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Keine Nachwuchssorgen mehr. Die A-Jugend von Sparta Lichtenberg wird von vielen afrikanischen Spielern verstärkt.

© promo

Flüchtlinge und Berliner Sport: Von Lampedusa nach Lichtenberg

Der Berliner Sport profitiert von Geflüchteten, stößt aber auch an seine Grenzen. Ein Beispiel aus dem Fußball und ein Beispiel aus dem Radsport.

Der Regen prasselt auf den Fußballplatz in Lichtenberg. Es ist kalt. Und Ali Traoré, 18 Jahre, geboren in Mali, ist glücklich. Er sitzt gerade nicht im Wohnheim in der Magdalenenstraße, wo ihn sein Zimmerkollege nervt, ihm die Bude vollqualmt, obwohl er ihm schon tausend Mal gesagt hat, dass er draußen rauchen soll. Aber die Welt draußen ist für Flüchtlinge fast genauso beengend wie das Wohnheim. Die meisten können kein Deutsch, bis auf wenige Ausnahmen haben sie keinen Job, und Geld für Freizeitaktivitäten ist kaum vorhanden. Jetzt aber hat Ali Traoré seine knallgelben Fußballschuhe an und steht auf dem Trainingsplatz von Sparta Lichtenberg.

Der Verein war bislang wenig bekannt für seine Flüchtlingsarbeit. Die Champions ohne Grenzen, der FC Internationale oder auch der FSV Hansa 07 haben sich eher hervorgetan. Dabei gibt es außer Sparta Lichtenberg keinen anderen Ur-Berliner Klub, bei dem sich eine Mannschaft im Spielbetrieb fast komplett aus Flüchtlingen zusammensetzt. Ali Traoré spielt zusammen mit zehn weiteren Afrikanern, vorwiegend aus Mali, Gambia und dem Senegal, in der A-Jugend von Sparta. Sie alle kamen vor eineinhalb bis zwei Jahren in den Verein.

Dass die Geschichte von Spartas Flüchtlingsmannschaft bisher kaum die Runde machte, könnte daran liegen, dass der Verein Flüchtlingsarbeit im eigentlichen Sinne auch nicht betreibt. Die Arbeit bei Sparta beschränkte sich genau genommen darauf, den durchaus anstrengenden Papierkram zu erledigen, um Spielerpässe für die Jugendlichen zu organisieren. Aber sie sind zum Beispiel dafür geworden, wie der Berliner Sport von Geflüchteten profitieren kann.

Das ist die eine Seite der neuen Situation in Berlin. Die andere erzählt viel über Unsicherheit. Nicht nur die Unsicherheit für die vielen Flüchtlinge, die jeden Tag nach Berlin kommen. Auch für den Berliner Sport. Von der Basis bis zur Verbandsspitze geht es immer wieder um diese Fragen: Wie sollen wir uns verhalten? Wie geht es weiter? Wie können wir helfen? Vor allem aber fragt der Sport: Was haben wir zu befürchten? Werden noch mehr Sporthallen zu Unterkünften für die Ankommenden? Doch dazu später.

Traoré
Traoré

© Martin Einsiedler.

Bleiben wir noch etwas in Lichtenberg. „Für uns war das auch alles Neuland“, sagt Kai Böttcher, Jugendleiter bei Sparta. Und Neuland ist es auch jetzt noch. Böttcher und die beiden A-Jugendtrainer Mathias Bänsch und Horst Krzyszka wissen wenig über ihre Spieler. Sie können immer noch nicht genau sagen, wer aus welchem afrikanischen Land kommt. Auch wissen sie nicht, welche Tortur Ali Traoré durchgemacht hat, um von Mali nach Deutschland zu kommen. Auf einem winzigen Boot mit viel zu vielen Leuten sei er übers Meer gefahren, erzählt er. Zwischenstation machte er auf Lampedusa.

Sparta Lichtenberg stellt ausrangierte Trainingsanzüge zur Verfügung

Ali Traoré und seinen Freunden fliegt nichts zu. Ausrangierte Trainingsanzüge stellt Sparta Lichtenberg ihnen zur Verfügung. Zudem erließ ihnen der Verein im ersten Jahr die Mitgliedsgebühren. Inzwischen muss Ali Traoré jeden Monat zehn Euro zahlen.

Der verhältnismäßig geringe finanzielle Aufwand hat sich für Sparta ausgezahlt. „Ohne die Flüchtlinge wäre unsere A-Jugend tot“, sagt Trainer Krzyszka. Wie viele andere Berliner Klubs hat auch Sparta mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen. Das Glück von Sparta Lichtenberg war die Lage. Das Wohnheim in der Magdalenenstraße ist nicht weit entfernt vom Vereinsgelände. Ein Betreuer des Wohnheims fragte bei Sparta an, ob Interesse an jungen Fußballspielern bestehe. Der Verein nahm Traoré und seine afrikanischen Mitbewohner nur zu gerne auf. Tolle Fußballer seien dabei, sagen die beiden Trainer einstimmig. Nur mit der Pünktlichkeit hätten sie es nicht so.

Viel Grund zur Klage besteht aber nicht. Die A-Jugend von Sparta, bei der vor zwei Jahren noch nicht klar war, wie und ob es überhaupt weitergeht, steht jetzt auf Platz eins in der Bezirksliga. Die afrikanischen Spieler, sagen die beiden Trainer, seien perspektivisch Kandidaten für die erste Mannschaft. Nur ist das mit der Perspektive so eine Sache. Die Flüchtlinge in Spartas A-Jugend haben den Status der Duldung. Ob sie in Deutschland langfristig bleiben dürfen, wissen sie nicht. Der Verein hofft natürlich, dass Ali Traoré und fast die komplette A-Jugendmannschaft eine Zukunft in Deutschland und damit auch bei Sparta haben.

