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Roger Federer fehlt in Wimbledon noch ein Turniersieg, um mit Rekordhalter Pete Sampras gleichzuziehen.

© dpa

Wimbledon: Federers Aura ist zurück aus dem Pub

Nach allen Abgesängen ist Roger Federer wieder Favorit in Wimbledon. Er scheint bereit, den Rekord von Pete Sampras zu egalisieren und konzentriert sich ganz aufs Wesentliche.

In den Tagen vor Turnierbeginn, da saßen Roger Federer und sein Trainer Paul Annacone oft beisammen in ihrem angemieteten Haus im Londoner Stadtteil Wimbledon Village. Während der Regen draußen prasselte und Federers Zwillingstöchter längst schliefen, besprachen sie sich. Sie redeten über das Training und ihre taktische Marschroute für die kommenden Tage. Federers Gedanken schweiften aber immer wieder zurück. Zu den Erinnerungen an den 2. Juli 2001, die ihm zehn Jahre danach präsenter sind denn je. Federer war erst 19 Jahre alt, und viele hielten ihn für ein großes Talent, doch den letzten Beweis blieb er noch schuldig. Bis zu jenem Achtelfinale, als er Pete Sampras stürzte, den siebenmaligen Wimbledon-Champion.

Damals saß Annacone noch in Sampras’ Box, war jedoch fasziniert von dem jungen Schweizer: „Pete wusste, dass er ein gutes Spiel gemacht hatte, aber gegen einen Großen verloren hatte – nur wussten wir nicht, wie groß er werden würde.“ Federer hatte sich nach dem Sieg über Sampras fast schuldig gefühlt, als er ihn später in der Umkleide kauern saß. „Er hat über eine Stunde lang nichts gesagt“, erinnert sich Federer, „und ich wusste auch nicht, was ich tun oder sagen sollte.“ Er hatte seinerzeit ein Denkmal gestürzt, nun ist Federer selbst 29 Jahre alt und zählt allein mit seinen sechs Wimbledon-Titeln zu den Heroen der Tennishistorie. Und im letzten Jahr, so schien es, war auch er gestürzt worden. Als er damals im Viertelfinale dem Tschechen Tomas Berdych unterlag, und so früh an der Church Road ausschied, wie seit acht Jahren nicht mehr, war das Urteil einhellig: Federers Ära ist vorbei und seine Aura der Unbezwingbarkeit, säße „im Pub und trinkt ein Bier“, so frotzelte die britische Presse.

Für Federer wurde es danach schwerer, den Gegenbeweis anzutreten, hatte er doch bei den Australian Open 2010 den letzten seiner 16 Grand-Slam-Titel gewonnen und danach kein Finale mehr bei einem der vier größten Turniere erreicht. Als Federer im Mai nach Paris reiste, wurde er nicht einmal mehr zum erweiterten Favoritenkreis gezählt. Doch er ärgerte sich nicht darüber, im Gegenteil, Federer genoss es sogar, sich abseits der geballten Aufmerksamkeit durch die Runden zu spielen. Im Halbfinale schien der Schweizer schließlich die Zeit zurückgedreht zu haben, denn er spielte gegen den bis dahin in der Saison noch ungeschlagenen Novak Djokovic furios. Spätestens da mussten seine Kritiker ihr Urteil über Federer als zu vorschnell revidieren. Er selbst hatte nie an sich gezweifelt, spürte ein wenig Genugtuung. „Ich habe das ganze Jahr über auf einem sehr hohen Level gespielt“, betonte er, „und ich hoffe, dass ich das Turnier gewinnen kann.“

Der Rasen hatte sich für ihn immer natürlich angefühlt, aber dass er sich momentan körperlich wohl fühlt, macht den Unterschied aus. Daraus bezieht Federer sein Selbstbewusstsein, sein Vertrauen in sein Spiel. Vor einem Jahr hatten ihn noch Schmerzen im Rücken geplagt. Doch jetzt scheint er bereit, den Rekord von Sampras zu egalisieren und konzentriert sich ganz aufs Wesentliche. Kein weißer Blazer zum Auftritt, keine goldenen Schriftzüge mehr, keine Botschaften auf seinen Schuhen. Federer ist wieder ganz bei sich angekommen. Und auch wenn er nie wieder so dominieren wird, wie einst, ist seine Aura wieder fühlbar. Anders als Sampras damals muss Federer keinen Angriff eines aufstrebenden Neulings fürchten. Für Sampras ist Federer der Favorit: „Roger wird ein großartiges Wimbledon haben.“

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