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Pep Guardiola am vergangenen Mittwoch, beim Spiel gegen den FC Barcelona

© imago

FC Bayern München - FC Barcelona: Pep Guardiola am Rande des Wahnsinns

Heute kann Bayern-Trainer Pep Guardiola als gefeierter Sieger dastehen. Oder als Depp. Die Fallhöhe ist immens - die vergangenen Wochen haben Spuren hinterlassen. Vor allem die eigenen Ansprüche machen dem Spanier zu schaffen.

Neulich ist der FC Bayern München zum 25. Mal deutscher Fußballmeister geworden. Das ist ein schönes Jubiläum und der Klub will sich dafür angemessen feiern lassen. Erst am übernächsten Samstag nach dem letzten Bundesligaspiel im Stadion, tags darauf noch mal auf dem Marienplatz, wo sie den Rathausbalkon immer so schön herrichten und die Spieler in Lederhosen mit Weißbierkrügen posieren. Den inoffiziellen Party-Aufruf hat am Freitag Pep Guardiola vorgetragen, er ging ungefähr so: „Nach dem letzten Spiel gegen Mainz werden wir die Meisterschale bekommen und feiern. Es war eine Supersaison. Eine Supersaison! Ich bin stolz auf meine Mannschaft!" Dazu trank er stilsicher aus einer Flasche Mineralwasser und wippte zustimmend mit dem kahlen Kopf.

Vor ihm, zwischen den vielen Kameras und Mikrofonen, machte sich leise Irritation breit. Supersupersaison? War da nicht gerade ein mittelschweres Erdbeben, ein 0:3 in der Champions League bei Guardiolas alter Liebe in Barcelona? Und hatte der Trainer nicht das Triple in Aussicht gestellt, also neben Meisterschaft auch noch DFB-Pokal und Champions League? Triple – na, auf dieses Stichwort hat Guardiola gerade gewartet. Noch ein Griff zur Wasserflasche: „Wie oft hat Bayern München das Triple gewonnen? Wie oft?“ Kurze Pause, dann antwortet er selbst. „Einmal! Okay?!“, und wahrscheinlich hätte er am liebsten die Flasche ins Auditorium geworfen.

Guardiola-Dämmerung

Am Dienstag erwartet der katalanische Grande den FC Barcelona zum Rückspiel, und im Falle eines neuerlichen Debakels wird er womöglich nicht mit Wasserflaschen werfen, sondern das Handtuch. In der Luft liegt ein Anflug von Guardiola-Dämmerung.

Das Volk murrt über seine Taktik, mäkelt an Auswechslungen herum und fragt sich, ob es wohl am Training liegt, dass so viele Spieler so lange verletzt sind. In aller Öffentlichkeit hat Guardiola einen Machtkampf gegen den langjährigen Mannschaftsarzt geführt. An der Seitenlinie springt er besessener als der besessene Jürgen Klopp herum und brüllt seinen Spielern Kommandos ins Gesicht, die im Lärm des Stadions ohnehin keiner verstehen kann. Was ist los mit diesem Mann, den die Fußball-Welt über Jahre wahlweise als Genie, Guru oder Jahrhunderttrainer verehrt hat? „Bild“, das Zentralorgan des flüchtigen Zeitgeistes, hat schon mal das Fähnchen in den Wind gehängt und ihre Leser gefragt: „Ist Guardiola schon gescheitert? Stimmen Sie ab!“

Es sind seltsame Tage zwischen Hysterie und Schockzustand, in München und überall sonst, wo sie den FC Bayern als notorisch erfolgreichen Botschafter des deutschen Fußballs in der ganzen Welt verehren. Niemand fordert ernsthaft die Demission des erfolgreichsten und begehrtesten Trainers der Welt. Es sind auch weniger die Ansprüche der anderen, die ihm zu schaffen machen. Die härtesten Ansprüche stellt Pep Guardiola an sich selbst. Der Mann sieht sich als internationalen Trainer und misst sich an internationalen Erfolgen. Zweimal hat er mit dem FC Barcelona die Champions League gewonnen, aber mit den Bayern will es einfach nichts werden. Im vergangenen Jahr sind Guardiolas Bayern gegen Real Madrid untergegangen, diesmal spricht alles für ein Scheitern am FC Barcelona. Oder ist da noch etwas möglich? Sind Sie ein Träumer oder ein Realist, Herr Guardiola? „Ich bin realistisch. Weil im Fußball alles passieren kann, müssen wir 90 Minuten spielen.“

Rausch im Rückspiel

Noch einmal 90 Minuten. Am Dienstag ab 20:45 Uhr in München gegen den FC Barcelona. Kann Guardiola das Schicksal noch einmal auf seine Seite zwingen? Vor zweieinhalb Wochen standen die Bayern nach einem 1:3 in Porto schon vor dem K. o. im Viertelfinale. Und schossen sich im Rückspiel in einen Rausch und den Gegner mit 6:1 aus dem Stadion. Guardiola hatte sich damals nicht zu einem bedingungslosen Sturmlauf entschieden, sondern zum bewährten Mittel der Kontrolle, auf dass die Qualität seiner Mannschaft zwangsläufig zum Erfolg führen würde. Reicht das, um drei Tore gegen Barcelona aufzuholen? Ist Geduld der Schlüssel auf dem Weg zu dem kleinen Wunder, das der FC Bayern braucht?

