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Sport: Formel 1: Aus dem Windschatten eines Idols

Wer hat beim Großen Preis von Brasilien heute die schwierigste Aufgabe? Michael Schumacher, der Formel-1-Weltmeister im Ferrari, in seinem Duell mit Juan Pablo Montoya, dem BMW-Williams-Piloten?

Wer hat beim Großen Preis von Brasilien heute die schwierigste Aufgabe? Michael Schumacher, der Formel-1-Weltmeister im Ferrari, in seinem Duell mit Juan Pablo Montoya, dem BMW-Williams-Piloten? Oder die Fahrer der McLaren-Mercedes, die dringend einen Erfolg benötigen? Nein, die schwierigste Aufgabe hat ein kleiner, dunkelhaariger Fahrer des Sauber-Teams. Ein Pilot, der fast noch wie ein Junge wirkt und dennoch schon die Zukunftshoffnungen einer ganzen Nation trägt: Felipe Massa, Brasilianer.

Zum Thema Das Spiel: Formel1-Champion gesucht Bei seinem ersten Grand Prix, zum Saisonauftakt in Australien, besiegte der 20-Jährige im Trainingsduell seinen Teamkollegen Nick Heidfeld, im nächsten Rennen, in Malaysia, gewann er seinen ersten WM-Punkt - aber jetzt steht der Brasilianer vor seiner bisher größten Bewährungsprobe: Bei diesem Grand Prix, in Interlagos bei Sao Paulo, muss er einem besonderen Druck standhalten. Denn die brasilianischen Fans und Medien haben ihn zur neuen großen Formel-1-Hoffnung auserkoren. Massa soll endlich die Nachfolge des 1994 tödlich verunglückten Idols Ayrton Senna antreten. Bisher füllt Juan Pablo Montoya diese Rolle aus, aber der ist Kolumbianer und deshalb nur eine Notlösung. Rubens Barrichello, der zweite Ferrari-Pilot, kommt zwar aus Brasilien, aber ihm trauen seine Landsleute nichts wirklich Großes mehr zu. Und dies, obwohl Barrichello in Interlagos aufgewachsen ist. "Meine Oma hat direkt an der Strecke, zwischen den Kurven 1 und 2, gewohnt. Dort habe ich 1979 meinen ersten Grand Prix gesehen. Ich weiß noch, dass Mario Andretti ein Rad verloren hat, das gefährlich nahe zum Haus flog", sagt er. Aber gestern, im Qualifying, wurde er nur Achter. So etwas stellt keinen Fan zufrieden. Massa wurde sogar nur Zwölfter, aber in der Logik der Brasilianer ist das etwas anderes. Massa ist doch erst 20.

1979, das war die Zeit, als Brasilianer begannen, sich in der Formel 1 zu etablieren. "Damals schickte sich Nelson Piquet an, Emerson Fittipaldi, dessen ganz große Formel-1-Zeit vorbei war, abzulösen", sagt Galvo Bueno, der langjährige Formel-1-Kommentator des größten brasilianischen Fernsehsenders, TV Globo. "Und nach Piquet kam sofort Ayrton Senna. Sie haben sich ja sogar direkt als Weltmeister abgelöst. Nelson holte 1987 den Titel, Ayrton 1988."

Doch Sennas Tod am 1. Mai 1994 in Imola hat eine Riesenlücke hinterlassen. Nicht nur, weil seither keiner der brasilianischen Formel-1-Piloten die großen Hoffnungen seiner Nation erfüllen konnte. Vor allem auch, weil Sennas Position als Held des Volkes, dem vor allem die Unterprivilegierten zujubelten, noch viel eindrucksvoller war als die seiner Vorgänger. Senna hatte nicht bloß Erfolg, sondern besaß auch Persönlichkeit und Charisma und engagierte sich in sozialen Fragen. Die Liebe der Brasilianer zu ihm ist bis heute nicht erloschen. Sennas Grab auf dem Friedhof von Morumbi - einer ruhigen, friedlichen, fast parkähnlichen Anlage, ohne Grabsteine, nur mit kleinen Kupferplatten im fast endlosen Rasen - ist stets mit vielen frischen Blumen geschmückt. Es ist ein Wallfahrts-Ort. Im brasilianischen Alltag ist Senna regelmäßig ein Thema.

Fan-Druck schlimmer als Renn-Duelle

Jetzt also soll der junge Felipe Massa diese Rolle des Idols übernehmen. "Ein bisschen Schmetterlinge im Bauch habe ich ja schon vor meinem Heimrennen", sagt der Sauber-Pilot. Dieser Stress bereitet ihm deutlich mehr Sorgen als harte Duelle mit seinen Konkurrenten, auch wenn die zum Teil schon Weltmeister waren: "Die waren schließlich auch mal in meiner Situation."

An Selbstbewusstsein mangelt es dem Youngster aus Sao Paulo freilich nicht. Schon mit sechs Jahren machte er auf einem kleinen Kindermotorrad die Gegend unsicher. "Aber als das meinem Vater zu gefährlich wurde, hat er mir ein Kart geschenkt." Wenn nur die ewigen Vergleiche mit Senna nicht wären. Die belasten enorm. "Was habe ich denn schon geleistet? Ich muss mich noch beweisen! Es ist absurd, Leute derart miteinander zu vergleichen. Das ist, als würde man im Fußball Pelé und Ronaldo vergleichen. Jeder ist eine eigene Persönlichkeit."

Und Massa hat schon genügend Erfahrungen gemacht. Mit 15 schleppte er für das Benetton-Team Lebensmittel an die Strecke von Interlagos. "Mein Manager hatte damals Benetton beliefert." Nachdem er im Herbst zum erstenmal bei der Sauber-Zentrale in der Schweiz gewesen war, fuhr Massa durch den Gotthardtunnel nach Italien zurück. Nur 15 Minuten später brach dort die große Brandkatastrophe aus. "Das hat mich schon sehr nachdenklich gemacht. Ich weiß, wie viel Glück ich da gehabt habe", sagt er.

Mit dem Thema Risiko hat sich Massa schon intensiv auseinander gesetzt: "Ich glaube daran, dass jeder gehen muss, wenn seine Zeit gekommen ist." So hat er auch Sennas Unfall gesehen. "Klar war ich sehr traurig, aber es sollte einfach so sein. Und schließlich ist er bei dem gestorben, was er am liebsten tat." Deshalb hat ihn, den "gläubigen Katholiken", der Senna-Unfall auch nicht vom Motorsport abgehalten. Er weiß, dass er ein hohes Risiko eingeht, aber "ich würde auch lieber bei Tempo 300 im Rennwagen sterben, als auf einer normalen Straße von einem Auto überfahren zu werden".

Und so kann er dem Thema Senna doch nicht entfliehen. So sehr er es auch möchte.

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