Ortswechsel, hinein in einen anderen Ort, an dem über Unsicherheit gesprochen wird.

All-Akham
All-Akham

© Martin Einsiedler

Dieter Stein steht mit verschränkten Armen im Velodrom und sieht nicht glücklich aus. Er blickt auf die Bahn, wo der mehrfache Deutsche Bahnradmeister Maximilian Beyer in die Pedale tritt. Ihm folgen mit großer Mühe fünf junge Männer. Stein, fünfmaliger DDR-Meister im Bahnradfahren und leitender Landestrainer, erkennt sofort, dass die Männer im Schlepptau von Beyer offenbar noch nie auf solch einer Bahn gefahren sind. Einer von ihnen stürzt in der Kurve. Stein kneift die Augen zusammen. Die Trainingseinheit mit Beyer und den fünf Flüchtlingen aus Syrien ist kurz darauf beendet.

„Mein Ziel ist die Teilnahme am Sechstagerennen“, sagt Nabil All-Akham, einer der Radsportler. Er wolle nun jeden Tag im Velodrom trainieren. Dem syrischen Straßenrad-Nationalteam habe er angehört, ehe er vor zwei Monaten zu einer Odyssee aufbrach, um von Damaskus nach Deutschland zu kommen. „Das Fahren auf der Bahn in der Halle kann ich schnell lernen.“ Stein hört dem selbstbewussten Trainingsgast zu und sagt: „Theoretisch können die Jungs hier jeden Tag trainieren, praktisch aber noch nicht. Wir brauchen für den Mehraufwand die nötigen personellen und finanziellen Mittel. Das ist im Moment alles nicht sicher.“

Dieter Stein zum Beispiel ist sich nicht nur unsicher, was die fünf Syrer auf seiner Bahn betrifft. Er weiß auch nicht, ob die Senatsverwaltung ihm eines Tages nicht das Training im Velodrom unmöglich macht, weil hier dann Flüchtlinge untergebracht werden müssen. Er will sich das Szenario gar nicht erst ausmalen. Doch das wollten sie im Horst-Korber-Zentrum am Olympiapark auch nicht. Dann ging es ganz schnell. Inzwischen sind dort in der großen Sporthalle sowie in der benachbarten Rudolf-Harbig-Halle insgesamt 1000 Flüchtlinge untergebracht.

Zu wenig Turnhallen, um Flüchtlinge unterzubringen

Neun von insgesamt etwa 1050 Turn- und Sporthallen in Berlin dienen derzeit als Flüchtlingsunterkünfte. Das ist wenig. Auch ließ der Landessportbund (LSB) in den vergangen Wochen wiederholt verlauten, dass er zusätzlich zu den Mitteln des Senats für die Flüchtlingsarbeit 10.000 Euro aus seinem Haushalt „herausgeschnitten“ habe. Dazu muss man wissen, dass der Gesamthaushalt des LSB bei rund 25 Millionen Euro liegt. Nun verweist der Dachverband des Berliner Sports darauf, dass davon das meiste für Gehälter und das Betreiben von Sportanlagen aufgebraucht werde und selbst bei 10 000 Euro genau geschaut werden müsse, aus welchem Topf man die Mittel nehmen kann.

Man kann das Wirken des Sports und seiner Organisationen kritisch sehen. Auf der anderen Seite befindet sich der Sport in einer schwierigen Lage. Er soll einer wichtigen Aufgabe nachkommen, der Integration. Gleichzeitig haben die Sportorganisationen weder das Personal noch das Geld dafür. Immerhin gibt es nun in der Sportschule des LSB Ansprechpartner zu Fragen rund um den Sport mit Flüchtlingen. Sie stellen Kontakt zwischen Heimen und Vereinen her, geben Auskünfte über finanzielle Förderung, Versicherungsschutz und Sonderfortbildungen für Übungsleiter. Es scheint jedoch, als wolle der Sport die Tür für Flüchtlinge auch nicht zu weit aufmachen. Man weiß ja nicht, was dem Sport noch alles bevorsteht, sprich: wie viele Flüchtlinge noch kommen. Menschen wie der syrische Radsportler Nabil All-Akham.

Der 23-Jährige hat noch ganz andere Sorgen als die Frage, wie es sportlich weitergeht. So weiß er zum Beispiel nicht, ob er in den nächsten Wochen noch in seiner kleinen Unterkunft in Reinickendorf wohnen kann. Dort lebt er bei einem libanesischen Geschäftsmann, der neben ihm noch 20 andere Flüchtlinge in einem Apartment untergebracht hat. Der Libanese sagt, dass er den jungen Menschen helfen wolle. Aber ein wesentlicher Grund, weshalb er sie beherberge, sei das Geld. Die Geschäfte liefen schlecht, sagt er. Deswegen müsse er sich durch die Vermietung leerstehender Gewerberäume etwas dazuverdienen. Das Lageso bezahle ihm seit Monaten kein Geld, schimpft er. „Die Zeiten sind unsicher.“ Für ihn, ganz bestimmt auch für Nabil All-Akham. Der weiß inzwischen, dass in Deutschland nichts vom Himmel fällt, keine Unterkunft und keine Trainingsgelegenheit. Er sagt trotzdem: „Die Menschen hier sind großartig.“ Das hat er gerade auch im Sport erlebt.

- Ein Interview zum Thema mit Klaus Böger, LSB-Präsident, können Sie hier lesen.

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