Guardiola kennt die Probleme im Fahrwasser des Erfolges

So ziemlich alles spricht für die kontrollierte Variante, aber Guardiola pflegt das Überraschungsmoment. Am Dienstag steht er wieder vor einer Grundsatzentscheidung, an ihr hängen Triumph und Versagen. Die Fallhöhe ist immens. Am späten Dienstagabend um kurz nach halb elf steht Guardiola im besten Fall als Messias da und im schlechtesten als Depp. Dieses eine Spiel ... Das Faszinierende am Fußball ist, dass keiner weiß, wie es ausgeht. Ein Alleinstellungsmerkmal im Unterhaltungsbetrieb.

In seinen bald zwei bayerischen Jahren hat Guardiola den Klub zweimal mit langweilig-riesigem Vorsprung zur Deutschen Meisterschaft geführt. Das Publikum aber erwartete nicht weniger als die Weltherrschaft von dem Mann, der in seinen vier Jahren beim FC Barcelona 14 Titel gewann. Guardiola sollte das Münchner Spiel auf ein neues Niveau heben und selbstverständlich die Erfolge wiederholen, die ihm sein Vorgänger Jupp Heynckes hinterlassen hatte, dieses vermaledeite Triple von 2013. Doch diese Rechnung, nach der eine gute Mannschaft mit einem noch besseren Trainer zwangsläufig alles gewinnen müsse, was es zu gewinnen gibt – diese Rechnung konnte im konkreten Fall gar nicht aufgehen.

Er muss Neues aufbauen

Guardiola kennt die Probleme im Fahrwasser des Erfolges. In Barcelona hatte er im Sommer 2012 aufgehört, weil er seine Mannschaft am Ende eines Zyklus sah. Falsch verstandene Kontinuität wird schnell zu Stillstand und Stillstand noch schneller zu Rückstand. In München hat die Generation Schweinsteiger-Lahm-Robben-Ribéry ihren Zenit überschritten. Guardiola kann beim FC Bayern nicht ernten, was Heynckes schon abgegrast hat. Er muss etwas Neues aufbauen, und das braucht seine Zeit.

Der deutsche Fußball hat sein Publikum verwöhnt in den vergangenen Jahren. Die Nationalmannschaft ist vor einem Sommer als Weltmeister mit dem WM-Pokal aus Rio heimgekommen, vor einem weiteren Sommer standen Bayern München und Borussia Dortmund im Endspiel um die Champions League, in der die Bayern in den vergangenen sechs Jahren nur einmal das Halbfinale verpasst haben. Und dann auch noch Guardiola. Nach seinem Abschied aus Barcelona hatte er sich ein Jahr lang zu einem Sabbatical nach New York zurückgezogen und war dadurch vom Status eines sehr erfolgreichen Fußballtrainers in den eines Gurus aufgestiegen. Als dieser Mann nun nicht nach England, Italien oder Spanien ging, sondern nach München, war das Publikum gewiss erfreut, hielt das aber auch für eine logische Entscheidung.

Seine Ankunft war ein Medienereignis und wurde live auf mehreren Sendern übertragen, wie so ziemlich alle Pressekonferenzen des Josep Guardiola, den sie alle nur Pep nennen. Die Feuilletons reagierten verzückt auf den eleganten Weltmann und seine Antrittsvorlesung, die er auch noch auf Deutsch vortrug.

Mourinho machte sich lustig

In London machte sich sein Lieblingsfeind José Mourinho über ihn lustig mit der Bemerkung, da sei einer aus dem Urlaub zu einem Verein gewechselt, mit dem auch der Zeugwart als Trainer Meister werden könne. Umso schöner war es für Guardiola, dass er seinen ersten Titel mit dem FC Bayern ausgerechnet gegen Mourinho gewinnen konnte. Es ging dabei im September 2013 um den international nicht allzu renommierten Uefa-Supercup.

