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Sport: Flummis auf Speed

Wie Werders Haupt- und Nebendarsteller einen der größten Momente der Vereinsgeschichte erlebten

München. Thomas Schaaf klang wie ein Grundschullehrer, der diesen Satz nur ein einziges Mal sagen würde. „Machst du jetzt bitte dein Handy aus“, empfahl er seinem Nebenmann, dessen Mobiltelefon schon zum zweiten Mal während der Pressekonferenz geklingelt hatte. Es lag eine unerbittliche Strenge in Schaafs Worten, und für einen Moment konnte man meinen, der Trainer von Werder Bremen wäre tatsächlich böse. Es fiel nicht allen Bremern so leicht wie Schaaf, jener unterkühlten Sachlichkeit, deren Witz sich oft erst bei genauerem Hinhören erschließt, auch in der Stunde treu zu bleiben, in der die Ekstase ungebremst auf den Verein geprallt war. Doch Werders Variante des Jubels war ein Ebenbild der Art und Weise, wie sie sich diesen Meistertitel erarbeitet hatten: Sie feierten fröhlich, ohne Protz, sie schauten nur auf sich selbst und verkniffen sich Kommentare zur Konkurrenz. Nur wirkten nicht alle ganz so nüchtern wie sonst, schon nach der ersten Halbzeit nicht mehr.

Natürlich hatte Franz Böhmert keinen Schluck getrunken, als er in der Pause zwischen Haupttribüne und VIP-Eingang hin und her wandelte. Trotzdem wirkte Werders Aufsichtsratschef irgendwie beschwipst, berauscht von der Wucht des Augenblicks. Böhmert blieb vor einem Monitor stehen, der Bilder von der feiernden Menge auf dem Bremer Domshof zeigte, dann schlich er wieder hinaus, sein ungläubiger Blick schweifte durchs weite Rund, beinahe so, als traue er diesem unwirklichen Gefühl nicht. Wie zum Beweis leuchtete in orangefarbenen Ziffern der Spielstand von der Anzeigetafel. „Null zu drei“, flüsterte Böhmert, „damit haben wir in unseren kühnsten Träumen nicht gerechnet.“ Der Meistertitel zum Greifen nahe, eine brillante Darbietung des eigenen Teams, all das in der Heimstatt des vorlauten Rivalen: Eine solche Krönung schien selbst für diese grandios verlaufene Spielzeit eine Nummer zu groß. „Noch sind 45 Minuten zu spielen“, sagte Böhmert. Er wollte dem Ganzen partout nicht trauen.

Für Klaus Allofs war die Realität eine Stunde später leichter zu begreifen, sie schmeckte süßlich und klebte an seinem Jackett. „Ich hoffe, dass das in den nächsten Stunden noch mal ein bisschen trocken wird“, sagte Bremens Sportdirektor und strich sich über das feine Tuch. Die Bayern hatten ihrem Bezwinger in rauen Mengen Champagner überlassen, und der für Allofs war nur zum Teil in dem Plastikbecher gelandet, den er in der Hand trug. Immer wieder schaute er in Richtung der feiernden Spieler, während die Reporter ihn baten, über die Perspektive für die neue Saison zu referieren. Er sagte etwas über steigende Erwartungen und schmerzhafte Abgänge, und irgendwann sagte Allofs, „ich habe ehrlich gesagt im Moment gar keine Lust, darüber nachzudenken, was nächste Saison geschieht“.

Stürmer Ailton wollte sich ebenfalls nur mit der unmittelbaren Zukunft beschäftigen. Der Brasilianer, der sonst so wunderschön eingeschnappt sein kann, hüpfte umher wie ein Flummi auf Speed und zählte munter sämtliche Alkoholika auf, deren Namen ihm in deutscher Sprache bekannt waren. Er wollte damit sagen, wie er den Rest des Abends zu verbringen gedachte.

Im Umkleidetrakt führte das Chaos Regie. Die meisten Bayernprofis waren längst in der Kabine verschwunden, Manager Uli Hoeneß war bereits auf dem Heimweg. Während Thomas Linke und Jens Jeremies den Journalisten tapfer ihr Desaster erklärten, huschten die Bremer Spieler hinein und hinaus, um Getränkenachschub zu holen. Eine Dreiviertelstunde nach Abpfiff trafen sich alle im Entmüdungsbecken. Klaus Allofs wurde ebenfalls eingeladen. Wenig später trat er triefend nass aus der Kabine. Nur sein Sakko hatte er rechtzeitig ausziehen können.

Es fiel nicht leicht, die Contenance zu wahren, und so drangen zum Abschluss doch noch altbekannte Klänge aus der Kabine. „Schade Bayern, alles ist vorbei“, krächzten die Spieler. Ein bisschen Häme musste dann doch sein, zum Abschluss. Zum Glück hat Thomas Schaaf das nicht gehört.

Daniel Pontzen

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