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Sport: Feuchte Blicke auf die "Sterne des Südens"

MÜNCHEN .Der große Vorhang wollte nicht fallen.

MÜNCHEN .Der große Vorhang wollte nicht fallen.Auch nachdem die "Sterne des Südens" schon längst in den Katakomben des Olympiastadions verschwunden waren, jubelte ihnen ihr Publikum noch immer nach.Das Klatschen hatte fünf Minuten vor dem Schlußpfiff begonnen, es hatte sich zur standing ovation gesteigert, als die "Barcelona"-Hymne von Montserrat Caballé und Fredy Mercury eingesetzt und die Ehrenrunde von Matthäus und Co.überlagert hatte.Leute, die alles gespeichert haben, was jemals ablief unter diesem Zeltdach, mußten ihre Erinnerungen fast 27 Jahre zurückdrehen, ehe ihnen ein solcher Applaus einfiel.Der Goldene Sonntag der Spiele von 1972, als sich die Sportwelt über diese heiteren Deutschen und deren Olympiasieger Kannenberg (50 km Gehen), Wolfermann (Speer), Falck (800 Meter) gefreut hatte.

Bayern-Manager Uli Hoeneß hat seinen Platz am Rande der Ersatzbank lange nicht verlassen.War einfach stehengeblieben, genoß jeden Augenblick.Er saugte die Bilder ein von den Fahnen und Schals, wie es überall rot-weiß waberte.Immer wieder drehte er den Kopf den lautesten Geräuschen nach; dort, wo gerade die Spieler-Karawane lief.Dabei schaute Hoeneß, der vermeintlich härteste Moneymaker der Branche, durch einen feuchten Schleier.ManU? "For me is scheißegal", hat Hoeneß zu den britischen Reportern gesagt, "von mir aus könnten wir in Barcelona auch gegen Vorwärts Konstantinopel spielen." Hoeneß feierte Bayern-Geburtstag, "wir sind zurück an Europas Spitze, darauf bin ich megastolz".

Es ist in dieser Nacht viel hochgekocht aus einer glorreichen Epoche in den siebziger Jahren, in der sowohl die Münchner Arena als auch die Mannschaft des FC Bayern etwas Extravagantes dargestellt haben in der Sportwelt.Allerdings hat sich keiner der alten Heroen soweit verstiegen und den Erben nun gleich drei Europapokale hintereinander prophezeit.Wie nüchtern und berechnend die Entscheidungsträger beim Rekordmeister heute denken, haben sie ausgerechnet an Mario Basler demonstriert.Dessen Treffer hatte in der 35.Minute den Weg ins Estadio Nou Camp freigemacht.

Nun hat keiner von den vier Bayern-Machern, ob die nun Beckenbauer, Rummenigge, Hoeneß oder Hitzfeld heißen, vergessen, den Star des Abends und auch dessen geniale Fähigkeiten herauszustellen.Aber daß nun Basler, wie er das wohl erwartet hat, als Gratifikation für das 1:0 gegen Dynamo Kiew seinen Vertrag vorzeitig verlängert bekommt bis 2003 oder 2004 - davon wollen sie beim FC Bayern gar nichts wissen."Mit seiner Leistung war ich zufrieden." Am Ende klang die Beurteilung des Trainers verdammt nüchtern.Und Hoeneß schloß die Basler-Akte mit der Bemerkung: "Puuh.Müssen wir in einem solchen Moment über dieses Thema reden?"

Nein.Nicht, wenn die Gefühle mit Uli Hoeneß durchgehen und Ottmar Hitzfeld von einem seiner schönsten Tage beim FC Bayern spricht, wo man gepflegt noch ein Bier trinkt und "vielleicht sogar noch eine Zigarre raucht".Aber das wäre dann doch wieder zuviel Angabe und Hochmut gewesen.Jeder kennt schließlich das Bild von Trainer Hitzfeld mit dem dicken Stumpen und der Pickelhaube auf dem Kopf - das war nach dem ersten deutschen Champions-Dinner mit Borussia Dortmund.Bloß nicht zu früh feiern.Daß die Bayern jetzt wieder zurück sind im Konzert der ganz Großen, verdanken sie schließlich nicht ihrer Inspiration, sondern Tugenden wie Fleiß, Ordnung, Disziplin und Vorsicht.

Diesen Stil mag man nicht überall in der Fußball-Welt gleich hoch einschätzen.Und auch nicht alle Beobachter der Münchner Vorstellung haben so laut gejubelt.Doch im Gegensatz zum Vorspiel, in dem die Deutschen beim 3:3 äußerst schmeichelhaft weggekommen sind, war der Erfolg diesmal hochverdient.Nur in den ersten fünfzehn Minuten dominierte die Spielkunst der Ukrainer - da allerdings geradezu verblüffend.Und erst im Abspann des Spielfilms ist Schewtschenko ein paarmal aufgetaucht.Doch Oliver Kahn gewann viermal das Duell, als ein Ukrainer allein mit dem Ball auf ihn zusteuerte.Und so muß Trainer Waleri Lobanowski wieder einmal erkennen, daß es immer noch Lebewesen gibt, die dem Hightech, Rasenschach und Computer-Fußball Dynamos trotzen können.

MARTIN HÄGELE

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