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© AFP

FC Bayern: Jürgen Klinsmann fördert den Machtkampf

Jürgen Klinsmann will scharfe Konkurrenz im Team der Bayern – doch er könnte die Kontrolle verlieren.

Nach dem Abpfiff hatte es Martin Demichelis eilig. Er wollte schnell runter vom Platz. Aber Zeit für eine Geste war noch. Sie richtete sich an seinen Mitspieler Lucio und bedeutete diesem, schnell hinterherzukommen, um abseits der Kameralinsen weiter aufeinander einzubrüllen und Beleidigungen auszutauschen. Körperkontakt nicht ausgeschlossen. Dieser Aufforderung kam Lucio unverzüglich nach. Die zwei Fußballprofis des FC Bayern München, praktizierende Christen übrigens, drohten aufeinanderzuprallen wie brünftige Wapiti-Hirsche. Doch dann traten zwei Spielverderber, Kotrainer Martin Vasquez und Bankdrücker José Ernesto Sosa, dazwischen und machten dem Schauspiel ein Ende.

Jürgen Klinsmann verfolgte das Treiben untätig, aber interessiert. Der Bayern-Trainer betreibt zur Zeit eine pädagogische Feldforschung in der testosterongesteuerten Welt des Männerfußballs. Die Forschungsfrage lautet: Wie setzt sich die Hierarchie einer Mannschaft neu zusammen, wenn die alte abgeschafft ist? Das Thema interessiert Klinsmann schon länger. Eine seiner ersten Amtshandlungen als Bundestrainer war es, Oliver Kahn die Kapitänsbinde wegzunehmen und diese an Michael Ballack weiterzureichen. Nun aber ist das Projekt ungleich komplexer. Klinsmann hat es mit einer multinationalen Mannschaft zu tun, die fast das ganze Jahr über Tag für Tag zusammen ist. Das ursprüngliche Alphatier dieser Gemeinschaft war schon weg, als Klinsmann kam: Oliver Kahn. Zunächst strebte Klinsmann eine simple Hierarchiebildung an. Er erklärte Mark van Bommel, den „Aggressivleader“ (Hitzfeld 2007), zum neuen Kapitän einer Mannschaft, die personell fast dieselbe geblieben war. Der aber „spielte ein paar Mal schlecht nach Jürgens Meinung“, so Manager Uli Hoeneß. Nun hat Klinsmann die Strategie geändert: Er greift aktiv ein. Zunächst begann er, den gerade erst inaugurierten Mark van Bommel zu demontieren, indem er ihn auf die Bank setzte und ein gleichberechtigtes „Duell“ zwischen dem Niederländer, 31, und dem bieder spielenden Andreas Ottl, 23, um die Position im defensiven Mittelfeld ausrief. Nun, im Champions-League-Spiel gegen Olympique Lyon, setzte er beide auf die Bank und es kam zu einem neuen Konflikt, dem zwischen Demichelis und Lucio, beide sind Stellvertreter van Bommels.

Klinsmann setzt einen Reizpunkt nach dem anderen - und will so weitermachen

Demichelis, in letzter Zeit Chef der Bayernabwehr, durfte plötzlich nicht mehr Innenverteidiger sein, sondern rückte auf die Sechserposition. Die musste er früher schon bei den Bayern ausfüllen, kann sie aber nicht ausstehen. In der vergangenen Saison provozierte der Argentinier mit seinem Protest bei diesem Thema sogar eine Suspendierung. Lucio dagegen konnte sich plötzlich wieder als Abwehrchef fühlen. Einige Minuten bevor die Partie gegen Lyon 1:1 endete, gerieten Lucio und Demichelis aneinander – und beruhigten sich bis zum Schlusspfiff nicht mehr.

Klinsmann setzt einen Reizpunkt nach dem anderen und lässt keinen Zweifel, dass er so weiter machen will. Die Versetzung von Demichelis sei „eine Variante, die wir weiter verfolgen werden“. Und auch Außenverteidiger Philipp Lahm ist unzufrieden, er hat schon x-mal gesagt, dass er lieber rechts spielen würde. Doch nach dem Verkauf von Marcell Jansen, einem Mann für links, verpflichteten die Bayern Massimo Oddo, einen für rechts. Lahm muss nun erst recht links spielen. Zudem nagt es an ihm, dass er von Klinsmann bei der Besetzung des Mannschaftsrats übergangen wurde. Nach dem Lyon-Spiel betonte er: „Ich würde immer noch gern Kapitän werden.“

Jürgen Klinsmann hat seine Freude am freien Spiel der sozialen Kräfte im Kader: „Die Mannschaft ist dabei, sich zu finden. Das ist ein sehr spannender Prozess, der nur über Leistung funktioniert und den wir begleiten.“ Doch sein Forschungsprojekt birgt ein Risiko: dass ein Machtvakuum entsteht.

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