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Monika Staab, 53, arbeitet seit 2007 für die Fifa als Entwicklungshelferin und Botschafterin des Frauenfußballs.

© p-a/dpa

Fifa-Entwicklungshelferin: "Ich frage immer wieder: Wo sind die Mädchen?"

Fifa-Entwicklungshelferin Monika Staab spricht im Interview über Frauenfußball zwischen Irak und Eritrea – und das Frauenbild von Joseph Blatter.

Frau Staab, aus Ihrer Perspektive als Frauenfußball-Entwicklungshelferin: Gibt es eine Mannschaft, auf die Sie sich bei dieser WM besonders freuen?

Bei der U-20-WM haben wir schon gesehen, dass Kolumbien einen Riesensprung gemacht hat. Das hat mich sehr überrascht. Es gibt aber viele Länder, die den Anschluss an die Elitemannschaften wie die USA, Deutschland oder die Skandinavier gefunden haben.

Haben Sie alle WM-Teilnehmer im Rahmen ihrer Arbeit besucht? Oder sind diese Länder für Ihren Job nicht exotisch genug?

Ich bin eher in Staaten wie Pakistan unterwegs, nach Afghanistan komme ich im Moment nicht rein, wir haben aber viel im Nordirak gemacht. Oder in Bangladesch. Die Länder, die ich bereise, brauchen noch eine ganze Weile, bis sie an einer Weltmeisterschaft teilnehmen. Ich bin eben für die Entwicklungsländer des Frauenfußballs zuständig. Ich habe vor viereinhalb bei der Fifa angefangen, damals hatten wir 100 Nationen in der Weltrangliste, jetzt sind es 175. Inzwischen haben auch Amerikanisch-Samoa, die Cook-Inseln oder Katar ihre ersten Länderspiele bestritten.

Der Deutsche Fußball-Bund verspricht sich viel von dieser WM. Kann das Turnier auch in anderen Ländern für den Frauenfußball etwas bewirken?

Auf jeden Fall. Die Fifa wusste schon sehr genau, warum sie die WM nach Deutschland vergeben hat. Ein perfekt organisiertes Turnier gibt immer noch mal einen Riesenschub. Die Spiele werden in vielen Ländern übertragen, es wird neue Idole geben, denen die Mädchen nacheifern können.

Vorbilder allein reichen vielerorts aber wohl nicht aus.

Es gibt sehr viele Barrieren. Ich war insgesamt in 58 Ländern, fast überall gibt es politische Hürden, es geht immer um die Rechte der Frau. Oft auch um Barrieren der Religion, gerade in muslimischen Ländern. Es wird gesagt, Frauen könnten nicht heiraten oder keine Babys bekommen, wenn sie Fußball spielen. Das ist natürlich absurd, aber diese Vorurteile gibt es nun mal. Auch bei uns in Deutschland hat sich der Frauenfußball erst durch die beiden WM-Siege etabliert.

Wann werden wir die erste Nationalmannschaft aus einem muslimischen Land bei einer Frauen-WM sehen?

In diesen Gesellschaften wird oft gesagt: „Eine Frau ist ein Kristall, der beim Fußball kaputt geht.“ Ich kenne Spielerinnen in Pakistan, die heimlich zum Training gehen müssen, ihre Eltern dürfen das nicht mitbekommen. Ich habe mit vier Jahren auf der Straße gekickt, in vielen Ländern fangen die Mädchen erst mit 13 oder 14 mit dem Fußball an. Und mit 17 müssen sie schon wieder aufhören, weil sie dann heiraten müssen. Das muss sich noch ändern – es wird aber Zeit brauchen. Wir haben uns auch erst in den letzten 30 Jahren emanzipiert.

Bei allen scheint die Emanzipation noch nicht angekommen zu sein: Kurz vor der WM hat Ihr Chef, Fifa-Präsident Joseph Blatter, gesagt, ihm gefalle vor allen Dingen „das Tänzerische“ am Frauenfußball.

Da sind wir wieder bei der Frage: Wie soll eine Frau aussehen? Wie soll sie sich darstellen? Manche sagen jetzt, Fatmire Bajramaj sei das Ideal: Sie sieht gut aus, sie kann Fußball spielen und man kann sie vermarkten. Und darum geht es in unserer Gesellschaft. Ballack oder Cristiano Ronaldo haben von ihrem Äußeren her auch bessere Karten als Lionel Messi, Stars großer Werbekampagnen zu sein. Auch Birgit Prinz ist nicht der Typ, der sich so vermarkten lässt. Herr Blatter hatte auch schon die Idee, die Frauen sollten in einem Röckchen Fußball spielen. Das ist unrealistisch. Wir können nicht anfangen, Sportlerinnen als Modepüppchen auszustellen. Wir müssen von diesem Klischee wegkommen, die Leistungen sollen zählen.

