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FILES - A picture taken on May 29, 2015 shows FIFA President Sepp Blatter (L) listening to UEFA President Michel Platini during the 65th FIFA Congress in Zurich. Embattled FIFA chief Joseph Blatter is suspected of "disloyal payment" to UEFA head Michel Platini, who had hoped to succeed him, the office of Switzerland's attorney general said on September 25, 2015. AFP PHOTO / FABRICE COFFRINI

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Update

Nach den Fifa-Sperren für 90 Tage: Wie geht es weiter mit Sepp Blatter und Michel Platini?

Sind Sepp Blatter und Michel Platini nun am Ende? Kommt der suspendierte Fifa-Chef zurück? Wer wird Nachfolger? Warum wehrt sich Michel Platini? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Joseph Blatter ließ es sich nicht nehmen, am Donnerstag pünktlich um sieben Uhr in seinem Büro der Fifa-Zentrale in Zürich zu erscheinen. Der 79-Jährige wusste, es könnte das letzte Mal gewesen sein. Denn am Mittag verkündete die Ethikkommission des Fußballweltverbandes ihre Entscheidung, den eigenen Präsidenten für 90 Tage zu suspendieren. Die Sperre könnte um 45 Tage verlängert werden.

Es ist das erste Mal nach 17 Jahren einer Regentschaft voller Skandale, dass Blatter tatsächlich eine Strafe erhält, wenn auch nur eine vorläufige. Und das aus dem eigenen Haus, von den Moralwächtern, die er einst selbst als Feigenblatt eingesetzt hatte. Nun traf es ihn selbst, seine Karriere könnte endgültig zu Ende sein. Es ist ein Erdrutsch im Weltfußball, zumal auch seine Nachfolgekandidaten Michel Platini und Chung Mong-Joon gesperrt wurden.

Aufgegeben haben Blatter und Platini jedoch noch nicht. Nachdem der Berater des Fifa-Chefs, Klaus J. Stöhlker, zunächst erklärt hatte, ein Einspruch mache „keinen Sinn“, teilte Blatters Anwalt Richard Cullen in der Nacht zu Freitag mit, ein Einspruch gegen das Urteil sei am Donnerstag eingereicht worden. Auch Platini hatte Berufung angekündigt.

Was bedeuten die Sperren für den Fußball-Weltverband? Hier klären wir die wichtigsten Fragen.

Was darf Blatter jetzt noch, was darf er nicht mehr?

Blatter darf wie Platini für 90 Tage keine „fußballbezogenen Aktivitäten“ ausüben, heißt es im Urteilsspruch. Der Fifa-Chef muss also sein Büro räumen und darf kein Stadion mehr in offizieller Funktion betreten. „Er dürfte wohl nicht einmal eine Eckfahne auf einem Amateurplatz aufstellen“, sagt ein Insider. Der Weltverband hat Blatter infolge des Urteils für 90 Tage freigestellt, er dürfe „nicht mehr als Fifa-Repräsentant auftreten und handeln, weder gegenüber den Medien noch Interessensgruppen“.

Auf Blatters offiziellem Twitter-Acount wurde bereits am Abend der Zusatz „Fifa-Präsident“ gelöscht. Der Weltverband scheint damit nach 17 Jahren Alleinherrschaft Blatters auf einmal kopflos. „Was heute passiert ist, ist der absolute Super-GAU, dass wir an der wichtigsten Stelle des Weltfußballs nun eine Führungslosigkeit haben“, sagte Wolfgang Niersbach, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). „Da ist der absolute Tiefpunkt gekommen. Die Zukunft kann nur gestaltet werden ohne Sepp Blatter.“ Er forderte dessen sofortigen Rücktritt.

Was wird Blatter von der Ethikkommission vorgeworfen?

Die rechtsprechende Kammer wird geleitet von Hans-Joachim Eckert. Als Strafrichter am Landgericht München galt der 67-Jährige als Experte für Wirtschaftskriminalität, aber in seiner Fifa-Rolle nannte ihn die „Süddeutsche Zeitung“ einmal den „größten Blatter-Versteher auf dem Planeten“. Nun bewiesen Eckert und seine Kammerkollegen das Gegenteil, indem sie offenbar das geforderte Strafmaß der ermittelnden Untersuchungskammer übernommen haben. Genaue Angaben dürfen die Fifa-Richter und -Ermittler jedoch nur zu endgültigen Urteilen liefern.

Gegen Blatter schwebten jedoch zuletzt zwei Vorwürfe im Raum. Vor zwei Wochen haben die Schweizer Bundesanwälte ein Strafverfahren gegen den Fifa-Präsidenten eröffnet, ihn als Beschuldigten befragt und seinBüro durchsucht. „Ungetreue Geschäftsbesorgung“ lautet der Vorwurf, die Schweizer Bezeichnung für Veruntreuung. Blatter soll 2005 Fernsehrechte für zwei WM-Turniere zum Freundschaftspreis von 600000 US-Dollar an den Karibik-Verband verkauft haben. Sein damaliger Kumpan und Stimmenbeschaffer Jack Warner verdiente angeblich 15 bis 20 Millionen Dollar mit dem Weiterverkauf. Blatter hat den Deal mit seiner Einzelunterschrift abgesegnet. Ein Verkauf zu nur fünf Prozent des Marktwertes zum eigenen Vorteil hätte die Organisation Fifa geschädigt.

