zum Hauptinhalt
Ultra, Chef und Spielerfrau. Die Typen im Amateursport ähneln sich. Hier der FC Eislingen.

© imago sportfotodienst

Fans im Amateurfußball: Echte Typen, hohe Absätze

Im Amateurfußball ist die Fanwelt noch in Ordnung, heißt es oft. Doch wer kommt denn wirklich zu Spielen in den unteren Ligen? Eine Übersicht.

Der Pöbler
Egal, wie fair der Gegner sich benimmt, ob die eigene Mannschaft gewinnt oder der Schiedsrichter zwei Platzverweise gegen die Gastmannschaft ausspricht: Der Pöbler pöbelt immer. Der Pöbler findet nämlich per se, dass der Schiedsrichter sich „mal gerade machen sollte“ und mit diesem „Pussygeträller“ nicht mal bei den „Kastelruther Spatzen mitmachen“ könne. Und wenn dieser danach um Ruhe bittet, resümiert der Pöbler, dass die „schwarze Sau“ das „einer Parkuhr erzählen“ solle, denn dann sei er mit seinem Gesprächspartner „wenigstens geistig auf einer Höhe“. Am Ende hätte jeder Sieg deutlich höher ausfallen müssen, doch die „Schiri-Heulsuse“ hat ja „keine Eier in der Hose gehabt“, um in der 40., 57. und 83. Minute auf Elfmeter zu entscheiden. Auf diese Enttäuschungen kippt er in den letzten zehn Minuten noch vier große Bier und schickt ein letztes „Heul doch!“ in Richtung des gegnerischen Spielers, der gerade mit offenem Bein abtransportiert wird.

Der Chef
Hat früher selbst mal in der ersten Mannschaft gespielt, und war sogar schon auf dem Sprung zu Fortuna Düsseldorf II, als ihn eine Meniskusverletzung zum Aufhören zwang. Er kennt jeden Zuschauer im Stadion. Etwa 80 Prozent begrüßt er mit Handschlag und einem flotten Spruch („Ergebt euch, ich bin in der Überzahl!“). Die restlichen 20 Prozent müssen sich mit einem jovialen Nicken oder der Kombination Zeigefinger/Augenzwinkern zufriedengeben. An der Schlange vor dem Bier- oder Würstchenstand erkennt er Fremde und den Eindringling sofort. Damit diese Eindringlinge verstehen, wer hier der Chef ist, drängelt er sich laut redend direkt vor sie und demonstriert mit anderen herumstehenden Leuten Geschlossenheit. Gesprächsthemen: Letzter Abend im „Fantastico“ oder die neuen Sportfelgen von Ralf. Der Eindringling weiß sofort: Er ist alleine. Denn er war nicht im „Fantastico“ und fährt Fahrrad.

Die Spielerfrau
Sie ist die Königin der Oberliga- und Verbandsligastadien, denn sie ist mit dem Topstürmer oder dem Spielmacher liiert. Stilsicher kombiniert sie Outfits, Schminke und Schmuckaccessoires von Sarah Brandner und Sabia Boulahrouz. Aktuell trägt sie besonders gerne eine Ramones-Lookalike-Lederjacke. Einziger Unterschied: Die Jacke ist von Zara und nicht von Gucci. Dennoch finden der Chef und der Pöbler, dass sie „’ne hammermäßige Perle“ ist. Dummerweise kommt sie meistens erst kurz vor Anpfiff und schlendert dann sonnenbebrillt an den Stehrängen vorbei direkt zur Sitzplatztribüne. Der Chef grinst wissend, und der Ehemann linst kurz verstohlen rüber, während sie oberhalb der Ersatzbank Platz nimmt. Sie spricht mit niemandem, außer mit ausgewählten Mitspielern ihres Freundes. Alle 30 bis 35 Sekunden überprüft sie ihr iPhone (weiß), in der Hoffnung, dass ein Topstürmer oder ein Spielmacher der Regionalligamannschaft aus dem Nachbarort angerufen hat. Folge: Latent schlechte Laune.

