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FC Bayern: Die neue Gelassenheit des Jupp Heynckes

Seit er wieder da ist, spielt der FC Bayern, wie man es kennt: überlegen und torreich. Als gäbe es für die Münchner keinen besseren Trainer als Jupp Heynckes. Von Entschleunigen spricht er vor dem Spiel gegen den SSC Neapel, sogar von Gelassenheit. Ausgerechnet er.

Wie er so dasteht am Rand des Geschehens, das linke Bein leicht vorgeschoben, auf dem rechten lagert das Gewicht. Die Jacke ist geöffnet, denn es ist ein schöner, sonniger Herbsttag. Und die Hände, beide Hände, die sind in den Taschen verborgen – so steht man entspannt auf einem Stehempfang. Nur dass hier kein Sekt gereicht wird.

Oder doch? Ab und an hebt er mal eine Hand aus der Tasche, gibt ein Zeichen mit einem Finger oder macht mit der offenen flachen Hand eine einladende Bewegung – so ordert man noch ein Gläschen. Und dann bekommt er den Schampus.

Es ist ein Moet Chandon, kredenzt von Franck Ribery, in Form eines prickelnden Solos über linksaußen. Es kann auch mal ein kräftiger spanischer Cava sein, gereicht von Mario Gomez als platzierter Schuss ins linke Toreck. Oder, schließlich sind wir in Bayern, serviert Bastian Schweinsteiger eine Maß Edelstoff, energisch, unwiderstehlich, in einem Zug. Nur der Genever, der ist heute ausgegangen, der zuständige Kellner, Arjen Robben, sitzt unpässlich auf der Tribüne. Aber das macht gar nichts.

Und dann dreht sich der Mann vom Stehempfang um, es ist Jupp Heynckes, und dann geht er vom Spielfeldrand zu seinem Unterstand in der Münchner Arena, und ein leises Lächeln ist in seinem Gesicht zu sehen. „Ja, so geht es, sag ich doch, weiß ich doch“, sagt das Lächeln.

Man brauchte Jupp Heynckes nur am vergangenen Samstag beim Spiel seines FC Bayern gegen Hertha BSC zu beobachten, um auf seine derzeitige Gefühlslage zu schließen. Man sah da das Bild eines tief zufriedenen Mannes, eines sehr entspannten Mannes, ja, auch, eines sehr glücklichen Mannes.

Oder auch so: Zwei Tage zuvor saß Heynckes in einem Besprechungszimmer der Geschäftsstelle seines Vereins, die lange schon keine Geschäftsstelle mehr ist, sondern eine Geschäftszentrale, da saß er also, und als der Satz fiel: Ihnen geht es richtig gut hier, oder?, strahlte er, so wie kleine Kinder strahlen, wenn alles im Lot ist und sie nichts mehr fürchten müssen, „ja“, sagte er, „ich bin wieder zu Hause“.

Daheim beim FC Bayern München. Mit dem eilt er nun von Sieg zu Sieg. So dominant wie seit Jahren nicht mehr. Sie haben das Spiel zu Beginn der Saison verloren, seitdem nichts mehr. Mehr noch: Sie beherrschen den nationalen Fußball, gewinnen nicht knapp, sondern deutlich und in beeindruckender Manier. Und dass sie auch im europäischen Fußball eine gewichtige Rolle spielen, werden sie heute Abend, so viel Prophetie sei erlaubt, beim Spiel in der Champions League gegen den SSC Neapel beweisen. Aber eigentlich ist das falsch, dass die Bayern, dass Jupp Heynckes von Sieg zu Sieg eilen. Eilen, das würde Hast unterstellen. Er marschiert auch nicht, das würde nach Drill und Strenge klingen. Sie siegen einfach, gelassen und souverän. „Ja, es stimmt“, sagt Heynckes und lehnt sich dabei entspannt zurück, „wir geben zur Zeit ein absolut seriöses Bild ab.“

Gut hundert Tage ist Heynckes nun wieder daheim. Er ist jetzt 66 Jahre alt. Nach dem Spiel gegen Hertha kam auch Uli Hoeneß, der Präsident und 59 Jahre alt, ziemlich strahlend aus den Katakomben der Münchner Arena. Ihn begleitete Uli Köhler, Fußball-Reporter in den vergangenen Jahren bei nahezu allen TV-Stationen, 60 Jahre alt. Hoeneß sichtete einen ihm altbekannten Fotografen, der hat kürzlich den 60. gefeiert. Er begrüßte auch noch zwei, drei Journalisten aus dem Printbereich, ergraut auch diese Herren, zumindest angegraut, die waren auch schon dabei, als Heynckes vor 20 Jahren zwischen 1987 und 1991 die Bayern trainierte und zwei Meisterschaften gewann. „Oh“, sagte Hoeneß nicht ohne Selbstironie, „Veteranentreff?“

Es wirkt ein wenig in diesen Tagen beim FC Bayern München, als hätte Filmregisseur Dieter Wedel noch einmal den großen Bellheim inszeniert, jenen TV-Vierteiler aus dem Jahr 1992, in dem vier ergraute, zumindest angegraute Herren ein marodes Kaufhaus mit Witz und Charme und vor allem Können wieder auf Vordermann bringen.

