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Sport: Fluchtpunkt Fußball

Angola ist trotz seines Ölreichtums ein armes Land – und völlig überraschend bei der WM dabei

Der Linienflug von Johannesburg nach Luanda ist zum Bersten gefüllt: Jeder Platz ist besetzt, aus den Gepäckfächern quellen volle Taschen, Rucksäcke und Pappkartons. Viele der fliegenden Händler haben noch Plastiktüten auf dem Schoß, aus denen Papierservietten, Barbiepuppen und Insektencremes lugen. Denn auch vier Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs wird in der Hauptstadt des Fußball-WM- Teilnehmers Angola wenig eigenständig produziert. Fast alles muss aus dem Ausland in das Land im Südwesten von Afrika geschafft werden.

Einer dieser Händler ist Claudio Pires. Mindestens zweimal im Monat jettet der junge Mann zum Shopping von Angola nach Südafrika. Sein schweres Gepäck hindert ihn nicht daran, selbst noch jetzt munter zu feilschen. Hoch über den Wolken verwandelt sich die Kabine in einen afrikanischen Basar. Wie seine Kollegen kauft Pires alles, was das Duty-Free-Angebot der südafrikanischen Fluggesellschaft SAA im Sortiment führt: Parfüm, Rasierwasser, Seidenkrawatten und edle Kugelschreiber. Am Ende ist fast nichts mehr übrig. „Wir könnten von vielem das Zehnfache verkaufen“, sagt die Stewardess lächelnd.

Für Uneingeweihte ist das Schauspiel an Bord der Maschine kaum begreiflich. Schließlich gehört Angola nach fast 30 Jahren Bürgerkrieg heute zu den ärmsten Ländern der Welt. Während eine kleine Elite sich Reisen und die Waren von Claudio Pires leisten kann, verdienen fast 80 Prozent der 12 Millionen Angolaner weniger als einen Dollar am Tag und leben in bitterster Armut. Der Fußball gehört hier zu den wenigen Dingen, die den tristen Alltag erträglicher gestalten. Umso größer war die Enttäuschung, als die „Palancas Negras“ (die schwarzen Antilopen) wie der Spitzname des Teams lautet, im Afrika-Cup Anfang Februar in Ägypten frühzeitig scheiterten. Denn die Erwartung der Fans daheim ist mit der überraschenden Qualifikation des Teams für die WM rasant gestiegen. „Das ganze Land ist verrückt nach uns“, sagt Trainer Luis de Oliveira, der das erfolglose Team vor zwei Jahren übernahm und mit Erfolg modernen Fußball auf den Lehrplan setzte. „Es tut unserem zerstörten Land so gut, dass der Sport etwas Verbindendes stiftet. Wir spielen ganz attraktiven Fußball – und ich glaube, dass wir vielen damit eine echte Freude machen.“

Obwohl die angolanische Liga auch während des Kriegs weiterlief, ist das Interesse am Nationalteam naturgemäß viel größer. Dabei ist ein Großteil der Kicker in der heimischen Liga aktiv. Der Stürmer Fabrice Akwa Meieco, der früher für Benfica Lissabon spielte und sein Geld heute in Katar verdient, ist einer der wenigen, die im Ausland kicken. Sein Tor zum 1:0-Sieg im letzten Auswärtsspiel in Ruanda bescherte den Angolanern die sensationelle Qualifikation für Deutschland – anstelle des klaren Gruppenfavoriten Nigeria.

Bei der WM trifft das Team nun auf die alte Kolonialmacht Portugal, die dem Land 1975 die Unabhängigkeit gewährte, sowie auf Mexiko und Iran. Nicht auszudenken, was bei einem Sieg über die Portugiesen in Luanda passieren würde. Denn schon bei der Rückkehr aus Ruanda war das siegreiche Team von Millionen Angolanern fast wie ein Weltmeister gefeiert worden. Selbst Staatschef José Eduardo Dos Santos, den der enorme Ölreichtum des Landes zu einem der reichsten Männer des Kontinents gemacht hat, befand sich unter den Fans. Mit ihm hat indes nur eine kleine Elite von all dem Ölgeld profitiert. Der allergrößte Teil der Gelder aus dem Ölexport hat bislang kaum zur Entwicklung des Landes beigetragen. Nach Angaben einer Studie der Organisation Human Rights Watch sind in Angola zwischen 1997 und 2002 mehr als vier Milliarden Dollar an staatlichen Öleinnahmen spurlos aus dem Haushalt verschwunden. Das entspricht den gesamten Sozialausgaben für diesen Zeitraum. Oder anders ausgedrückt: Angola hätte alle vom Ausland übernommenen Hilfsleistungen leicht selbst finanzieren können, wenn das verschwundene Geld für die Bedürfnisse der Bevölkerung verwendet worden wäre.

Unter der Elite ist der Hunger nach Luxus groß. Nur: Kaufen können sich die Reichen in Angola noch immer nur vergleichsweise wenig. Nur ein paar Dinge werden direkt vor Ort produziert. An den großen Ausfallstraßen von Luanda reihen sich stattdessen kilometerlang leer stehende Fabriken aneinander.

Auch die Landwirtschaft kommt wegen des Bürgerkriegs und der verminten Felder nicht in Schwung. Angola, das einst Mais, Kaffee, Baumwolle und sogar Kirschen exportierte, ist noch immer von internationalen Hilfsorganisationen abhängig und verlässt sich auf die Geber. Jedes Ei, jede Banane, jede Schraube und jede Flasche Wein wird importiert. Entsprechend hoch sind die Preise. Nach einem Bericht der Vereinten Nationen gehört Luanda hinter Tokio und New York zu den teuersten Städten der Welt. Ein Cheeseburger mit Pommes kostet hier fast sieben US-Dollar und damit fünfmal mehr als im viel reicheren Südafrika, weil alle Zutaten dafür von außen herangeschafft werden müssen – von Händlern wie Claudio Pires.

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