Die Spielerfrau in spe
Sie kommt oft mit zwei Freundinnen. Ihre Ohrringe sind größer als die der Spielerfrau, und ihre Fingernägel hat sie im eigenen Nagelstudio „USA Nails & More III“ mit kleinen Steinchen-Applikationen auf den neuesten Stand gebracht. Leider geht mit der Schminke oft was daneben, so dass sie ein bisschen aussieht wie Gina-Lisa Lohfink. Auch das Gehen auf den Highheels klappt noch nicht so richtig, daher trägt sie lieber mit Nieten oder Strasssteinen besteckte Boots ohne Absätze. Ihr Outfit stammt nicht von Zara, sondern von H&M oder New Yorker. Mit dem Chef könnte was gehen, doch der ist mittlerweile über 30 und bekommt langsam eine Halbglatze. Immerhin gibt er ihr im „Fantastico“ manchmal einen Prosecco aus. Dafür bekommt er im Stadion jedes Mal einen Begrüßungskuss, den die umstehenden Chef-Jünger mit anerkennendem Raunen quittieren.

Der Betreuer. Auch ohne offizielle Funktion sorgt er sich ums Wohl der Spieler.
Der Betreuer. Auch ohne offizielle Funktion sorgt er sich ums Wohl der Spieler.

© imago/Dünhölter SportPresseFoto

Der Betreuer
War früher auch ein ganz passabler Spieler, allerdings nie so gut wie der Chef. Kurz vor einem Wechsel zum FSV Zwickau III, entschied er sich für eine Ausbildung beim Hauptsponsor und heiratete eine ehemalige Spielerfrau in spe. Die Folge: Nahm in sechs Monaten 20 Kilo zu. Heute ist er nicht mehr aktiv, aber immer noch voll dabei. Er gehört offiziell zwar nicht zum Betreuer- geschweige denn zum Trainerteam, dennoch fühlt er sich ein stückweit für die Spieler verantwortlich. Steht daher immer direkt hinter der Trainerbank und trägt eine Trainingsjacke aus der vorletzten Saison. Neulich ist er mal mit einer Wasserflasche aufs Spielfeld gerannt, als ein Spieler am Boden lag und medizinisch versorgt werden musste. Das war dem Trainer dann doch ein bisschen zu viel. Er bat daraufhin seinen Co-Trainer, mal mit dem Jungen zu reden. Das Gespräch verlief freundschaftlich („Bist ein Guter, weißte ja, aber das geht zu weit!“). Seitdem hält er sich ein wenig zurück, klopft aber den Spielern weiterhin motivierend auf den Rücken, wenn diese das Feld betreten. Außerdem unterhält er sich 90 Minuten lang mit seinem Nebenmann über taktische Kniffe und mögliche Aus- und Einwechslungen. Dabei spricht er laut, so dass der Trainer ihn hören kann, um diese Informationen gegebenenfalls weiterzuverarbeiten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Der Hauptsponsor, die Ultras und der Ehemann.

Der Schweiger
Diese Mannschaft ist für den Schweiger nicht mehr das, was sie mal war. Der Schweiger ist nämlich weit über 60 Jahre alt und hat das Team bereits 1975 gesehen, als es beinahe die 1. Runde des DFB-Pokals gegen den SV Meppen II erreicht hätte. Da war was los hier. Doch heute? Kein Pass, keine Flanke, keine Tore. Es ist erbärmlich. Und eigentlich hat der Schweiger sonntags eh was Besseres vor als Fußball. Steht dennoch jeden Sonntagmorgen um 8 Uhr auf und studiert in der Lokalzeitung den aktuellen Tabellenstand. Wenn der Hauptsponsor an ihm vorbeigeht, schüttelt er ostentativ den Kopf. Der Hauptsponsor erwidert gelegentlich: „Ich weiß, früher war alles besser. Sogar die Gummistiefel waren aus Leder.“ Der Schweiger winkt desinteressiert ab. Nach 90 Minuten Hass und einem Kaffee (schwarz) flüchtet der Schweiger in die Kneipe seines Vertrauens. Erwähnt dort beiläufig, dass dies sein letzter Besuch im Stadion war und er mit Fußball komplett durch ist. Bestellt danach Underberg und blickt apathisch auf den Fernseher, wo die härteste Zweite Liga aller Zeiten läuft.