Ein zweiter Vorwurf lautet, dass Blatter zwei Millionen Franken an Michel Platini zahlte. Angeblich ein Fifa-Gehalt für Beraterdienste, teilte Platini als Auskunftsperson den Behörden mit, doch die lagen weit zurück, zwischen 1998 und 2002. Es schien jedoch unglaubwürdig, dass der spätere Chef des europäischen Verbandes Uefa so lange auf sein Gehalt wartete. Stattdessen könnte es Schmiergeld gewesen sein. Denn Platini warb kurz nach der Zahlung im Februar 2011 für Blatters Wiederwahl im Juni 2011.

Ist das Blatters Ende?

FILES - A picture taken on May 29, 2015 shows FIFA President Sepp Blatter (L) listening to UEFA President Michel Platini during the 65th FIFA Congress in Zurich. Embattled FIFA chief Joseph Blatter is suspected of "disloyal payment" to UEFA head Michel Platini, who had hoped to succeed him, the office of Switzerland's attorney general said on September 25, 2015. AFP PHOTO / FABRICE COFFRINI
FILES - A picture taken on May 29, 2015 shows FIFA President Sepp Blatter (L) listening to UEFA President Michel Platini during the 65th FIFA Congress in Zurich. Embattled FIFA chief Joseph Blatter is suspected of "disloyal payment" to UEFA head Michel Platini, who had hoped to succeed him, the office of Switzerland's attorney general said on September 25, 2015. AFP PHOTO / FABRICE COFFRINI

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„Das bedeutet drei Monate schöne Ferien für Herrn Blatter“, sagte Klaus J. Stöhlker, der persönliche Berater des Fifa-Chefs, dem Tagesspiegel in einer ersten Reaktion. „Er hat sich Ferien verdient.“ Blatters Heimatkanton Wallis sei im Herbst besonders schön. Offenbar sieht sich Blatter aber noch lange nicht am Ende. Womöglich empfindet er das Urteil nur als Streifschuss und glaubt, das letzte Wort behalte er.

Am Donnerstag teilten Blatters Anwälte mit, der Schweizer sei „enttäuscht“ über die Sperre und sehe einen Verfahrensfehler, weil er nicht angehört worden sei. Laut Ethikcode musste Blatter gar nicht persönlich geladen werden, aber könnte es im Nachhinein, um sich zu verteidigen. Einspruch gegen die Sperre werde Blatter aber laut seinem Berater nicht einlegen. „Er wurde jetzt, fußballerisch gesagt, an die Seitenlinie gestellt, und er wird in 90 Tagen wieder da sein“, sagte Stöhlker. Denn Blatter müsse schließlich den großen Wahlkongress der Fifa vorbereiten.

In der Nacht zu Freitag wurde dann die Kehrtwende bekannt. Da sprach nicht Blatters Berater, sondern sein Anwalt Richard Cullen. Und der ließ nun wissen, dass Blatter schon am Donnerstag Einspruch gegen das Urteil der Ethikkommission eingelegt habe. Darüber müsse nun die Berufungskommission unter dem Vorsitzenden Larry Mussenden von den Bermudas befinden. Blatter hatte die Fifa-Zentrale auf dem Zürichberg am Abend verlassen.

Kommt Blatter noch einmal kurz zurück?

Die Ethikkommission könnte die Suspendierung noch einmal um 45 Tage verlängern, unter besonderen Umständen sogar noch weiter, falls Blatter in Haft säße. Und sie kann ein Strafverfahren für eine lebenslange Sperre Blatters eröffnen. Aber 135 Tage Suspendierung würden reichen, damit Blatter gar nicht mehr ins Amt zurückkehrt. Denn zum Wahlkongress am 26. Februar wollte sich der 79-Jährige zurückziehen. Nachdem Blatter im vergangenen Mai in seine sechste Amtszeit gewählt worden war, kündigte er nur vier Tage später an, sich als Fifa-Chef zurückzuziehen. Der Druck war nach Verhaftungen vieler Fifa-Funktionäre zu groß geworden.

Doch wollte der Schweizer den Zeitpunkt seines Abschiedes selbst bestimmen und die Fifa in seinem Sinne ordnen, oder wie er sagen würde, reformieren. Der späte Wahltermin im Februar kommenden Jahres schien ihm ausreichende Zeit zu geben. Dass Blatter jetzt nicht mehr als Fifa-Präsident agieren darf, heißt jedoch nicht, dass seine Macht gebrochen wäre. Nach 40 Jahren im Weltverband geben ihm sein Netzwerk und sein Herrschaftswissen über viele Vorgänge und Personen immer noch großen Einfluss, auch ohne Amt.