In Prag siegten die Bayern im Elfmeterschießen über den FC Chelsea, und der Münchner Franzose Franck Ribéry sprach die schönen Sätze: „Wir sind so glücklich, auch für den Trainer, denn wir wissen, dass es eine große Konkurrenz zwischen ihm und Mourinho gibt. Dieser Sieg war sehr wichtig für ihn, denn wir haben im letzten Jahr alles gewonnen, da ist es nicht einfach für ihn. Aber er ist ein richtig guter Trainer, er ist super für die Mannschaft, wir sind sehr zufrieden mit ihm.“ Guardiola nahm das sichtlich gerührt zur Kenntnis und widmete den Pokal in seiner Dankesrede seinem Vorgänger: „Vielen Dank an Jupp Heynckes für die Möglichkeit, dieses Finale zu spielen. Dieser Titel ist für ihn und für die Fans.“ Eine Momentaufnahme, keine zwanzig Monate alt. Was ist geblieben von diesem Mann, in dessen Charme, Bescheidenheit und Weltläufigkeit sich damals nicht nur die Fußballfans aus München verliebt haben?

Er schimpft über Schiedsrichter, mal umarmt er sie auch

Die vergangenen Wochen haben Spuren hinterlassen. Guardiola wirkt reizbar, er schimpft über Schiedsrichter, mal umarmt er sie auch, was denen sichtlich unangenehm aufstößt. Da war dieses Pokalspiel vor zehn Tagen gegen Dortmund, die Bayern verloren es, weil im Elfmeterschießen gleich zwei Spieler ausrutschten. Als der Dortmunder Sebastian Kehl den Münchnern empfahl, sie sollten doch mal Elfmeter üben, ließ Guardiola sich zu einer Bemerkung über die missratene Bundesligasaison der Borussia hinreißen: „Mein Rat für Sebastian Kehl ist: Wenn du 35 Punkte Rückstand hast, ist es besser zu schweigen.“ Dazu rieb er sich im Streit mit dem langjährigen Mannschaftsarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt auf. Natürlich hat er diesen Machtkampf gewonnen, aber das Publikum registrierte überrascht, dass einer wie Guardiola Machtkämpfe überhaupt nötig hat.

Im gleichen Maße wachsen in der Öffentlichkeit Mut und Bereitschaft, Guardiola dort zu kritisieren, wo ihn noch niemand kritisiert hat. Bei Fragen zu Taktik und Coaching. Am Mittwoch in Barcelona hatte er nach einer missratenen Anfangsphase das Modell der Dreier-Abwehrkette zugunsten einer Viererkette modifiziert, was seine Kritiker als taktische Konfusion geißelten – nicht beachtend, dass Guardiolas taktisches Genie sich gerade darin äußert, innerhalb kürzester Zeit zwischen verschiedenen Spielarten umzuschalten.

Wechsel der Systeme

Guardiola wechselt in jedem Spiel seine Systeme und überfordert damit vor allem die Gegner. Andere monieren, der FC Bayern weise die schlechteste Laufleistung aller Bundesligamannschaften auf, und das müsse wohl an der täglichen Trainingsarbeit liegen. Mit dieser Laufleistung aber dominiert der FC Bayern unter Guardiola die Bundesliga wie die CSU den Freistaat unter Strauß und stand in dieser Saison schon fünf Spieltage vor Saisonschluss als Meister fest. In dieser Saison standen die Münchner schon fünf Spieltage vor Saisonschluss als Meister fest und konnten am Samstag im Schongang 0:1 daheim gegen Augsburg verlieren, ohne dass dies von Belang für das Tabellenbild gewesen wäre.

Ist Guardiola der Druck zu groß geworden? Der Druck, den Nachweis zu erbringen, dass sein Modell universell ist und nicht nur am Standort Barcelona funktioniert? Er schont dabei nicht sich selbst und erst recht nicht seine Spieler. Am Mittwoch hat er den Stürmer Robert Lewandowski aufgestellt, eine Woche, nachdem dieser im Pokalspiel gegen Dortmund Gehirnerschütterung, Oberkiefer- und Nasenbeinbruch davongetragen hatte. „Ich möchte nur, dass meine Spieler möglichst schnell wieder zurückkehren“, hat Guardiola mal gesagt. „Wenn sie acht Wochen verletzt sind, am liebsten schon nach sieben Wochen. Bei vier Wochen Pause vielleicht nach drei. Das ist alles, was ich will.“ Passend dazu kursiert im Internet ein Video, auf dem zu sehen ist, wie Guardiola nach der Auswechslung eines verletzten Spielers auf den alten Mannschaftsarzt zugeht, sich vor ihm aufbaut und hämisch in die Hände klatscht. Die Bilder zeigten einen, der nicht mehr über den Dingen schwebt, sondern mit ganz menschlichen Schwächen geschlagen ist.

Dieser Text erschien auf der Reportageseite im gedruckten Tagesspiegel.

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