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Aus Süden werden sie kommen.

© AFP

Sport: Flaggschiff mit Heimvorteil

WETTKAMPF DES TAGES: Der Ruder-Vierer der Männer ist so etwas wie das nationale Heiligtum der Briten. Das Duell mit Australien hält das Land in Atem.

Da war die Geschichte mit dem Eingang, Riesenaufregung natürlich. Alle Mannschaften fahren mit ihren Booten durch den Nordeingang zur Regattastrecke am Dorney Lake. Aber irgendwann vor den Olympischen Spielen platzt die Meldung in die Ruderwelt, dass die Briten den Südeingang benutzen dürfen. Damit haben sie einen kürzeren Weg zum Sattelplatz. Zeitersparnis, über den Daumen gerechnet ungefähr: 15 Minuten. Aber für australische Ruderer und australische Medien war das natürlich ein Skandal. Da konnte man ja wieder sehen, wie sie sind, die Briten, wenn’s um ihren Vorteil geht.

Und dann die nächste Nachricht: Die britischen Ruderer sind nicht im Olympischen Dorf, sie haben ein Hotel in der Nähe der Regattastrecke bezogen. Damit sparen sie sich beim Training und beim Wettkampf die lange Fahrt nach Eton Dorney. Die australischen Ruderer reagierten, nachdem sie in London eingetroffen waren: Sie buchten kurzfristig ein Tagungshotel in der Nähe des Dorney Lake. Damit auch sie Zeit sparen.

So viel zum Charakter der Ruderduelle zwischen Australien und Großbritannien. Ausländischen Beobachtern mag das lächerlich vorkommen, wie ein Streit im Sandkasten um die Schaufel, aber für die Betroffenen ist das alles heiliger Ernst. Und der Höhepunkt des Prestigekampfs auf dem Wasser, der findet heute statt: der Kampf der Vierer um den Olympiasieg. Bei diesem Duell werden sie völlig ausflippen auf der Tribüne. Dass auch noch ein starkes deutsches Boot mitfährt, interessiert keinen. Australien oder Großbritannien: Eines dieser Boote wird gewinnen, das ist für alle britischen und australischen Fans sonnenklar.

Das liegt an der Historie. Sowohl Australien als auch Großbritannien betrachten den Vierer als ihr traditionelles Flaggschiff. Die Briten haben bei den vergangenen drei Olympischen Spielen Gold geholt, davor hatten die Australier 1992 und 1996 bei Olympia triumphiert. 2008 in Peking holte Australien Silber. Hinter den Briten. Eine nationale Schande. Vor den Olympischen Spielen 2000 stieg die britische Ruder-Ikone Steve Redgrave vom Zweier in den Vierer, und er übertrug seine unglaubliche Popularität aufs Boot. Am Ende seiner langen Karriere war er fünf Mal Olympiasieger.

Redgrave ist längst zurückgetreten, aber im australischen Vierer sitzt noch eine nationale Legende. Drew Ginn ist jetzt 37 Jahre alt und bis heute sauer darüber, dass er wegen hartnäckiger Verletzungen bis jetzt nur drei Mal Olympiasieger geworden ist und nicht fünf Mal wie Redgrave. Ginn saß auch schon in dem australischen Vierer, der 1996 Olympiasieger wurde.

Das Duell findet derzeit noch vor allem verbal statt. Die Australier höhnen, dass die Briten doch fürchterliche Angst vor ihnen hätten, die Briten kontern ähnlich. Wobei natürlich der Druck auf die Briten enorm ist. Das Rennen wird aus Sicht der Gastgeber zu einem Highlight der Spiele. Sir Steve Redgrave ist gerne dabei, diesen gewaltigen Druck zu erhöhen. „Ich denke, das ist der stärkste Vierer, den die Briten jemals zu einem hochklassigen Wettkampf geschickt haben“, teilte er über die Medien mit. Die Karten für den Tag mit dem Vierer sind längst ausverkauft.

Trainiert wird der britische Vierer von Jürgen Grobler, einem früheren DDR-Spitzencoach. Er arbeitet seit 1991 höchst erfolgreich auf der Insel. Und ihn begleitet seit langem ein Satz: „Der britische Vierer verliert jedes Mal bei der letzten großen Regatta vor Olympischen Spielen.“ Danach freilich gab’s auch immer Gold für die Briten.

So gesehen läuft alles auf die Gastgeber hinaus. Beim Weltcup in München, dem letzten großen Test vor London, fuhren die Australier den Briten davon. Auch Urs Käufer aus dem deutschen Vierer rechnet mit einem Sieg der Gastgeber. „Sie haben Heimvorteil.“

Mit Gold rechnet im deutschen Boot eigentlich niemand. Oder zumindest redet niemand darüber. Sebastian Schmidt, der Schlagmann, sagt: „Ich möchte eine Medaille.“ Mit seinen Besatzungskollegen Urs Käufer, Toni Seifert und Gregor Hauffe hat er sich im Halbfinale sicher für den Endlauf qualifiziert.

Und dieses Halbfinale war schon mal eine Einstimmung auf das Finale. Briten und Australier trafen im gleichen Lauf aufeinander. Und auf der Tribüne flippten die Zuschauer völlig aus. Denn die Briten glitten genau 97 Hundertstelsekunden vor den Australiern über die imaginäre Ziellinie.

Das deutsche Boot hat kaum eine Siegchance, aber eine Medaille könnte drin sein

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