Finden Sie es frustrierend, wenn Sie um die ganze Welt reisen, um Frauenfußball voranzubringen – und dann kommt so ein Zitat von Ihrem obersten Dienstherren und zieht Ihnen den Boden unter den Füßen weg?

Ja, na klar. Auch Rudi Völler hat neulich nach einem Spiel gesagt: „Der Schiedsrichter soll besser Frauenfußball pfeifen.“ Herr Assauer sagt heute noch, dass Frauen nicht Fußball spielen sollten. Aber wir haben Beckenbauer davon überzeugt, wir haben Matthäus davon überzeugt, Berti Vogts fördert in Aserbaidschan den Frauenfußball. Das waren alles keine Freunde des Frauenfußballs – aber wir haben sie überzeugt. Diese Sprüche werden wir aber nicht wegbeamen können.

In Entwicklungsländern müssen Sie sich wohl noch Schlimmeres anhören.

Das wird da meist nicht so in der Öffentlichkeit ausgetragen. Ich weiß aber natürlich, dass diese Ansichten existieren. Ich muss dann Überzeugungsarbeit leisten: Den großen Kampf, den ich vor 40 Jahren in Deutschland hatte, den kämpfe ich jetzt in diesen Ländern weiter. Man muss die Männer und diese Eltern immer wieder überzeugen, dass es keine Gründe gibt, die Mädchen nicht Fußball spielen zu lassen. Im Gegenteil: Mädchen entwickeln dadurch ein besseres Selbstwertgefühl – und werden vielleicht sogar in der Schule besser.

War das bei Ihnen auch der Fall?

Ich hatte auch ein paar Probleme in der Schule, habe durch den Fußball aber die Motivation bekommen, mich in der Schule mehr anzustrengen.

Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus? Haben Sie einen Mitarbeiterstab oder sind Sie Einzelkämpferin?

Ich werde ja auch Missionarin oder Mutter Teresa des Frauenfußballs genannt. Nein – meine richtige Bezeichnung ist „Beauftragte im Frauenfußball bei der Fifa“. Die nationalen Fußballverbände müssen meine Arbeit bei der Zentrale in Zürich anfordern. Ich mache dann erstmal eine Bestandsaufnahme: Gibt es im Verband einen Frauenausschuss? Gibt es eine Nationalmannschaft? Dann helfe ich, all das aufzubauen. Und gebe Empfehlungen ab, wie man es weiterentwickeln kann. Ich bin bei der Fifa die einzige Mitarbeiterin, die diesen Job full-time macht.

Welche Motivation haben Länder überhaupt, den Frauenfußball zu fördern?

Jeder Mitgliedsverband bekommt eine finanzielle Unterstützung von der Fifa, das sind 250 000 Dollar im Jahr. 15 Prozent davon müssen dem Frauenfußball zukommen, also 37 500 Dollar.

Damit kommt man wohl nicht weit.

Wenn man einmal in Afrika von A nach B reist, geht das schon für Flugkosten drauf. Ich versuche aber mit vielen Projekten und Verbündeten zu erreichen, dass dieses Geld wirklich den Frauen zugute kommt.

Mit Ihrem Anliegen rennen Sie wahrscheinlich nur selten offene Türen ein. Haben Sie ein Patentrezept, um Verbandsfunktionäre vom Frauenfußball zu überzeugen?

Jedes Land ist anders. Afrika ist nicht gleich Afrika, Asien ist nicht gleich Asien. Ruanda ist ganz anders als Tansania oder Uganda – und das sind Nachbarländer! In Vanuatu gibt es eine Brücke, die Frauen bis vor kurzen nicht benutzen durften, weil sie sich sonst über die unter ihnen gehenden Männer erheben würden. In Eritrea hingegen haben die Frauen ganz offen mit den Männern diskutiert – weil sie zusammen im Krieg an der Front waren. Ich muss also erst einmal die Kultur und die Geschichte eines Landes kennenlernen, um mein Anliegen durchzusetzen. Und dann muss ich ausloten, wie ich an mein Ziel komme ist.

Und dann bricht alles wieder zusammen, sobald Sie weg sind?

Ich kann den Schalthebel nicht nach links oder rechts legen. Ich versuche aber, vor Ort alles in Bewegung zu setzen, was machbar ist. Ich sage zu meinen Gesprächspartnern immer: Die Funken kann ich versprühen, das Feuer müssen sie aber selbst entfachen. Und ich kann immer nur wieder dieselben Fragen stellen: Wo sind die Mädchen? Warum dürfen sie nicht spielen? Warum haben sie keine Plätze? Warum haben sie keine Bälle? Warum haben sie keinen guten Trainer? Es ist wirklich eine Missionarsarbeit.

Das Gespräch führte Lars Spannagel.

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