser Hartnäckigkeit war ich so beeindruckt, dass ich gesagt habe: Dann machen wir das eben.“ Und so liefen im Jahr 2003 Schwarze aus den Townships, den Armenvierteln, gemeinsam mit ausländischen Gästen gegen Aids durch Südafrika.

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