Nun war der FC Bayern weit davon entfernt, marode zu sein, aber in eine Unruhe ist er doch gekommen in den vergangenen Jahren. Da war der Trainer Felix Magath, der wohl Erfolge hatte, aber auch, sagen wir, starke Defizite im zwischenmenschlichen Bereich, man kann auch sagen – Hoeneß würde das öffentlich nie tun und Heynckes nicht einmal nichtöffentlich – menschenverachtend arbeitet. Dann hatten sie Jürgen Klinsmann, den überkandidelten Propheten irgendeiner Moderne, dessen Scherben der damalige Privatier Jupp Heynckes 2009 in einem kurzzeitigen Intermezzo aufkehrte und aus dem Haufen noch eine Mannschaft formte, die in der Champions League mitspielen durfte. Oh ja, sie hätten ihn wohl gerne behalten, aber da waren die Bayern schon bei Louis van Gaal im Wort, mit dem sie sich eine Saison lang in den Spuren von Real Madrid, FC Barcelona und Manchester United wähnten. So lange, bis van Gaals, sagen wir, starke Defizite im zwischenmenschlichen Bereich, man kann auch sagen – Hoeneß würde das jederzeit öffentlich tun, Heynckes über Kollegen schweigen – seine Egomanie nicht mehr übertüncht wurde von den Erfolgen.

„Man musste entschleunigen“, sagt Heynckes im Besprechungszimmer, „man musste Gelassenheit reintragen und Souveränität.“ Ausgerechnet er.

Seit Heynckes 1979 noch als aktiver Spieler seinen Trainerschein machte und bald darauf als jüngster Cheftrainer der Bundesliga bei Borussia Mönchengladbach anfing, haftete ihm etwas Überspanntes an. Er sprach mit zusammengepressten Lippen, trotz seiner Erfolge stierte er finster in die Welt. Die Coolness, die er als Torjäger besessen hatte, im Trainer Heynckes fand sie sich lange nicht. Und wenn es in Krisen nicht so glücklich lief, dann auch deshalb.

Warum Heynckes viel moderner ist als Klinsmann, erfahren Sie auf der nächsten Seite.

Als Heynckes vor 20 Jahren aus München wegging, weggehen musste, da wurde er nicht geschasst, weil sein Können angezweifelt wurde. Da waren zwei finanzträchtige Spielerverkäufe im Weg gewesen, von Jürgen Kohler und Stefan Reuter, durch die die Mannschaft stark geschwächt wurde, da hatte eine fast schon unheimliche Verletzungsserie das Team belastet. Auf Platz zwölf lag der FC Bayern, als der Auflösungsvertrag ausgehandelt wurde. Und da hatte es ein paar Sticheleien und kleinere Intrigen innerhalb des Vereins gegeben, die vor allem darauf gezielt hatten, dass Heynckes sich mitunter auch selbst im Weg stand. Mit Teilen der lokalen Presse hatte er einen schon fast verdrucksten Umgang, auch war sein bajuwarisches Gefühl für Souveränität stark unterentwickelt. Integer, das war er immer, glaubwürdig und ehrlich auch. Aber gelassen? „Man entwickelt sich weiter“, sagt er heute, „mich kann nicht mehr viel erschüttern, der Tod vielleicht.“ Heynckes hat vor ein paar Jahren eine schwere Krankheit überlebt. Auch das prägt.

Geschieden sind die Bayern und er seinerzeit dennoch im Guten. Als die Scheidungsmodalitäten in Rottach-Egern, im Hause des damaligen Schatzmeisters Hegerich ausgehandelt waren, packten die Herren des Vorstands, einschließlich des engen Freundes Uli Hoeneß, die Karten auf den Tisch und klopften die Nacht hindurch Schafkopf. Er ging also als Freund.

Und kehrte im fortgeschrittenen Alter zurück als einer, der viel moderner ist, als es all die Klinsmänner mit ihren innovativen Funktionsteams je sein werden. „Wir haben eine neue Spielergeneration“, sagt Heynckes, „die ist professionell, zielorientiert und sehr selbstständig.“ Man müsse sie ernst nehmen, überhaupt müsse man andere Menschen ernst nehmen. Und sie in die Verantwortung nehmen. Am Anfang war er kurz irritiert, als er sah, wie seine verwöhnten Spieler nach dem Training sich ihrer Klamotten und Schuhe entledigten und sie einfach auf dem Boden liegen ließen. Es bedurfte aber nur einer kurzen Ansprache, heute räumen sie auf und nutzen die für Kleidung und Schuhe vorgesehenen Schächte im Kabinentrakt.

„Als Manuel Neuer herkam“, sagt Heynckes über den Torwart, den Star des FC Bayern, der Nationalelf, der Welt, „da ist er erst mal hier durch alle Büros und Räume gelaufen und hat sich bei allen 300 Mitarbeitern per Handschlag vorgestellt.“ Solche Dinge mögen Selbstverständlichkeiten sein, in der Scheinwelt des Profifußballs sind sie es nicht.

Aber es sind die Werte des Jupp Heynckes. „Es macht einfach großen Spaß, mit diesen Spielern zu arbeiten“, sagt Heynckes. Entkrampfen müsse man dieses überdrehte Szenario. Dann stellt sich auch die Gelassenheit ein.

Nur bei einem seiner Zöglinge, Schützlinge, Vertrauten, wie man will, da hat er noch nichts ausrichten können. Breno, der junge Brasilianer, der in Verdacht steht, sein Haus abgefackelt zu haben, ist derzeit ein Fremdkörper in der Harmonie. „Wäre ich früher hier gewesen“, sagt Heynckes, „ich hätte gespürt, dass es ihm nicht gut geht, ich hätte mich gekümmert. Man muss sich kümmern.“ Immerhin, nach dem Spiel gegen die Berliner gratulierte der Trainer allen Beteiligten, den Spielern ohnehin, auch denen auf der Ersatzbank, den Betreuern bis hin zum Zeugwart. Am Ende der Gratulationskette stand Breno, erstmals wieder nach den Tagen in der Untersuchungshaft. Und als der Trainer auch ihm die Hand reichte, da nahm Breno gleich den ganzen Arm, den ganzen Mann und umarmte Jupp Heynckes. Wer Vertrauen sät, erntet wohl auch Vertrauen.

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