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Fankultur: Hertha und Schalke - eine exklusive Feindschaft

Warum Herthas Fans die Schalker nicht mögen – und denen das egal ist.

Ein Spiel, drei Vorgeschichten. Die jüngste beginnt und endet mit Christian Gimenez, einem Argentinier, der noch in der Zeit vor Lucien Favre für Hertha BSC spielte. Vor drei Jahren schoss Gimenez beide Tore zu einem 2:0-Sieg, mit dem Hertha BSC nach langen Jahren der Abstinenz mal wieder an die Tabellenspitze der Fußball-Bundesliga kletterte. 65.000 Zuschauer im Olympiastadion waren begeistert. Auch wegen Platz eins, vor allem aber, weil es gegen den FC Schalke 04 ging. Denn kein Team sieht der Herthafan so gern besiegt wie den Lieblingsfeind aus Gelsenkirchen.

Spiele gegen Schalke waren in Berlin stets etwas Besonderes. Am 11. August 1937, als Hertha erstmals im neuen Olympiastadion spielte, kamen 90.000, um den berühmten Kreisel der berühmten Schwäger Ernst Kuzorra und Fritz Szepan zu sehen. Zu dieser älteren Vorgeschichte zählt auch, was ein prominenter Augenzeuge in sein Tagebuch notierte: „Eine aufregende Sache. Fußball ist ein richtiger Volkssport. Schalke siegt 2:1. Das Stadion bietet, wenn es so überfüllt ist, einen imponierenden Anblick.“ Das Zitat findet sich in keiner Jubiläumsschrift, was nicht so sehr an der 1:2-Niederlage liegt, sondern an seinem Autor. Hertha gegen Schalke war das erste Fußballspiel, das Joseph Goebbels sah.

Der Historiker Daniel Koerfer hat diese Anekdote bei der Recherche für sein Buch über „Hertha unter dem Hakenkreuz“ entdeckt. Die heute so oft bemühte Feindschaft zwischen beiden Klubs gab es damals noch nicht. Es ist dies ohnehin eine seltsame Feindschaft, eine so exklusive, dass die Hälfte der vermeintlichen Feinde gar nichts davon weiß. Schalker Fans reagieren belustigt oder überrascht, wenn man sie auf die Fehde mit ihren Berliner Spießgesellen anspricht. Die Schalker verorten den Feind in einem schwarz-gelben Dorf nördlich von Lüdenscheid, vielleicht auch noch in München, denn die Bayern hat ja jeder gern zum Feind, aber Hertha?

Die Berliner Abneigung gegen alles, was Königsblau trägt, geht zurück auf die eigentliche, die mittlere Vorgeschichte. Sie bezieht sich auf ein Spiel, das unter weitgehendem Desinteresse der Öffentlichkeit stattfand. 6000 Zuschauer waren dabei, als Schalke am 15. Dezember 1971 zur ersten Runde des DFB-Pokals im Olympiastadion gastierte. Hertha gewann 3:0, bei zwei Toren hatte Zoltan Varga den Fuß im Spiel, ein ungarischer Künstler, der gar nicht hätte mitspielen dürfen. Der Deutsche Fußball-Bund hatte Varga im Zuge des Bundesligaskandals mit einer Vorsperre belegt. Das war juristisch höchst umstritten, denn der eigentliche Prozess gegen Varga und die anderen mutmaßlichen Manipulatoren hatte noch gar nicht begonnen.

Mit dieser Vorsperre mochte Vargas sich nicht abfinden lassen. Sein Anwalt erwirkte zwei Tage vor dem Pokalspiel am Berliner Landgericht eine einstweilige Verfügung, die kurz vor dem Anstoß noch einmal bestätigt wurde. „Der DFB musste gegen Hertha eine Niederlage hinnehmen“, schrieb die Deutsche Presseagentur. Die Berliner wussten um die politische Dimension, denn der DFB sah es nicht gern, wenn seine Klubs ihre Probleme außerhalb der Verbandsgerichtsbarkeit zu klären versuchten. Dennoch entschied sich Trainer Helmut Kronsbein für Vargas Einsatz und sah sich auch bestätigt, denn der Ungar machte ein großartiges Spiel. Die Schalker hingegen wirkten so teilnahmslos, als wüssten sie schon, dass diese Niederlage nicht lange Bestand haben würde. Noch am selben Abend legten sie Einspruch ein. Fünf Wochen später wandelte das DFB-Sportgericht Herthas 3:0-Sieg in eine 0:2-Niederlage um.

Es fällt im Rückblick nicht schwer, den Schalkern Heuchelei vorzuwerfen. Ja, Varga war bestochen worden, für 15.000 Mark von nichtabstiegswilligen Bielefeldern. Aber in Schalkes Mannschaft, die Hertha so willenlos unterlag, standen gleich sieben Spieler, die sich ebenfalls eine Niederlage teuer hatten bezahlen lassen und später zum Teil noch einen Meineid dagegen. Dass diese Schalker nun statt Hertha in die zweite Runde einzogen und am Ende sogar durch ein 5:0 im Finale gegen Kaiserslautern den Pokal gewannen, haben die Berliner Fans ihnen nicht verziehen. Der eigentliche Feind aus Lüdenscheid-Nord nennt den FC Schalke 04 bis heute FC Meineid.

Heute hat Hertha mit die jüngsten Fans der Liga, kaum einer kennt noch Zoltan Varga, aber die Feindschaft zu Schalke, sie hat überlebt, sorgfältig tradiert von Generation zu Generation. Das klingt skurril und hatte doch noch in der jüngsten Vergangenheit dramatische Folgen. Huub Stevens scheiterte als Trainer bei Hertha nicht an seinem gewöhnungsbedürftigen Wesen und auch nicht an dem langweiligen Fußball, den er spielen ließ. Sondern an seiner Vergangenheit als Schalker Erfolgscoach, die den Fans nicht zu vermitteln war.

Ähnliches dürfte Hertha in absehbarer Zukunft kaum passieren. Dass die Berliner ihren Erfolgstrainer Lucien Favre gegen den künftigen Schalker Multi-Funktionsträger Felix Magath austauschen, ist doch eher unwahrscheinlich.

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