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Ferrari

© AFP

Formel 1: Fragen an das System

Ideologie oder Inkompetenz? Nach seinem umstrittenen Überholmanöver gegen Ferrari-Pilot Kimi Räikkönen kassierte McLaren-Pilot Lewis Hamilton eine saftige Zeit-Strafe. Zu recht? Die Formel 1 sucht nun Gründe für dieses Urteil.

Lewis Hamilton bemühte gleich die große Philosophie. „Wenn ich bestraft werde, stimmt etwas mit dem System nicht“, sagte der McLaren-Mercedes-Pilot, nachdem er beim Formel-1-Rennen in Spa als Erster die Ziellinie überquert hatte. Nun hat Hamilton seine Systemdebatte.

Anlass ist die Strafe, die der 23-Jährige für sein Überholmanöver gegen Kimi Räikkönen zwei Runden vor Schluss kassierte. Nachdem er den Ferrari-Piloten in der Bus-Stop-Schikane angegriffen hatte, wurde er von dem Finnen in den Notausgang der Schikane gedrängt, kam vor ihm wieder auf die Strecke, ließ ihn wieder vorbei und überholte ihn wenige Minuten später erneut. Die Rennsportkommissare des Automobil-Weltverbands Fia sahen darin einen regelwidrigen Vorteil und brummten Hamilton eine 25-Sekunden-Strafe auf, wodurch dieser hinter Ferrari-Pilot Felipe Massa und BWM-Fahrer Nick Heidfeld auf Rang drei rutschte.

Jubel für diese Entscheidung gab es nur in Italien. „Ein gerechtes Urteil“, befand „Il Tempo“, und Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali sagte angesichts des WM-Stands von 76 (Hamilton) zu 74 (Massa) Punkten: „Dieses Ergebnis öffnet die Weltmeisterschaft auf eine ganz andere Weise.“ Praktisch alle unabhängigen Beobachter aber waren mit dieser Weise nicht einverstanden. Ob der dreimalige Weltmeister Niki Lauda, der ein „blitzsauberes Manöver von Hamilton“ und eine „perverse Strafe“ sah, ob BMW-Testfahrer Christian Klien, der nach mehrmaligem Videostudium „absolut alles in Ordnung“ fand oder der ehemalige Formel-1-Pilot und heutige Fernsehkommentator Christian Danner, der „entsetzt“ war über „diese krasse Fehlentscheidung“.

Danner hält die Strafe nicht nur deswegen für falsch, weil das Regelbuch keine vorgeschriebenen Abstände definiert. Er gibt auch zu bedenken: „Kimi hat Lewis in der Schikane abgedrängt, und dadurch ist der doch überhaupt erst geradeaus gefahren.“ Das sei „ein normaler Zweikampf. Solche Situationen hatten wir doch schon öfters, und wenn der Betreffende den anderen dann wieder vorgelassen hat, war es immer okay“. Auch Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug erklärte, Hamilton habe Räikkönen „vorschriftsmäßig vorbeigelassen“, bevor er seinen zweiten Angriff startete. Das Team hat Protest eingelegt und muss diesen nun in den nächsten acht Tagen begründen.

Das Urteil spielt den Verschwörungstheoretikern in die Hände, die schon immer daran glaubten, dass es von Seiten der Fia eine grundsätzliche „Lex Ferrari“ gebe – vor allem, wenn der betroffene Konkurrent der Roten McLaren-Mercedes heißt. Dass den Sportkommissaren seit diesem Jahr auch der persönliche Assistent von Fia-Präsident Max Mosley, Alan Donelly, als Oberaufseher vor Ort zur Seite gestellt wurde, trägt nicht gerade dazu bei, den Verdacht zu entkräften. Schließlich gilt Mosley nicht gerade als Freund des McLaren-Chefs Ron Dennis.

Vielleicht demonstriert das Urteil aber auch nur die fehlende Kompetenz der Verantwortlichen, Rennsituationen realistisch und konstant einschätzen zu können. Die Fia-Sportkommissare in Spa waren Nicolas Deschaux aus Frankreich, Surinder Thatti aus Kenia und Yves Bacquelaine aus Belgien – allesamt Funktionäre ohne jede Rennerfahrung. Die Theoretiker folgten praktisch in jedem Punkt der Ferrari-Argumentation, Hamilton hätte, wäre er die Schikane korrekt durchfahren, weitaus weniger Chancen gehabt, Räikkönen in der folgenden Haarnadel zu überholen – er hätte sich danach also noch weiter zurückfallen lassen müssen (siehe Kasten).

Es war nicht die einzige umstrittene Entscheidung des Trios an diesem Wochenende in Spa. Am Sonnabend schon wurde der Titelkandidat in der Formel-1-Rahmenserie GP2, Bruno Senna, wegen „unsicheren Herausfahrens“ aus der Boxengasse mit einer Boxendurchfahrtsstrafe belegt und verpasste so den Sieg. Beim Rennen in Valencia war Ferrari-Pilot Felipe Massa exakt das Gleiche passiert – er kam mit einer Verwarnung davon. Selbst ein Fia-Mitarbeiter, der die Praxisseite besser kennt, äußerte aufgrund dieser verwirrenden Regelauslegungen sein Unverständnis – auch wenn er das aus naheliegenden Gründen nicht laut sagen will. Nicht nur er wirft aber die Frage auf, ob nicht ehemalige Piloten in die Entscheidungsgremien gehörten.

Eines ist jedenfalls sicher: Urteile wie das im Fall Hamilton schaden in erster Linie der Formel 1. Nicht nur, weil ein spannendes Rennen mit einer spektakulären Schlussphase nun völlig von politischen Diskussionen überschattet wird. Sondern auch, so Christian Danner, „weil das doch dazu führt, dass kein Fahrer in Zukunft mehr wagt, irgendeinen Überholversuch zu starten. Dann wird doch nur hintereinander hergefahren – und die Zuschauer langweilen sich.“

Zumindest Lewis Hamilton wird auch weiterhin angreifen, wenn man den Worten von Norbert Haug glauben darf. „Wir sind zusammen zum Flughafen gefahren und Lewis grinste mich an und sagte: ,Jetzt wollen wir möglichst alle verbleibenden Rennen gewinnen‘.“ Dazu wird er wohl auch mal überholen müssen.

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