Der Ehemann
Der Ehemann hat seiner Frau eigentlich gesagt, dass er zum Fußball geht, doch die Gute klingelt schon in der 40. Minute durch. „Schatz, ich habe dir doch gesagt, dass ich zum Fußball gehe.“ ... „Eine Halbzeit ist jetzt vorbei!“ ... „Das Spiel dauert noch eine zweite Halbzeit.“ ... „45 Minuten!“ ... „Schatz?“ Bevor der Ehemann blitzartig das Stadion verlässt, um seine Ehe zu retten, eilt der beste Freund zum Bierstand und holt Nachschub. Trifft dort den Chef, mit dem er sich über die Alte vom Ehemann amüsiert. Steckt außerdem noch zwei Küstennebel ein, um den Ehemann bei Laune zu halten. Der Tag endet in der Kneipe, wo er sich vom Schweiger anschweigen lässt und vom Chef über die Vorteile des Trinkens aufgeklärt wird: „Lieber einen Bauch vom Saufen, als einen Buckel vom arbeiten.“

Der Hauptsponsor
Ein Herr Mitte 40, graue Haare, mittelmäßig sitzendes Sakko, darüber eine Sportjacke mit diversen Aufdrucken seiner Versicherungsfirma oder seines Elektroeinzelhandels. Wenn um ihn herum nicht nur Dilettanten arbeiten würden, könnte die Mannschaft mittlerweile in der Zweiten Liga spielen. Kürzlich hat ihm sein Vetter erklärt, dass er mehr Zuschauer ins Stadion locken könnte, wenn er ein bisschen Unterhaltung anbieten würde. Hat sich danach an der örtlichen Gesamtschule umgehört, ob es dort fähige Nachwuchs-Rapper oder potenzielle Cheerleader für eine mögliche Halbzeitshow gibt. Grüßt alle Zuschauer per Nicken oder Winken. Dem Betreuer klopft er auf die Schulter und sagt: „Er schon wieder!“

Die Ultras
Bei einigen Oberligaklubs stehen eine Handvoll Jungultras neben der Sitzplatztribüne, wo sie ihre Banner aufgehängt haben. „Fußballfans sind keine Verbrecher“ oder „Gegen den modernen Fußball“ steht da. Ihr Name beginnt mit „Brigade“ oder „Kommando“, und sie beäugen einige Vorhaben des Hauptsponsors skeptisch. Nachdem ihnen neulich der Chef gesteckt hat, dass hier demnächst ein Halbzeitpausenshowprogramm starten soll, haben sie ihrer Wut in einem offenen Brief Luft gemacht. Seitdem sind die Fronten verhärtet.

Das Füllmaterial
Der Rest der etwa 200 Zuschauer (etwa 150) setzt sich aus Jungs der eigenen A- bis F-Jugend zusammen. Sie sitzen auf den Stufen und tragen Trainingsanzüge, denn sie haben bis eben noch auf einem Nebenplatz gespielt. Nun wollen sie mal gucken, was bald auf sie zukommt. Sie tragen Marco-Reus-Frisuren und haben freien Eintritt. Der Hauptsponsor nimmt wahlweise den Kapitän oder den Stürmer zur Seite und erklärt ihm dann, dass er ihm, wenn alles gut läuft, ein Training in der belgischen zweiten Liga vermitteln kann. Der Rest der Oberligaspieler in spe beobachtet die Spielerfrauen in spe. Annäherungsversuche sind allerdings selten.

Der Eindringling
Er fährt aus Berlin oder Hamburg oder Leipzig in die Speckgürtel der Stadt und manchmal noch ein bisschen weiter. Steht dann dort auf den rasenüberwachsenden Stehtraversen und ist auf der Suche nach ein wenig Fußballfolklore. Wenn er lächelt, wird das als ironischer Affront gewertet, wenn er neutral guckt, scheint er Ärger zu suchen. Setzt er sich seine ach so schicke Rahmenbrille auf, wird er für wenige Minuten zum Gespött des Pöblers. Sofern er sich nach solchen Fehltritten noch mit den umstehenden Zuschauern arrangieren kann („Kein Stress!“), erlebt er allerhand Enttäuschungen: Eine Stehplatzkarte kostet acht Euro, die Wurst schmeckt nach Leder und die Spielerfrauen in spe würdigen ihn keines Blickes, denn er hat keine dicken Oberarme, keine Marco-Reus-Frisur und keine Sportfelgen. Er fährt nicht mal Auto, sondern kommt per Regionalbahn oder mit dem Fahrrad zum Spiel. Dachsartig verharrt er 90 Minuten im sicheren Abstand zum Chef und zum Pöbler. Wenn er nach Ende des Spiels nicht zurecht in die örtliche Mülltonne gesteckt wird, veröffentlicht er seine ach so aufregenden Abenteuerfahrten in Blogs oder auf 11freunde.de.

Der Text erschien auf 11Freunde.de als Ergänzung zu Heft 174: „Vergesst die Bundesliga! Hier kommen die Amateure“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false