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Sport: Fester Stamm

Bundestrainer Jürgen Klinsmann vertraut seit Beginn der Weltmeisterschaft fast unverändert derselben Elf

Berlin - Jürgen Klinsmann war wahllos, aber intuitiv traf er die richtige Wahl. Nach dem 1:0 seiner Mannschaft gegen Schweden nahm er den nächstbesten Spieler an seiner Seite in den Jubelgriff. Es war Marcell Jansen. Nach dem 2:0 erwischte es wieder den Richtigen, diesmal stand zufälligerweise David Odonkor neben dem ekstatischen Bundestrainer. Beide, Jansen und Odonkor, könnten im Moment ja ein bisschen Klage führen gegen die mangelnde Zuneigung, die ihnen Klinsmann zuteil werden lässt. Jansen hat noch nicht eine Minute bei der Weltmeisterschaft gespielt, Odonkor gerade 29. Die Aussicht, dass sich an ihrem Status noch etwas Grundlegendes ändert, ist nicht besonders groß.

In der Regel ist eine Weltmeisterschaft nichts anderes als die permanente Suche nach der richtigen Mannschaft. Klinsmann hat diese Suche längst erfolgreich abgeschlossen. Bei den Deutschen gibt es eine personelle Kontinuität, die schon jetzt außergewöhnlich ist. Seit dem Eröffnungsspiel hat der Bundestrainer eine feste Stammformation, die sich nicht nur auf die ersten elf Spieler beschränkt, sondern sogar bis zur Nummer 13 reicht. Tim Borowski ist so etwas wie die erste Einwechseloption, Oliver Neuville die zweite. An der Anfangself hat Klinsmann in vier Spielen insgesamt nur zwei Änderungen vorgenommen: Gegen Costa Rica spielte Borowski anstelle des verletzten Michael Ballack, gegen Ekuador Robert Huth für den leicht angeschlagenen Christoph Metzelder.

Selbst im abschließenden Gruppenspiel, als die Deutschen bereits für das Achtelfinale qualifiziert waren, verzichtete Klinsmann auf ausgedehnte Experimente. Sein Wagemut beschränkte sich darauf, eine Viertelstunde vor Schluss Gerald Asamoah einzuwechseln, der bis dahin noch nicht zum Einsatz gekommen war. Zufall ist das nicht. Klinsmann spricht gerne vom Rhythmus, den die Mannschaft und einzelne Spieler brauchten; deshalb ändert er nur ungern etwas.

Bei früheren Turnieren hat der Prozess der Teamfindung viel länger gedauert. 1990, als Deutschland zum bisher letzten Mal Weltmeister wurde, hat die Mannschaft im Laufe des Turniers kein einziges Mal in der Besetzung gespielt, die das Endspiel gegen Argentinien gewann. Und bei den beiden anderen Titelgewinnen, 1954 und 1974, hat die Mannschaft aus dem Finale erst im vorletzten Spiel des Turniers erstmals auf dem Feld gestanden. Vor vier Jahren war die personelle Fluktuation besonders groß. Teamchef Rudi Völler variierte sogar in seinem Spielsystem, wechselte in der Abwehr zwischen Dreier- und Viererkette. Am Ende des Turniers waren nur zwei Feldspieler ohne Einsatz geblieben, Lars Ricken und der verletzte Jörg Böhme.

Aus dem aktuellen Kader warten noch vier Feldspieler auf ihr WM-Debüt: Marcell Jansen, Jens Nowotny, Thomas Hitzlsperger und Mike Hanke. Allzu groß sind ihre Chancen nicht. Auch Sebastian Kehl, Gerald Asamoah und Robert Huth dürfen bei normalem Turnierverlauf allenfalls auf Gnadeneinsätze hoffen. „Es ist sicherlich schwer, hoch motiviert zu sein, wenn man nicht spielt“, sagt Klinsmann. „Aber wir geben uns sehr viel Mühe, damit die Jungs dran bleiben.“

Angesichts der Struktur des Kaders sind große Scherereien nicht zu erwarten. Jansen ist mit 20 Jahren noch so jung, dass er in seiner Karriere noch an einigen WM-Turnieren teilnehmen kann; für Hitzlsperger kam selbst die Nominierung so überraschend, dass alles Weitere für ihn wie eine Zugabe wirkt. „Ich bin lieber bei einer Mannschaft, die Weltmeister wird, als in einer Mannschaft, die früh ausscheidet“, sagt er. Auch Jens Nowotny muss nach seinen Verletzungen schon die Teilnahme an der Weltmeisterschaft als großen persönlichen Triumph verstehen. „Als ich vor vier Monaten davon gesprochen habe, wurde ich als Geistesgestörter abgestempelt“, sagt er. „Ich bin der Letzte, der jetzt Fallen legt. Das wäre ja, übertrieben gesagt, Landesverrat.“

Bisher haben alle Ersatzspieler die eigene Befindlichkeit dem Erfolg des Ganzen untergeordnet, selbst Oliver Kahn, für den das Dasein als Reservist die größte Zumutung darstellt. „Mittlerweile komme ich mit der Situation klar“, hat er nach dem Sieg gegen Schweden gesagt. „Ich sorge dafür, dass die Stimmung positiv bleibt.“ Vor vier Jahren hat er das auch schon gemacht. Damals noch, indem er einige unhaltbare Bälle gehalten hat.

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