Wer wird Blatters Nachfolger?

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Den Stauten gemäß übernimmt Vizepräsident Issa Hayatou Blatters Amt. „Ich werde nur auf Interimsbasis zur Verfügung stehen“, betonte der Kameruner am Donnerstag in einem Fifa-Statement. Hayatou galt als Blatters Stimmenbeschaffer in Afrika und sah sich selbst immer wieder Korruptionsvorwürfen ausgesetzt. Das Internationale Olympische Komitee (IOC)erteilte ihm dafür bereits einen Verweis. Der 69-Jährige leidet nach Tagesspiegel-Informationen an einem schweren Nierenleiden, in die Schweiz reist er nur mit einem Gerät zur Blutwäsche und großer Entourage, die Tour dauert drei Tage. Allein schon deshalb wird er bei der Präsidentenwahl im Februar „kein Kandidat für diese Position sein“, wie er betont.

Kann der suspendierte Platini antreten?

Eigentlich galt Michel Platini als Favorit, Blatter beim Wahlkongress zu beerben. Der Uefa-Chef hatte noch am Donnerstagmorgen Dokumente für seine Kandidatur eingereicht. Dann kam das Urteil, dass auch er für 90 Tage suspendiert ist. Am Abend teilte die Uefa mit, dass Platini ihr Verbandschef bleibe, weil er Einspruch gegen die Sperre einlege. Ob er weiter als Fifa-Boss kandidiert, war zunächst unklar. Platinis Bewerbung müsse zumindest neu bewertet werden, sagte sein bisheriger Unterstützer, DFB-Chef Niersbach, vor allem müsse der Franzose selbst „entscheiden, ob er mit der Belastung die Kandidatur aufrechterhalten kann“.

Wer kommt noch infrage?

Mit Chung Mong-Joon erwischt es einen weiteren Kandidaten auf den Fifa-Thron noch härter: Der Südkoreaner wurde für sechs Jahre gesperrt. Der 64-Jährige soll gleich gegen vier Artikel des Fifa-Ethikcodes verstoßen haben. Der Spross der Huyndai-Dynastie hat angeblich versucht, Stimmen für eine WM-Bewerbung Südkoreas zu kaufen. Chung will Einspruch einlegen und nannte die Ethikkomission „einen Auftragskiller Blatters“, da sie den Fifa-Chef nur 90 Tage sperrte.

Damit bleibt Prinz Ali bin al-Hussein als einziger verbleibende Kandidat. Der jordanische Königssohn war Blatter bei der Wahl im Mai klar unterlegen und will erneut antreten. Der 39-Jährige bräuchte diesmal deutlich mehr Unterstützer. Der Südafrikaner Tokyo Sexwale wird immer wieder als Kandidat genannt. Der frühere Freiheitskämpfer und Mitgefangene Nelson Mandelas könnte jedoch nur eine zahme Marionette Blatters sein, befürchten Insider. Einen neuen Generalsekretär braucht die Fifa übrigens auch. Jerome Valcke, der sich bei Ticketverkäufen habe bereichern wollen, war schon vom Weltverband freigestellt, nun hat ihn auch die Ethikkommission 90 Tage gesperrt. Seine Aufgaben übernimmt der Deutsche Markus Kattner.

Warum wehrt sich Platini nun?

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Am Abend probte Platini die Revolution: Der Uefa-Chef habe „das volle Vertrauen“ der Verbandsführung und versuche sein Namen reinzuwaschen, hieß es in einer Mitteilung. Damit missachten die Europäer de facto die weltweite 90-Tage-Sperre Platinis. Schon vor dem Urteil hatte sich der Franzose abfällig geäußert. „Dieses absichtliche Leck, das hinterhältig und unakzeptabel ist, ist ein Versuch, meiner Reputation zu schaden“, kommentierte Platini die Vorwürfe zu den zwei Millionen Franken, die er von Blatter erhalten hatte. Die Formulierungen „Leck“ und „hinterhältig“ legen nahe, dass der frühere Weltklassefußballer sich verraten fühlt.

Doch wer wusste von dem Deal zwischen Platini und Blatter, außer den beiden? Die beiden Machtmenschen sind inzwischen zerstritten. Insider munkeln schon länger, Blatter tue alles, um Platini als seinenNachfolger zu verhindern. Ist es denkbar, dass der scheidende Fifa-Präsident den Bewerber mit in den Abgrund ziehen wollte? Mit der Sanktion durch die Fifa-Ethikkommission ist der 60-Jährige noch nicht automatisch aus dem Rennen als Nachfolger von Blatter. Allerdings muss Platini eine Integritätsprüfung der Wahlkommission überstehen. Der Uefa-Vorstand hat bereits eine Notfallsitzung für Donnerstag kommender Woche einberufen, das Fifa-Exekutivkomitee könnte folgen. Der Platz von Blatter würde dabei erstmals seit 17 Jahren frei bleiben. Er darf den Sitzungsraum in der Zürcher Zentrale nicht mehr betreten. (mit dpa)

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