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Sport: Favorit in Gips

Deutschlands Handballer haben einen Traum: In Portugal wollen sie Weltmeister werden – ohne den verletzten Spielgestalter Daniel Stephan

Lissabon. Vor vier Wochen noch wären alle Wetten auf den kommenden Weltmeister witzlos gewesen. Jeder, der sich auch nur ein wenig auskennt im Welthandball, hätte ohne Wimperzucken viel Geld auf Deutschland gesetzt. Weil der TBV Lemgo, der das Gerüst der deutschen Nationalmannschaft stellt, in der stets als „beste Liga der Welt“ bezeichneten Bundesliga wie ein gewaltiges Naturschauspiel über seine Gegner hinweggerauscht war. Angeführt von ihrem genialen Spielgestalter Daniel Stephan zerlegten die Ostwestfalen mit ihrem neuartigen und faszinierenden Tempohandball anscheinend völlig problemlos jede Abwehrmauer, brachen sie mit 17 Siegen in Folge alle bisherigen Rekorde, befanden sie sich durch das brutal durchgespielte Konzept der „schnellen Mitte“ in einem völlig anderen Handball-Orbit und ernteten dadurch bei allen Experten nur staunende Blicke. Genau so, war sich beispielsweise der französische Nationalspieler in Diensten des VfL Gummersbach, François-Xavier Houlet, sicher, genau so würde der Weltmeister spielen, und auch der dänische Außenspieler Lars Christiansen sah seinerzeit weit und breit kein Mittel gegen die spielerische Dominanz des „TBV Deutschland“: „Dazu fällt mir gerade nichts ein.“

Doch dann musste Bundestrainer Heiner Brand vor gut einer Woche die für sein Team schrecklichste aller Schreckensnachrichten entgegennehmen: Wieder musste Stephan, wie schon die beiden Weltmeisterschaften zuvor, absagen. Seine bereits seit Herbst gereizte Achillessehne drohte bei der nächsten größeren Belastung zu reißen. Der Ausfall des halblinken Rückraumspielers, meinte ein anfangs völlig deprimierter Brand, „ist eigentlich nicht zu kompensieren“. Und weil das System Lemgo so sehr auf seinen Star Stephan angewiesen ist, auf seine fantastischen Anspiele und unorthodoxen Würfe aus der zweiten Reihe, war jedem Beobachter klar: Mit der kaputten Ferse Stephans war gleichzeitig auch die große Favoritenbürde, die Deutschland sonst in Portugal getragen hätte, eingegipst worden.

Seine Teamkollegen sahen das nicht anders. „Wenn er dabei wäre“, sagte etwa Linksaußen Stefan Kretzschmar, „dann hätten wir wirklich Chancen auf den Titel gehabt.“ Nun hat man die Erwartungen nach unten korrigiert: Das Minimalziel heißt nun Olympiaqualifikation, sprich Platz sieben. „Die WM wäre ein Supertraum gewesen“, sagt Kretzschmar, „aber jetzt wäre auch eine Medaille für mich ein Riesending.“ Kretzschmar weiß, dass es „in Deutschland eigentlich nichts“ wert sei, „wenn du nicht den Titel holst“. Und doch klingt es glaubwürdig, wenn er sagt, dass „keiner von uns enttäuscht wäre über Silber und Bronze“. Laut Kretzschmar hätten sie sich die Medaille bei Weltmeisterschaften, die zuletzt immer enttäuschend endeten, „wirklich verdient. Wir haben so lange daran gearbeitet.“

Nun, da die Meldung von Stephans Ausfall ein paar Tage alt ist, versprüht der Magdeburger jedoch schon wieder ein wenig Optimismus: „Es gibt sieben, acht Favoriten, und wir sind einer davon.“ Auch der zunächst deprimierte Bundestrainer hat offenbar wieder Mut geschöpft. Sicher, er habe in der Mannschaft „eine gewisse Nachdenklichkeit gespürt“, sagt Brand. Doch spätestens seit dem Turnier in Metz, als das Team bei der 24:25-Niederlage gegen Weltmeister Frankreich „über 55 Minuten hinweg dominieren konnte“, sieht er die deutschen Chancen wieder gestiegen. Vor allem macht Brand Hoffnung, dass der nun wichtigste Spieler im Rückraum, Volker Zerbe, zuletzt noch fehlte. Seine Mannschaft habe „schon in Frankreich demonstriert, dass sie gegen ein absolutes Top-Team mithalten kann, wenn sie kämpft und sich an die taktischen Vorgaben hält". Die Hoffnung auf den ganz großen Coup in Portugal ist also immer noch lebendig im Trainer. Und damit auch in der Mannschaft.

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