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Sport: Ferienfußball mit Charakter

Von Stefan Hermanns Seogwipo. Selbst Carsten Jancker hatte am Ende noch sein kleines Erfolgserlebnis.

Von Stefan Hermanns

Seogwipo. Selbst Carsten Jancker hatte am Ende noch sein kleines Erfolgserlebnis. Mit nacktem Oberkörper stand der Stürmer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft vor der Haupttribüne, und über seiner Schulter hing das rot-weiß-gestreifte Trikot seines Münchner Vereinskollegen Roque Santa Cruz. Man muss also gar nicht selbst mitgespielt haben, um am finalen Ritual des Trikottausches teilnehmen zu können. 90 Minuten hatte Carsten Jancker auf der Bank gesessen, zum ersten Mal bei dieser WM hatte er nicht gespielt. Stattdessen hatte Teamchef Rudi Völler erstmals den Leverkusener Oliver Neuville von Beginn an aufgeboten. Es dauerte recht lange, bis sich diese Maßnahme auszahlen sollte. Die 88. Minute lief bereits, als Bernd Schneider an der rechten Seite bis zur Torlinie vordrang, den Ball in den Strafraum spielte, Oliver Neuville am ersten Pfosten zum 1:0 vollendete und der deutschen Nationalmannschaft mit seinem Siegtreffer gegen Paraguay den Einzug ins WM-Viertelfinale bescherte.

Bei ihrer 15. WM-Teilnahme stehen die Deutschen zum 14. Mal in der Runde der letzten acht. Paraguay hingegen scheiterte wie 1998 im Achtelfinale. Auffällig war diesmal das Bestreben der Südamerikaner, sich irgendwie ins Elfmeterschießen zu retten und darin vor allem auf die Qualitäten ihres Torhüters Chilavert zu bauen.

Oliver Kahn, Deutschlands Torhüter und Kapitän, fühlte sich sogar befleißigt, seine Mitspieler kurz vor Schluss noch einmal nach vorne zu treiben: „Die sind kaputt, die sind platt.“ Die Deutschen hatten sich selbst lange Zeit so sehr einlullen lassen, dass sich die deutschen Zuschauer im Stadion schon Sorge um ihre Landsleute machten, die beim Frühstücksfernsehen vermutlich gleich wieder von der Müdigkeit übermannt wurden. „In der ersten Halbzeit haben wir zu wenig Fußball gespielt“, sagte Jens Jeremies. Falsch: „Im Prinzip haben wir gar keinen Fußball gespielt“, monierte Teamchef Rudi Völler. Folgerichtig beschloss die Mannschaft in der Pause: „Jetzt spielen wir mal Fußball“, berichtete Kahn. „Wir haben versucht, die Paraguayer durch schnelle Kombinationen in Verlegenheit zu bringen“, sagte Völler.

Das gelang bedingt. Vielleicht lag es an der Atmosphäre im Stadion. Die Spieler müssen sich vorgekommen sein, als spielten sie während der Saisonvorbereitung in einem Nordseebad gegen eine einheimische Bezirksauswahl. Da passte es auch, dass die Zuschauer zeitweise keine der beiden Mannschaften anfeuerten, sondern „Seogwipo“ riefen. „Das war wie ein Freundschaftsspiel“, sagte Jeremies. Die Ränge waren halb leer, und vor dem Stadion wurden Eintrittskarten für die Hälfte des regulären Preises verkauft. Kahn hatte nicht das Gefühl, „das ist ein WM-Achtelfinale“. Glücklicherweise haben die Spieler ihren Irrtum noch rechtzeitig bemerkt.

Zur leichten Verbesserung trug auch bei, dass Völler wieder einmal zu einer Änderung seiner taktischen Grundformation gezwungen war. Im Spiel gegen Kamerun hatte er in der Abwehr von der Dreier- auf die Viererkette umgestellt, gegen Paraguay war es genau umgekehrt. Nach der Auswechslung von Marko Rehmer übernahm Sebastian Kehl die Position des Abwehrchefs. Gemeinsam mit Christoph Metzelder und Thomas Linke bildete der Dortmunder die vermutlich unerfahrenste Verteidigung, die je für Deutschland ein WM-Spiel bestritten hatte. Später musste Metzelder (9 Länderspiele) mit einer Sprunggelenks-Verletzung vom Platz; für ihn kam Frank Baumann (11).

Die Umstellung auf die Dreierkette „hat gezeigt, dass wir flexibel sind“, sagte Jeremies. Für Oliver Kahn ist das System davon abhängig, „gegen wen man spielt, aber entscheidend ist die Mentalität der Spieler, der Charakter“. Cesare Maldini, Paraguays italienischer Trainer, jedenfalls hatte „das typisch deutsche Spiel“ erlebt. Bei Weltmeisterschaften hat Deutschland im Achtelfinale selten gut gespielt – aber meistens gewonnen.

Neben Schneider und Baumann fing sich Michael Ballack unnötigerweise eine Gelbe Karte ein. In der Schlussminute kreuzte er den Weg Roberto Acunas, der sich im Fallen mit einem Ellenbogenhieb revanchierte und für seine Tätlichkeit des Feldes verwiesen wurde.

„Entscheidend sind die Spiele, bei denen man nicht so gut drauf ist“, sagte Metzelder später. „Wenn man nach einer Viertelstunde 3:0 führt, läuft es bei jeder Mannschaft.“ Wie gut es bei den Deutschen läuft, ist auch nach dem Einzug ins Viertelfinale nur schwer zu sagen. Allzu schlecht wohl nicht. „Jetzt ist vieles möglich“, sagte Kapitän Kahn, „wir können bis ins Finale durchlaufen. Warum nicht?“ Diese Frage wird sich langsam auch der Rest der Welt wieder stellen.

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