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Sport: Formel 1: Abgehoben

Kein Außenstehender war dabei. Doch die Tragik kann sich trotzdem jeder vorstellen.

Kein Außenstehender war dabei. Doch die Tragik kann sich trotzdem jeder vorstellen. Den unsagbar traurigen Blick. Die verkrampfte Körperhaltung. Die vom Weinen verquollenen Augen. So muss Graham Beveridges Tochter ausgesehen haben, als Ralf Schumacher mit ihr zusammentraf. Auf einer Polizeistation in Melbourne. Dort wurde ermittelt, warum Graham Beveridge starb. Aber eigentlich hatten das alle gesehen. Ein umherwirbelnder Reifen, abgerissen vom Fahrzeug des Kanadiers Jacques Villeneuve, hatte den Streckenposten Beveridge erschlagen. Villeneuve war auf Ralf Schumacher aufgeprallt beim Großen Preis von Australien, im März 2001, deshalb saß der Deutsche nun bei der Polizei. Dann ging er wieder, und später sagte er: "Es war unsagbar traurig."

Beveridge wurde 51 Jahre alt, er ist das jüngste Todesopfer in der Formel 1. Er wird mit Sicherheit nicht das letzte bleiben. Formel 1 bleibt ein Spiel auf Leben und Tod. Das Risiko ist erheblich kleiner geworden - durch Verbesserungen des Weltverbandes Fia. Aber wer absolute Sicherheit erwartet, hängt Illusionen nach. Absolute Sicherheit wird es nie geben. Absolute Sicherheit ist aber auch nicht der Punkt. Der Punkt ist, ob schon jetzt alle Möglichkeiten zu größtmöglicher Sicherheit ausgeschöpft werden.

Zum Thema Online Spezial: Formel 1 TED: War der Rauswurf von Frentzen überfällig? Online-Gaming: meinberlin.de sucht den Formel-1-Champion! Die Antwort lautet: nicht wirklich. Villeneuves umherfliegender Reifen ist der Beweis. Die freistehenden Reifen sind das Hauptproblem. Ab 1999 wurden sie jeweils von einem Kohlefaserseil gehalten. Seit diesem Jahr sind es zwei Seile. Sie sollen das Wegfliegen verhindern. Doch schon beim Qualifying zum Großen Preis von Melbourne flogen im März nach einem Crash die Reifen des Jaguars von Luciano Burti in alle Richtungen. Zum Glück wurde niemand verletzt. "Wenn sich ein Rennwagen bei Tempo 300 in seine Einzelteile aufzulösen beginnt", sagt der dreimalige Formel-1-Weltmeister Jackie Stewart, "ist das kein Autounfall, sondern ein Flugzeugabsturz." Die Diskussion, ob die Reifen verkleidet werden sollen, läuft seit Jahren. In Gefahr sind nicht bloß Streckenposten, sondern auch Zuschauer. Ein harter Crash auf dem Stadtkurs von Monaco würde mit ziemlicher Sicherheit Schwerverletzte und Todesopfer fordern.

Es sind ja nicht mehr wirklich Autos, die da über die Strecken donnern. "Das sind Flugzeuge auf vier Rädern", sagt ein Formel-1-Ingenieur. Die Fahrzeuge sind aerodynamisch derart perfektioniert, dass sie eine phänomenale Haftung auf der Strecke haben. "Ab 120 Stundenkilometern", sagt ein Ingenieur, "ist sie so groß, dass das Auto auch an der Decke fahren könnte, ohne runterzufallen." Der Preis ist eine enorme Anfälligkeit. Die Fahrzeuge sind so sensibel, dass sie schon unruhig werden, wenn ein Konkurrenzwagen noch 50 Meter vor ihm fährt. "Deshalb", sagt ein Experte, "gibt es so wenige Überholmanöver." Vor allem in Kurven verliert dann das Fahrzeug an Haftung, im Fachjargon Grip genannt. "In 50 bis 60 Prozent aller Fälle, in denen ein Auto ins Kiesbett fährt, ist fehlender Grip die Mitursache. Die Kommentatoren reden dann immer von einem Fahrfehler, aber das stimmt oft nicht", sagt der Fahrzeug-Designer Vito Ianniello, der sich intensiv mit dem Thema Sicherheit in der Formel 1 beschäftigt hat. Ianniello entwickelte ein System, bei dem der Fahrer mit seinem Sitz aus dem Auto gehoben werden kann. "In Silverstone", sagt Ianniello, "hat es sich bei Schumacher bewährt." Dort war der Weltmeister fast ungebremst gegen einen Reifenstapel gerast und hatte sich ein Bein gebrochen. Laut Reglement muss ein Fahrer innerhalb von fünf Sekunden sein Auto verlassen können. "Aber das", sagt Ianniello, "klappt nicht immer."

Zur verhängnisvollen Falle könnten auch die Randsteine in den Kurven werden, Curbs genannt. Eigentlich sollen sie verhindern, dass die Fahrer abkürzen. In der Praxis aber verwandeln sie die Hochleistungsmaschinen mitunter in unkontrollierbare Geschosse. Wenn die Fahrer über die Curbs jagen, kann es sein, dass die Randsteine den Unterboden beschädigen. Ein winziger Schlag genügt, und die sorgsam ausgetüftelte Aerodynamik des Fahrzeugs ist dahin. "Der Pilot ist dann nur noch hilfloser Passagier", sagt ein Ingenieur. Vor zwei Wochen ging es Michael Schumacher so. Er knallte in Monza mit 310 Stundenkilometern gegen einen Reifenstapel, weil ein Curb den Unterboden seines Wagens beschädigt hatte. "Man könnte die Randsteine durch elektronische Induktionsschleifen ersetzen", sagt ein Formel-1-Ingenieur. "Ein Signal im Cockpit und bei den Fia-Kontrolleuren würde dann anzeigen, dass ein Auto die Strecke verlassen hat. Dann könnte man Zeitstrafen aussprechen." Bei den Fahrern sind die Randsteine seit langem ein Thema. Teilweise werden sie abgeflacht, aber abgeschafft sind sie noch nicht.

Auch die Sicherheit von Streckenposten wie Beveridge ist noch lange nicht garantiert. Seit Jahren wird versucht, die Flaggen, die diese Helfer schwenken, durch Leuchtsignale im Cockpit zu ersetzen. Doch das System ist angeblich nicht ausgereift. Manchmal tauchen auch lebensgefährliche Probleme auf, mit denen niemand rechnet. Im vergangenen Jahr brach in São Paulo am Sauber von Pedro Diniz im Qualifying überraschend der Heckflügel. Diniz war 291 Kilometer pro Stunde schnell. "Das darf trotz der Buckel auf dieser Piste nicht passieren", sagte der fassungslose Teamchef Peter Sauber. "Wir stehen vor einem Rätsel." Immerhin zog er seine Fahrzeuge sofort vom Rennen zurück. "Sicherheitsgründe", sagte er.

Doch in der Formel 1 denkt offenbar nicht jeder so vernünftig. Ralf Schumacher fällt noch eine ganz besondere Gefahrenquelle ein. "Es würde viel helfen, wenn manche Fahrer ihr Gehirn einschalten würden. Die Piloten, die einem mit Vollgas hinten drauf fahren, sind gefährlicher als alles andere." An Villeneuve, sagte er, denke er bei diesem Satz aber nicht.

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